Ihre Mutter war eine Genfer Schriftstellerin, ihr Vater ein spanischer Maler. Caterina Bueno, die jetzt 80 Jahre alt geworden wäre, gehört zu den anspruchsvollsten und einzigartigsten italienischen Folk- und Protestsängerinnen. Berühmt wurde sie mit «Bella ciao». Doch sie war weit mehr als eine Sängerin.
Am 9. November 1932 – in Deutschland kamen die Nazis an die Macht – demonstrierten in der Genfer Rue de Carouge etwa 8000 Faschisten. Sie versammelten sich um den Frontisten Georges Oltramare, den Führer der rechtsextremen «Union Nationale». Die sozialdemokratische und die kommunistische Partei hatten zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Plötzlich schossen Schweizer Rekruten in die linken Demonstranten und Demonstrantinnen. 13 von ihnen wurden getötet, über 60 verletzt.
Aufgewühlt von den Ereignissen war unter anderem die 16-jährige Julie Chamorel. Sie schloss sich der kommunistischen Bewegung an, trat dann aber 1937 enttäuscht aus der Partei aus und wurde zur geachteten Schriftstellerin. Der Arbeiterbewegung und dem Pazifismus blieb sie ein Leben lang treu. Diese Gesinnung vermittelte sie ihrer Tochter Caterina Bueno, die 1943 in Fiesole bei Florenz geboren wurde.
Wiederentdeckte Volkslieder
Schon als 16-jährige trat Caterina mit ihrer Gitarre auf den Märkten rund um Florenz auf und verblüffte mit ihrer starken Stimme.
Doch Caterina Bueno war weit mehr als eine begnadete Folksängerin: Schon früh begann sie nach alten toskanischen Volksliedern zu forschen. Sie ging in abgelegene Dörfer und liess sich meist vergessene Lieder vorsingen. Diese nahm sie in ihr Repertoire auf und hauchte ihnen neues Leben ein. So trug sie mit ihrer Forschungstätigkeit wesentlich zum heutigen stolzen toskanischen Liedergut bei.
«Bella ciao»
Im Sommer 1964 – Caterina Bueno war 21 Jahre alt – fand im umbrischen Städtchen Spoleto ein Musikfestival statt, das in die Annalen der italienischen Folk- und Protestmusik einging.
Präsentiert wurde das wiedererweckte Partisanenlied «Bella ciao» – eine linke Protesthymne, die die Welt eroberte und ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert stammt. Umrahmt wurde der Bella ciao-Titelsong von mehreren anderen, wiederentdeckten Volksliedern.
«Maremma amara»
Das Festival von Spoleto brachte Caterina Bueno den Durchbruch. Sie sang nicht nur im Chor der Bella-Ciao-Interpreten: Sie präsentierte das traurige Lied «Maremma amara» – bittere Maremma. Das längst vergessene Volkslied hatte ihr ein alter Man in den Bergen von Pistoia vorgesungen. «Maremma amara – tutti mi dicono Maremma» wurde zum berühmtesten Lied von Caterina Bueno.
Die von Caterina Bueno schwermütig besungene Maremma war lange Zeit eine der ärmsten Regionen Italiens. Tausende Arbeiter und Arbeiterinnen starben auf dem teils sumpfigen, mit Malaria verseuchten Küstenstreifen, der von Livorno bis Capalbio reicht. Schon Dante sprach vom «Fluch der Maremma». («Die Maremma zerstörte mich», Divina Commedia, Purgatorio, Canto V).
In Caterina Buenos Lied heisst es: «Mücken, Insekten, brennende Sonne, harte Arbeitsbedingungen. Liebe Mutter, welch ein Leiden, ich flehe dich jeden Tag an. Der Vogel, der dorthin fliegt, verliert seine Federn. Ich habe dort einen geliebten Menschen verloren. Verflucht sei die Maremma.»
Gesungen wurde das Lied später auch von Gabriella Ferri, Amália Rodrigues, Maria Carta und Gianna Nannini.
«Gigina cara, Gigina bella»
Berühmt auch der Bella-ciao-Canto «Partire partirò, partir bisogna», ein Stück aus dem 18. Jahrhundert, das von der Zeit handelt, als Italien unter der Herrschaft von Napoleon Bonaparte stand. Ein junger Mann klagt, dass er in den Krieg einberufen wurde und seine geliebte «Gigina cara, Gigina bella» verlassen muss.
Jetzt war Caterina Bueno berühmt. Kein Superlativ fehlte, wenn ihre feste, tiefe, ruhige Stimme beschrieben wurde: «göttlich», «vollendet», «einzigartig», «vollkommen» «unbeschreiblich», «che voce meravigliosa».
Schon früh hatte sie sich dem «Nuovo Canzoniere Italiano» angeschlossen. In ihren Balladen und Kampfliedern sang sie von den armen Leuten, die auf den Feldern geschlagen werden, von Arbeitslosen, die nach Amerika emigrieren wollen, von Krankheit und Tod, von Knechtschaft und Sklaverei. Einmal berichtet sie von einem blinden alten Mann, der von einem Kind auf einen Markt geführt wird und dort alte Lieder singt.
Ein Stück Brot, ein Apfel, kaputte Schuhe
Caterina Bueno sang vom «Trenino della Leggera». Dieser Eisenbahnzug brachte verarmte Arbeitslose auf die Felder der Maremma. Sie hatten nichts dabei ausser einem Stück Brot, einem Apfel und kaputten Schuhen. Ihre Habseligkeiten waren «leicht», «leggero», deshalb der Name des Zugs. Caterina hatte dieses sechs Minuten lange Volkslied am Fusse des Apennin in der toskanischen Provinz Arezzo wiederentdeckt.
Und sie sang wunderschöne Liebeslieder. Ein Text bezieht sich auf eine toskanische Redensart.
«Fünfhundert Ketten aus Gold / haben dein Herz an das meine gefesselt / und haben es zu einem so festen Knoten gemacht / dass weder du noch ich ihn lösen werden.»
Mit Umberto Eco und Dario Fo
Caterina Bueno wurde schnell weit über die Toskana und weit über Italien hinaus berühmt. Die Auftritte im Ausland häuften sich. Sie arbeitete mit Umberto Eco und dem Nobelpreisträger Dario Fo zusammen. Im Dezember 1973 und im Januar 1974 trat sie vier Mal im Tessiner Fernsehen auf. 1977 demonstrierte sie gegen das geplante Thermonuklearkraftwerk in der Maremma. Daraufhin durfte sie mehrere Jahre nicht mehr am italienischen Fernsehen auftreten. 1979 nahm sie am Folkfestival in Lenzburg im Kanton Aargau teil.
Caterina Bueno wurde mit Preisen überhäuft. Die Stadt Florenz verlieh ihr den «Fiorino d’oro», die höchste Auszeichnung, die die Stadt an Persönlichkeiten vergibt.
«Und mit dem Morgen kam ein Engel»
Schon früh trat sie mit Francesco de Gregori auf, einem der heute berühmtesten italienischen «Cantautore» (Liedermacher). De Gregori ehrte sie 1982 mit dem Lied «Caterina».
Am 1. September 2006 gab sie ihr letztes öffentliches Konzert in San Giuliano Terme bei Pisa. Sie starb am 16. Juli 2007 nach kurzer Krankheit überraschend im Alter von 64 Jahren in Florenz und ruht auf dem Florentiner Friedhof Monteripaldi. Zwei Jahre später starb ihre Genfer Mutter, die ihr Leben geprägt hatte.
Als sich die Meldung von Caterinas Tod verbreitete, spielten die italienischen Radiostationen Francesco de Gregoris Caterina-Lied. Darin heisst es: «Und dann kam der Morgen, und mit dem Morgen kam ein Engel, und dieser Engel warst Du.»
An diesem 2. April wäre der Engel 80 Jahre alt geworden.
Maremma amara, Caterina Bueno, 1964
Tutti mi dicon Maremma, Maremma
Ma a me mi pare una Maremma amara
L'uccello che ci va perde la penna
Io c'ho perduto una persona cara.
Sia maledetta Maremma Maremma,
sia maledetta Maremma e chi l'ama
Chi va in Maremma e lassa l'acqua bona
Perde la dama e mai piú la ritrova,
Chi va in Maremma e lassa la montagna
Perde la dama ed altro non guadagna.
Sia maledetta Maremma Maremma,
sia maledetta Maremma e chi l'ama.
Caterina, Francesco di Gregori. 1982
E poi arrivò il mattino
E col mattino un angelo
E quell'angelo eri tu
Con due spalle da uccellino
In un vestito troppo piccolo
E con gli occhi ancora blu
...
Caterina questa tua canzone
La vorrei veder volare
Per i tetti di Firenze
Per poterti conquistare