In der östlichen Moldau leben viele Russen – wie in der östlichen Ukraine. Im Osten des Landes stehen russische Soldaten – wie in der Ukraine. Viele in der Moldau möchten in westliche Bündnisse eingebunden werden – wie in der Ukraine.
Springt jetzt der Konflikt auf die Moldau (Moldawien) über? Die Nato und westlich orientierte Politiker in der Hauptstadt Chisinau befürchten das. Der amerikanische General Philip Breedlove schreckte diese Woche den Verteidigungsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses auf: Russland betreibe in der Moldau eine „breite Informationskampagne“. Ziel sei es, die Moldau „von einer Annäherung an den Westen abzuhalten“.
Ein kaum beachteter Staat
Gerät jetzt ein Staat, der von der Weltöffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen wurde, plötzlich in die Schlagzeilen? Die Moldau, eingepfercht zwischen Rumänien und der Ukraine, war 70 Jahre lang sowjetisches Einflussgebiet. 1991 wurde das Land, das etwa drei Viertel so gross wie die Schweiz ist, unabhängig.
Doch ganz so unabhängig war die Moldau nie. Der grosse Bär im Osten wirft ein wachsames Auge auf den dreieinhalb Millionen Einwohner zählenden Landstrich, der einst zum russischen Zarenreich gehörte.
Zwar gibt es Parallelen zur Ukraine. Doch die Befürchtung, dass Putin den Krieg bald in die Moldau trägt, ist aus heutiger Sicht eher unrealistisch.
30 Prozent Russen im Osten
Vor allem deshalb, weil Russland bereits den östlichen Teil der Moldau beherrscht. Dieser Landesteil östlich des Flusses Dnister, Transnistrien genannt, hat sich 1992 von der restlichen Moldau abgespalten und sich für unabhängig erklärt. Transnistrien („jenseits des Dnister“) ist faktisch russisches Territorium. Entgegen internationalen Abmachungen hat Moskau dort 2‘000 Soldaten und schweres Kriegsmaterial stationiert.
Dreissig Prozent der Bevölkerung in Transnistrien sind Russen. Betrachtet man aber die Moldau als Ganzes, sind nur sechs Prozent der Bewohner Russen. Putin würde es also schwer haben, die Moldau als „ethnisch russisch“ zu deklarieren, wie er es bei der Krim und der Ostukraine tut.
Zwar hat die Moldau im vergangenen Sommer mit der EU ein Assoziierungsabkommen geschlossen. Auch die neue Regierung in Chisinau gilt offiziell als pro-westlich. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass sie das nicht ist. Vor allem will sie es mit Moskau nicht verderben.
An Putins Gängelband
Chiril Gaburici, der neue Regierungschef, hat bisher jede Kritik am russischen Vorgehen auf der nahegelegenen Krim und in der Ostukraine vermieden. Er gilt bereits als Vasall Putins. Gaburici ist ein schwacher Regierungschef eines schwachen Landes. Er hängt am Gängelband von Putin, im Gegensatz zu Poroschenko in der Ukraine.
Ferner ist die Moldau wirtschaftlich eng mit Russland verflochten und kann sich einen Aufstand gegen Putin nicht leisten. Das Land ist vom russischen Gas abhängig und die meisten moldawischen Exporte gehen nach Russland.
Die russische Wirtschaft leidet gewaltig unter dem Krieg in der östlichen Ukraine. Ein zusätzliches kriegerisches Engagement in der Moldau könnte sich Russland wohl kaum leisten.
Dennoch: Nicht ausgeschlossen ist, dass Putin in der Moldau die Muskeln spielen lässt. Westliche Kreise fürchten, dass Russland seine militärische Präsenz in Transnistrien massiv verstärkt. Ziel dieser Aufrüstung östlich des Dnisters wäre es, die Moldau westlich des Dnisters zu warnen. Die Botschaft wäre: Wenn ihr euch allzu sehr dem Westen in die Arme werft, haben unsere Soldaten in einer halben Stunde eure Hauptstadt besetzt.
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Was ist das für ein Staat, diese Moldau, die international bisher kaum zur Kenntnis genommen wurde? Hier eine kurze historische Chronologie:
Seit 1812 gehört die Moldau zum Russischen Kaiserreich.
2. Dezember 1917: Nach der Oktoberrevolution in Russland wird die „Moldauische Demokratische Republik“ proklamiert. Sie ist Teil des föderalen Russland.
Januar 1918: Rumänische Truppen besetzten das Gebiet westlich des Flusses Dnister. Das moldauische Parlament erklärt sich von Russland und der Ukraine unabhängig.
27. März 1918: Das moldauische Parlament spricht für eine Vereinigung der Moldau mit Rumänien aus. Die Bolschewiken anerkennen die Abstimmung im Parlament nicht.
6. Januar 1919: Die „Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik“ wird gegründet.
30. Dezember 1922: Die Sowjetunion (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, UdSSR) ensteht. Die Ukraine wird Teil der UdSSR.
7. März 1924: Die Bolschewiken gründen östlich des Flusses Dnister (im heutigen Transnistrien) die „Moldauische Autonome Oblast“ (Verwaltungsbezirk).
12. Oktober 1924: Die Bolschewiken proklamieren im heutigen Transnistrien (also im Gebiet östlich des Flusses Dnister) die „Autonome Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik“. Sie ist eine autonome Teilrepublik innerhalb der Ukraine – und damit Teil der Sowjetunion.
Diese „Autonome Moldauische Sowjetrepublik“ besteht einzig aus dem heutigen Transnistrien. Der westlich des Dnister gelegene Teil des heutigen Moldawiens (Bessarabien) gehört zu Grossrumänien. Mit der Beherrschung Transnistriens übt die Sowjetunion Druck auf das Königreich Rumänien aus.
24. August 1939: Im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes gerät Bessarabien, das westlich des Flusses Dnister gelegene Gebiet, in den sowjetischen Machtbereich. Die Deutschen sind nicht an Bessarabien interessiert.
2. August 1940: Die „Moldauische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik“ (Transnistrien) wird aufgelöst. Das Territorium wird mit dem westlich des Dnister gelegenen Teils des heutigen Moldawiens, das zu Rumänien gehörte, vereint. Damit entsteht die „Sozialistische Sowjetrepublik Moldau“. Die Sowjets beginnen das Land zu russifizieren. Der Anteil der Russisch sprechenden Bevölkerung nimmt zu. Die Sowjetunion fördert in Transnistrien mit Planwirtschaft die Schwerindustrie.
Sommer 1941: Deutschland greift die Sowjetunion an. Das mit Deutschland sympathisierende Rumänien besetzt Bessarabien, also die „Sozialistische Sowjetrepublik Moldau“ (ohne Transnistrien).
1945: Rumänien muss Bessarabien, also die heutige Moldau (ohne Transnistrien) endgültig an die Sowjetunion abtreten.
27. August 1991: Die Moldau erklärt sich für unabhängig. Die rumänische Sprache wird einzige Amtssprache. Obwohl ein grosser Teil der Bevölkerung Russisch spricht, hat Russisch keine offizielle Stellung mehr.
21. Dezember 1991: Die Sowjetunion wird aufgelöst.
März – August 1992: Transnistrien erhebt sich gegen die übrige Moldau. Der Transnistrien-Krieg beginnt. Die Kämpfe fordern Hunderte Tote. Das moldauischen Militär ist zu schwach, um Transnistrien zu halten. Laut moldauischen Angaben greifen russische Soldaten auf Seiten Transnistriens in die Kämpfe ein. Folge: Transnistrien spaltert sich von der Moldau ab und erklärt sich für unabhängig (mit eigener Flagge, Bild), wird aber von keinem Staat anerkannt. Die Moldau erhebt nach wie vor Anspruch auf das Gebiet. Die Abspaltung Transnistriens ist für Moldawien ein schwerer wirtschaftlicher Verlust, da sich in Transnistrien zahlreiche Kraftwerke sowie die Stahl-, Textil, Möbel- und Schuhindustrie befinden. Der Konflikt gilt als „eingefrorener Konflikt“.
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Begriffe
Moldau, Republik Moldau, ist der deutsche Name für Moldawien, Moldavia.
Namensgeber ist der Fluss Moldau (Moldova) im Nordosten Rumäniens, der aber die Republik Moldau weder durchfliesst noch tangiert. Die rumänische Moldau ist nicht zu verwechseln mit der Moldau, die durch Prag fliesst.
Dnister, der Grenzfluss zwischen Transnistrien (im Osten) und dem westlich gelegenen Landesteil der Moldau. Er durchfliesst die Ukraine und die Moldau und mündet westlich von Odessa ins Schwarze Meer.
Pruth, der Grenzfluss zwischen der Moldau und Rumänien. Er entspringt in den ukrainischen Karpaten. Kurz vor dem Mündungsdelta am Schwarzen Meer mündet er in die Donau.
Transnistrien (trans = jeneits des Flusses Dnister gelegen).
Tiraspol, „Hauptstadt“ von Transnistrien, zweitgrösste Stadt der Moldau, 350‘000 Einwohner.
Bessarabien: Eine historische Landschaft zwischen den Flüssen Dnister und Pruth, die heute fast identisch ist mit dem Gebiet der Republik Moldau (ohne Transnistrien). Bessarabien gehörte seit 1812 zum Russischen Kaiserreich und zwischen 1918 und 1940 zum Königreich Rumänien.
Königreich Rumänien, proklamiert am 26. März 1881. 1947 wird es aufgelöst und von der Volksrepublik Rumänien abgelöst. Letzter König ist Karl II.
Grossrumänien: Das Königreich Rumänien in der Zeit seiner grössten Ausdehnung, also zwischen 1919–1940. Zu Grossrumänien gehörte Bessarabien, also die heutige Moldau (ohne Transnistrien). Grossrumänien verfügte über ein Territorium von 294.967 km².
Gagausien ist ein im Süden der Moldau gelegenes autonomes Gebiet mit weitreichender Autonomie. Es ist die Heimat der turksprachigen Volksgruppe der Gagausen.