Jetzt also ist alles vorbei. Der liebe Gott atmet auf. Endlich kehrt wieder der Alltag ein. Es war eine harte Zeit, nicht nur in Brasilien, sondern auch oben im Himmel.
Da betet der amtierende göttliche Stellvertreter auf Erden und bittet um einen Sieg der Argentinier. Da betet auch sein emeritierter Assistent und fleht um einen deutschen Titel.
Oh Gott, seufzt der liebe Gott, was soll das denn?
Die italienischen Zeitungen sprechen von einem „Duell der beiden Päpste“. Sie zeigen Franziskus und Benedikt beim Gebet. Der Corriere della sera spricht vom „Finale dei due Papi“. Franziskus betet: „Signore, la finale all'Argentina“. Benedikt: „Dio mio, la finale alla Germania ».
Das Theater begann schon beim Eröffnungsspiel. Da klang die brasilianische Nationalhymne. Die Spieler harrten auf dem heiligen Rasen des Maracanã--Stadions. Einige schlossen die Augen. Andere bekreuzten sich. Die meisten beteten. „Lieber Gott, hilf, dass wir dieses Spiel gewinnen.“
Dann die kroatische Nationalhymne. Die Spieler harrten andächtig auf dem heiligen Rasen des Maracanã-Stadios. Einige schlossen die Augen. Andere bekreuzten sich. Die meisten beteten: „Lieber Gott, hilf, dass wir dieses Spiel gewinnen.“
So ging es weiter, Spiel um Spiel. Der Italiener Pirlo streichelte das umgehängte Kreuz. Im Tor des brasilianischen Torhüters Julio César lag ein Rosenkranz. Spanische Spieler waren vor der Reise nach Brasilien nach Santiago de Compostela gepilgert, die Kroaten nach Medugorje. Der argentinische Stürmer Lavezzi soll zwei Wochen auf Sex verzichtet haben – um dem lieben Gott zu gefallen.
Alle flehten ihn an, ihn dort oben. Was sollte der liebe Gott nur tun?
Wem sollte er helfen, einer muss ja schliesslich gewinnen. Den einen helfen und den andern nicht? Das ist unchristlich
Sollte er jene gewinnen lassen, die einen guten Lebenswandel führen? Einen guten Lebenswandel führt keiner dieser Spieler. Sie verdienen Millionen, verprassen sie und führen sich auf, als wären sie selbst der liebe Gott. Das konnte dem lieben Gott, dem richtigen, nicht gefallen.
Er steckte in der Zwickmühle wie seit langem nicht mehr. Der liebe Gott rief seine Berater zusammen.
Ein Heiliger meint, man müsse endlich selbstkritisch sein. Dass das katholische Portugal, das katholische Spanien und das ebenso katholische Kroatien so früh vom Platz gefegt wurden, sei ein göttlicher Fehler gewesen. „Vor allem die Italiener“, sagt der Heilige, „dort sitzen ja immerhin – im Multipack - Franziskus und Benedikt“.
Und dass die Schweizer gegen Argentinien verloren, sei eine himmlische Torheit gewesen. Schliesslich hätte die Schweiz ein Kreuz im Wappen. Und Costa Rica. „Dort lebt ja immerhin Floribeth Mora Diaz die Frau, die Papst Johannes Paul II. zum Neuling in unserer Runde erkoren hat“.
„Ja, wir haben versagt“, ruft der heilige Genesius von Arles. Die Diskussion wird lauter. „Was verstehst du schon von Fussball?“ erwidert der heilige Aloysius. „Du kennst ja nicht einmal die Offside-Regel“. „Du bist mir ein schöner Heiliger“ schreit der heilige Ueli. „Die Besten gewinnen eben“, kommentiert nüchtern der Heilige Xaver. „Was für ein Unsinn“, rüffelt ihn San Federicus, „du weisst genau, dass die Hinterhältigsten und Korruptesten auf der Welt da unten gewinnen, auch im Fussball“. „Ihr seid schöne Christen“, fotzelt der heilige Habakuk.
Jetzt wird es dem lieben Gott zu viel. „Basta. So kommen wir nicht weiter“, sagt er. „Hört auf mit eurem weltlichen Gezänke. Machen wir Nägel mit Köpfen: Die Argentinier flehen mich an – und die Bayern flehen mich an, vor allem der Oberbayer Schweini. Wem helfe ich?“
In der heiligen Arbeitsgruppe sind die Meinungen geteilt: Sieben, die eher Progressiven, sind für die Argentinier und ihren eher progressiven Franz, Sieben für die Deutschen und ihren Ex mit seinen etwas angejahrten Ansichten. „Geben wir doch zu“, sagt Sankt Sankt Sebastian, der Schutzpatron von Rio de Janeiro, „wir stehen im himmlischen Schilf und wissen nicht weiter“.
Der liebe Gott, seufzt. Eigentlich möchte er schon eingreifen, doch – oh Schreck: „Ich verstehe nichts von Fussball“.
„Wieso müssen wir uns immer entscheiden“, sagt er plötzlich, „Fussball ist doch kein Lebensinhalt, überlassen wir doch alles dem Zufall“.
„Zufall gibt es nicht, alles ist göttliche Fügung“, weist ihn der heilige Toni zurecht, während er den Fernseher einschaltete und auf das Spiel Argentinien-Deutschland wartet.
Auch der liebe Gott muss konstatieren: man kann es nicht allen recht machen.
„Lasst mich allein“ sagte er. Gelangweilt strich er über seinen weissen Bart und trank einen Schluck Apfelsaft.