Siebzehn Monate lang sass Giorgia Meloni fest im Sattel. Jetzt plötzlich hat sie Grund zur Sorge. Bei den Wahlen in der italienischen Region Abruzzen am kommenden Sonntag geht es auch um das Überleben der rechtsgerichteten Regierung in Rom.
Was Rang und Namen hat, strömt in diesen Tagen in die Abruzzen: nach L’Aquila, der noch immer vom Erdbeben schwer beschädigten Hauptstadt der Region, oder nach Pescara, Chieti oder Teramo.
Elly Schlein, die Parteivorsitzende der Sozialdemokraten, hat sich angesagt, ebenso Giuseppe Conte, der Chef der Cinque Stelle. Erwartet wird auch Giorgia Meloni selbst, ihr Vizepräsident Matteo Salvini, Aussenminister Antonio Tajani und Staatssekretäre und hohe Beamte.
Bei den Regionalwahlen am 25. Februar auf der Mittelmeer-Insel Sardinien war überraschend die Mitte-Links-Politikerin Alessandra Todde zur Regionalpräsidentin gewählt worden. Zwar fiel der Sieg hauchdünn aus, doch psychologisch ist er wichtig. Zum ersten Mal seit vielen Monaten konnte die italienische Linke wieder einen Sieg verbuchen. Und zum ersten Mal seit langem haben die Sozialdemokraten wieder mehr Stimmen gemacht als die Partei von Giorgia Meloni. Das Eis scheint gebrochen. Es war die erste grosse Niederlage der erfolgsverwöhnten Regierungschefin Giorgia Meloni.
Ein weiterer Tiefschlag für Meloni?
Im politischen Rom begann man sich zu fragen: Dreht nun der Wind? In Italien kann alles sehr schnell gehen. Wer einmal auf der Verliererstrasse ist, fällt oft – subito – in Ungnade.
Giovanni Diamanti, der Präsident des Forschungsinstituts YouTrend, erklärt in einem Interview mit der Römer Zeitung La Repubblica: «Im Allgemeinen führt ein Wahlsieg zu Begeisterung und mobilisiert diejenigen, die aufgrund von Enttäuschung als unentschlossen galten oder die glaubten, dass die linke Mitte keine Chance hat.» Nach jedem Sieg würde der Sieger «einen kleinen Schub erhalten», sagt Diamanti.
Am kommenden Sonntag finden nun Regionalwahlen in den Abruzzen statt. Diese könnten Meloni «einen weiteren Tiefschlag versetzen», schreibt La Stampa, eine der drei besten Zeitungen in Italien. Nach dem Sieg der Linken auf Sardinien habe sich «alles verändert». Die rechte Seite habe «Angst vor einem K.o.», so La Stampa.
Durchzogene innenpolitische Bilanz
Die Ängste der Rechtsregierung sind nicht unbegründet. Zwar wird Meloni international gelobt und hofiert. Präsident Biden küsst sie, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hört nicht auf, sie zu umschwärmen und zu loben (in der Hoffnung, dass Italien dann im Sommer ein zweites Mandat von der Leyens unterstützt).
Doch innenpolitisch ist die Bilanz der Regierung Meloni durchzogen. Viele ihrer Versprechen musste sie zurücknehmen. Wären da nicht die 200 Milliarden, die die EU als Aufbauhilfe Italien zugesprochen und teils ausgeschüttet hatte, wäre da wenig passiert.
Meloni regiert mit einer Dreierkoalition. Neben ihrer postfaschistischen Partei «Fratelli d’Italia» gehören dem Triumvirat die «Lega» von Matteo Salvini und die von Aussenminister Tajani geführte Berlusconi-Partei «Forza Italia» an. Doch das Zweckbündnis wird immer häufiger erschüttert.
Keine besten Freunde
Die Streitereien zwischen Meloni und Salvini nehmen groteske Formen an. Während Meloni im Weissen Haus mit allen Ehren empfangen wurde, überhäuft Lega-Chef Salvini – just zu jenem Zeitpunkt – Donald Trump mit herzlichsten Worten. Salvini ist, wohlgemerkt, der Stellvertreter von Meloni und lässt keine Gelegenheit aus, der Regierungschefin ans Bein zu pinkeln. Immer wieder provoziert er mit Russland- und Putin-freundlichen Erklärungen.
Die Regierung gibt zur Zeit ein wenig homogenes Bild ab. Und dass Italiens Innenminister Matteo Piantedosi Demonstrationen von Jugendlichen in Pisa und Florenz von der Polizei niederknüppeln liess, löste sogar einen scharfen Protest des besonnenen Staatspräsidenten Sergio Mattarella aus.
Dazu kommt der undurchschaubar wirkende Einsatz der EU-Hilfsgelder. Nach welchen Kriterien wird die Hilfe verteilt? Viele schütteln den Kopf. Da wird ein Golfplatz bei Montevarchi im toskanischen Arno-Tal mit EU-Geldern saniert. Beflügelt das wirklich die italienische Wirtschaft? Gäbe es da nicht dringendere Baustellen?
Gouverneur versus Professor
Zur Wahl für das Regionalpräsidium stehen zwei Schwergewichte.
Die vereinte Rechte geht mit dem bisherigen Regionalpräsidenten, dem 56-jährigen Marco Masilio ins Rennen. Er ist Mitglied der Fratelli d’Italia und seit vier Jahren Regionalpräsident (auch Gouverneur genannt). Zuvor war er Mitglied der grossen italienischen Parlamentskammer und später Senator. Er wird unterstützt von den drei Regierungsparteien und anderen rechtsgerichteten Kleinparteien.
Die vereinigte Linke versucht es mit dem 64-jährigen Wirtschaftswissenschaftler Luciano D’Amico, dem einstigen Rektor der Universität Teramo. Er hat laut La Stampa «die Ausstrahlung eines Philosophen».
Hoffnung auf einen Sieg hat die Linke vor allem deshalb, weil es ihr gelungen ist, ein breites Linksbündnis zu zimmern. Die italienische Linke war während Jahrzehnten traditionell zerstritten. Jetzt, wie schon in Sardinien, haben sich die linken Kräfte zusammengerauft. Getragen wird das Bündnis vom sozialdemokratischen «Partito Democratico» PD, von den «Cinque Stelle», der «Alleanza Verdi e Sinistra-DemoS» der «Azione» und anderen Kleinparteien. Auch der ewige Quertreiber Matteo Renzi, der frühere Ministerpräsident, soll nun doch – nach langem hin und her – Luciano D’Amico unterstützen.
Um dem linken Bündnis Auftrieb zu geben, wird am Tag der Frau, am 8. März, auch Alessandra Todde, die Siegerin in Sardinien, in L’Aquila an der Seite von Luciano D’Amico auftreten. Dennoch ist ein linker Sieg keineswegs gewiss. Laut jüngsten Meinungsumfragen liegt die Rechte immer noch vorn – allerdings mit erodierender Zustimmung. Sollte allerdings die Linke in den Abruzzen gewinnen, könnte das ernsthafte Konsequenzen für die Regierung Meloni haben.
Salvini, «Melonis Pudel»
Für Salvini geht es jetzt um viel. Bei den Regionalwahlen in den Abruzzen vor vier Jahren hatte Salvinis Lega auf Anhieb 27,5 Prozent der Stimmen erhalten und wurde damit stärkste Partei. Das machte ihn übermütig. Kurz darauf versuchte er, die Regierung in Rom zu stürzen und selbst Ministerpräsident zu werden. Das misslang. Dann ging es abwärts mit ihm. Giorgia Meloni und ihren Fratelli war es anschliessend gelungen, die Lega radikal zu rupfen und sie an den Rand zu drängen. Zehntausende einstige Salvini-Anhänger liefen zu Meloni über. Heute dümpelt die Lega landesweit bei 8 Prozent dahin, während die Fratelli bei 28–30 Prozent liegen.
Jetzt versucht Salvini, der schon immer rassistische Positionen vertrat, das Steuer herumzureissen. In Sardinien hatte er miserable 3,7 Prozent der Stimmen erhalten. Diese Schande muss er jetzt tilgen. Sein Wahlkampf in den Abruzzen läuft auf Hochtouren. Fast jeden Abend tritt er irgendwo auf und bombardiert die abruzzesische Bevölkerung mit teils Ausländer- und USA-feindlichen Videos und Tweets.
Salvini weiss, er wird als «Pudel» Melonis wahrgenommen, als fünftes Rad am Wagen. Damit er von diesem Image wegkommt und damit er wieder Gewicht erhält, muss sich seine Lega von Meloni abgrenzen und profilieren. Er muss poltern und Aufmerksamkeit erheischen. In diesem Zusammenhang müssen Salvinis Angriffe auf die Regierungschefin gesehen werden.
Den Nimbus der Unschlagbarkeit verloren
Doch wenn er jetzt in den Abruzzen weniger als 15 Prozent der Stimmen erhält, so spekulieren Auguren in Rom, könnte er gezwungen sein, das Regierungsbündnis zu verlassen – eben, um sich allein wieder zu profilieren und vom Ruf des fünften Rades am Wagen wegzukommen. Und dann wäre die Regierung Meloni am Ende. Denn die Regierungschefin braucht Salvinis Lega, um im Parlament auf genügend Stimmen zu kommen.
Noch hat Meloni nicht verloren, noch hat das Linksbündnis nicht gewonnen. Meinungsforscher weisen darauf hin, dass der Sieg der linken Alessandra Todde auf Sardinien vor allem eine Persönlichkeitswahl war. Zwar wurden die Sozialdemokraten zur stärksten sardischen Partei, doch insgesamt vereinigte das rechte Wahlbündnis mehr Stimmen auf sich als das linke. Ein Erdbeben war das nicht, aber ein nicht zu unterschätzender symbolischer Sieg von Mitte-Links. Meloni hat den Nimbus der Unschlagbarkeit verloren.
Die Frage ist nun: Strahlt dieser Sieg von Sardinien aufs Festland aus: auf die Abruzzen? Die Italiener und Italienerinnen waren schon immer ein Volk mit einem Herdentrieb. Wird die Herde jetzt die Richtung ändern?