Kurz vor der US-Wahl auch auf Deutsch erhältlich, zeigt «Krieg» von Bob Woodward Donald Trump beim Dumm-Daherreden und Joe Biden beim Regieren. Und schon jetzt ist klar: Man wird Joe Biden, diesen so umsichtig taktierenden, alt gewordenen Präsidenten, sehr vermissen.
Bob Woodward ist ein Phänomen. Seit er 1972/73 zusammen mit Carl Bernstein in der «Washington Post» die Watergate-Affäre aufgedeckt hat, die zum Rücktritt des Präsidenten Richard M. Nixon geführt hat, erkundet der mittlerweile 81-Jährige die Politik der Supermacht USA. Und zwar nicht von unten, sondern von oben. Woodward kennt das führende Personal, spricht mit Senatoren, Ministern, Geheimdienstlern, Präsidenten und macht sich so sein eigenes, anekdotisch aufgelockertes Bild der Geschehnisse.
Bei ihm erfährt man, wer was wann zu wem gesagt hat – und man erfährt, was man zum Beispiel von Donald Trump zu halten hat. «Furcht. Trump im Weissen Haus» beschrieb 2018 die von Wirrnis erfüllte erste (und hoffentlich einzige) Amtszeit dieses Ausnahme-Politikers, in «Wut» (2020) und «Gefahr. Die amerikanische Demokratie in der Krise» (2022) setzte Woodward materialreich nach, immer gestützt auf zahllose Gespräche, die er nach der Regel führt: Er darf die Informationen verwenden, vorausgesetzt, dass er die Quelle nicht nennt.
Diesem Prinzip folgt Woodward auch in «Krieg», seinem gerade in deutscher Übersetzung erschienenen 23. Buch, bei dessen Erarbeitung Claire McMullen eine wichtige Rolle gespielt hat. Ohne sie «gäbe es dieses Buch nicht», bekennt Woodward gleich zu Beginn. Denn «sie hält mich dazu an, den schwierigen Storys nachzugehen, Bestätigungen und Belege zu suchen. Claire hat den Überblick über Hunderte von Dateien und Interview-Transkripte, die sie persönlich mit nicht nachlassender Geschwindigkeit und Genauigkeit anfertigt».
Warum nicht ein Interview?
Im Prolog erinnert sich Woodward. Im Februar 1989 läuft Carl Bernstein auf einer Dinnerparty in New York Donald Trump in die Arme. «Warum kommst du nicht auch», drängt er seinen journalistischen Partner. «Alle amüsieren sich prächtig. Trump ist da. Es ist wirklich interessant. Ich habe mich mit ihm unterhalten.» Woodward gibt also nach, und als Trump die beiden Journalisten beieinanderstehen sieht, kommt er herüber und sagt: «Wäre es nicht toll, wenn Woodward & Bernstein Donald Trump interviewen?» «Klar», antwortet Carl, «Wie wär’s mit morgen?»
Dann gehen die Mikrokassette mit dem Trump-Interview und die maschinenschriftliche Transkription verloren; sie landen in einem von Woodwards Depots. Und tauchen erst 2023 bei der Sichtung von Hunderten von Kartons wieder auf. Jetzt wird es von Woodward neu gelesen. Trump scheint viel daran zu liegen, knallhart und stark zu wirken. Neulich habe er sich einen Boxkampf angeschaut, erzählt Trump. Danach habe der Überraschungssieger gesagt: «Ich bin einfach mit den Schlägen mitgegangen.»
Trump fand diese Formulierung grossartig, «weil sie ebenso sehr das Leben wie das Boxen oder sonst irgendetwas betrifft. Man geht mit den Schlägen mit.» Blicke man heute auf Trumps Leben zurück – auf seine Immobiliengeschäfte, seine Präsidentschaft, die Amtsenthebungsverfahren, die Ermittlungen, die Zivil- und Strafprozesse, eine Verurteilung, das fehlgeschlagene Attentat, die Kampagne zur Wiederwahl, «dann hat er genau das getan. Er hat die Schläge ausgependelt.»
Düstere Wolken über der Ukraine
Doch während Donald Trump in Mar-a-Lago in Florida Hof hält und noch immer grollt über eine angeblich gestohlene Wahl, sitzt ein anderer im Weissen Haus und muss mit ganz anderen Schlägen fertig werden. Seit Joe Biden im Januar 2021 sein Amt angetreten hat, verdüstert sich die Lage in der Ukraine. Hervorragend informierte US-Geheimdienste halten ihn, die Verbündeten und den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj auf dem Laufenden über beunruhigende Truppenkonzentrationen an den Grenzen. Biden kennt den russischen Präsidenten Wladimir Putin schon lange. Vertrauen hat er in dieser Zeit nicht gefasst. Trump dagegen ist ein grosser Bewunderer Putins, das ist, wie die Russland-Expertin Fiona Hill sagt, zu seiner Zeit als Präsident eine «verhängnisvolle Schwachstelle» gewesen.
Doch Schwachstellen sind im Herbst 2021 auch die Verbündeten und Selenskyj selber, denn sie wollen den Informationen nicht glauben, mit denen Bidens Aussenminister Anthony Blinken sie unablässig beliefert. Auch nach Moskau schickt Biden seine Emissäre. CIA-Chef Bill Burns fragt Putin geradeheraus: «Wie wollen Sie mit einer Armee von 180’000 bis 190’000 Mann ein Land von 44 Millionen Menschen kontrollieren?» Putin antwortet nicht.
Doch die Ukrainer behaupten sich
Dann, am 24. Februar 2022, geschieht das von vielen für unmöglich Gehaltene: Die Russen greifen an. Und noch etwas anderes geschieht: Entgegen allen Erwartungen, auch der Amerikaner, behaupten sich die Ukrainer. Rasch bildet sich eine Unterstützerkoalition, umsichtig orchestriert vom US-Präsidenten.
Währenddessen sagt Trump in Mar-a-Lago in ein Radiomikrofon: «Das ist genial. Putin ist ein sehr kluger Kopf, ich kenne ihn sehr gut. Sehr, sehr gut.» Später wird er dann ein grosses Unterstützungs- und Hilfspaket für die Ukraine mithilfe seiner willfährigen Republikaner im Kongress blockieren. Bis ihm sein Parteifreund Lindsay Graham und der polnische Präsident Duda den Ernst der Lage klar machen. Graham erteilt Trump historischen Nachhilfeunterricht und vergleicht Putin mit Hitler: «Sie wissen doch, dass der Typ, der zuletzt so etwas getan hat, schliesslich die Welt in einen grossen Krieg verwickelt hat.»
Das ist überhaupt die grösste Schwäche von Donald Trump: Dass er so beeinflussbar ist. Und dass ihm die Autokraten dieser Welt so nah sind. «Während der Interviews, die ich 2020 mit dem damaligen Präsidenten Trump führte, prahlte er mit seiner Affinität zu Diktatoren wie dem russischen Präsidenten Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi und händigte mir seine ‘Liebesbriefe’ an den nordkoreanischen Führer Kim Jong-un aus», erinnert sich Woodward, und zitiert Trumps ehemaligen Stabschef John F. Kelly: «Er ist ausser Rand und Band. Wir sind hier in Crazytown, im Irrenhaus.»
Ein Balanceakt im Nahen Osten
Den unübersehbaren Kontrast zum Trumpschen Irrenhaus bilden Joe Bidens klare Grundsätze, denen er nach dem russischen Angriff folgt. Er will den Krieg in der Ukraine nicht eskalieren lassen, er will keine eigenen Soldaten dort sehen. Wohin das führt, hat er als Vizepräsident von Barack Obama in Afghanistan erlebt. Einmal sagt er zu einem engen Mitarbeiter: «Ich habe schon Kriegsentscheidungen getroffen. Es gibt keine schwereren. Nichts ist nur schwarz oder weiss. Man muss alles bedenken.»
Das gilt ganz besonders für jenen grossen Konfliktherd, der am 7. Oktober 2023 mit dem Angriff der Hamas auf Israel schlagartig ins Zentrum der Weltpolitik rückt. Am 11. Oktober telefoniert Biden mit Israels Präsidenten Benjamin Netanjahu, und sagt: «Wir wollen nicht, dass sich das zu einem Flächenbrand in der Region ausweitet.» Wenige Tage später reist er nach Israel, fragt: «Was meint ihr damit, dass ihr die Hamas auslöschen wollt?», und erklärt, die USA hätten dieselbe Strategie an Orten wie dem Irak und Afghanistan verfolgt. Aber es sei schwierig, eine Ideologie auslöschen zu wollen. «Manchmal erschafft man neue Kämpfer durch die Art und Weise, wie man gegen sie vorgeht.»
Mit solchen Worten stösst Biden bei Netanjahu immer wieder auf taube Ohren, deshalb wird er mit seiner Kritik insbesondere an der desaströsen humanitären Lage im Gazastreifen lauter. Ein zähes Hin und Her entspinnt sich, während der US-Aussenminister die Beziehungen zu Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien aktiviert.
Keine unwichtige Rolle spielt in der Folge ein Mann, den die Welt (und auch Joe Biden) eigentlich geächtet hat, weil er die Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi angeordnet haben soll: der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Und sogar der Erzfeind Iran wird ab und an ins Gespräch gezogen, wenn wieder einmal die Dinge ausser Kontrolle zu geraten drohen. Bisher mit einigem, allerdings höchst ungewissem Erfolg.
Für Bob Woodward aber haben die Recherchen zu seinem Buch eine ganz neue Erfahrung bereitgehalten. Viele der schlagzeilenträchtigen Schilderungen seiner früheren Bücher hätten vom Scheitern, von Missmanagement und von Korruption gehandelt. Hier aber habe er Einblick gewonnen «in die aufrichtigen Bemühungen des Präsidenten und seiner Sicherheitsberater, die Hebel der Exekutivgewalt verantwortungsvoll einzusetzen».
Bob Woodward: Krieg. Hanser, München 2024, 464 Seiten