Castellinaldo d’Alba ist eine kleine Gemeinde mit tausend Einwohnern in der Provinz Cuneo im Piemont. Hier wohnt Battista Battaglino. Er ist 63 Jahre alt und pensioniert.
Von seinem Vater hat er einen kleinen Weinberg geerbt, etwa eine Hektare gross. Er liebt seine Reben, er pflegt sie mit Aufopferung und Hingebung. Chemie setzt er keine ein. Maschinen auch nicht. Alles Handarbeit.
Und plötzlich wurde er berühmt
Am 23. September war es Zeit, die Trauben zu ernten. Ein guter Tropfen stand ins Haus, denn das Wetter spielte dieses Jahr mit. Er stand früh auf, und vier alte Freunde aus dem Dorf halfen ihm. Sie sammelten die Trauben in farbigen Eimern, sie lachten, sie erzählten sich Geschichten von früher. Wie jedes Jahr.
Und plötzlich wurde Battista Battaglino aus dem Tausend-Seelen-Nest Castellinaldo im ganzen Land berühmt.
Denn plötzlich fielen Polizisten in dem Weinberg ein und umringten die fünf Männer. Ein Inspektor tauchte auf. Strenge Worte fielen. „Wie Kriminelle wurden sie behandelt“, erzählte später die Frau von Battista. Die Männer mussten ihre Ausweise zeigen. Der Inspektor füllte grimmig einen Rapport aus.
Fast 20'000 Euro Busse
Battista Battaglino wurde gebüsst. Delikt: Beschäftigung von Schwarzarbeitern. Busse: 19'500 Euro, 3'900 für jeden, plus Schreibgebühren. Jeder Widerstand war zwecklos, jede Erklärung ebenfalls.
Nie hat sich Battaglino in seinem Leben etwas zuschulden kommen lassen – und jetzt fast 20'000 Euro Busse. Wie soll er das bezahlen?
Die Italiener sind sich in Sachen Behördenwillkür einiges gewöhnt. Doch diesmal schrien sie auf. Der Bürgermeister wurde kontaktiert, Unterschriften für Petitionen wurden gesammelt, Anwälte stiegen auf die Barrikaden, Abgeordnete im Römer Parlament wurden angeschrieben.
Verschrobenheiten, Groteskereien
Dann kamen das Lokalfernsehen und die Zeitungen: La Gazzetta d’Alba, La Stampa, Il Giornale, die italienische Huffington Post, Il Quotidiano, La Repubblica, der Corriere della sera und alle andern.
Oberster Verantwortlicher für den Überfall im Weinberg Gottes war Maurizio Martina. Er ist Minister für Landwirtschafts-, Ernährungs- und Forstpolitik in der Regierung von Matteo Renzi – dem gleichen Renzi, der versprochen hat, das alte Italien mit all seinen lächerlichen Verschrobenheiten und Groteskereien zu verschrotten.
Doch der Minister in Rom hatte das Recht auf seiner Seite. Schwarzarbeit ist in Italien weitverbreitet.
Schwarzarbeit gehört zu Italien wie die Pasta
Kaum ein Italiener arbeitet nicht ein wenig schwarz, irgendwo. So will man am Abend oder am Wochenende das oft bescheidene Einkommen ein wenig aufbessern. Studentinnen und Studenten finanzieren sich so ihr Studium. Schwarzarbeit in kleinem Stil gehört zu Italien wie die Pasta und das sole mio.
Doch es gibt Schwarzarbeit und Schwarzarbeit. Viele Unternehmen stellen gerne Schwarzarbeiter ein, denn sie sind billiger als die Italiener. Immigranten aus dem Osten oder aus Afrika verdingen sich zu Dumpinglöhnen. Da sie keine Steuern zahlen, entgehen dem Staat riesige Summen an Steuereinnahmen. Zudem fördern sie die Arbeitslosigkeit der Italiener.
Vor allem auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder in den Küchen der Restaurants werden oft ausländische Schwarzarbeiter beschäftigt. Auch viele Haushaltshilfen oder Altenpflegerinnen arbeiten schwarz. Natürlich zahlen sie auch keine Sozialabgaben - und versichert sind sie auch nicht.
Um der Plage Herr zu werden, haben Inspektoren begonnen, eigentliche Razzien durchzuführen. Plötzlich stehen sie da: auf der Baustelle, auf dem Feld, in der Küche der Restaurants, in den Altersheimen – und sie verlangen Ausweise und Papiere.
Die Immigranten singen nicht
Auch auf den riesigen, kommerzialisierten Weingütern des Landes findet man Schwarzarbeiter. Meist sind es Rumänen oder Bulgaren. Sie erhalten sechs bis acht Euro die Stunde. Im Süden manchmal weniger.
Die Zeit der romantischen Weinlese geht auch in Italien zu Ende. Der Kostendruck, die Konkurrenz und die Überproduktion verlangen schnelle und harte Knochenarbeit. Früher wurde in den Weinbergen gesungen und gelacht. Die Weinlese war ein Fest, auf das man sich das ganze Jahr freute.
Die Immigranten singen nicht, sie brauchen Geld. Immer mehr pflügen sich auch riesige Maschinen durch die Reben und reissen die Trauben von den Rebstöcken. Der Wein ist längst zu einem Industrieprodukt geworden.
"Wo bleibt der gesunde Menschenverstand?"
Doch noch gibt es sie, die kleinen, nicht kommerzialisierten Familienbetriebe. Da ist es üblich, dass man sich hilft. Es gehört zu den schönen Eigenschaften der italienischen Landbevölkerung, dass man sich beisteht. Mal hilft der, mal der andere: „Darsi una mano“ („zur Hand gehen“).
Die ganze Familie hilft mit, die anziani, die Pensionierten. Man lädt Freunde ein, man erzählt sich Anekdoten, man klatscht, man singt die alten Lieder. Einige Schulen geben den Kindern gar frei, damit sie mithelfen können. Und am Abend sitzt man zusammen, leert einige Flaschen und die Nonna bereitet Gnocchi mit einer Wildschwein-Sauce zu und einen Coniglio mit Safran - oder zwei oder drei.
Niemand stört sich daran, dass die Finanzpolizei Razzien auf den kommerziell bewirtschafteten riesigen Weingütern durchführt. Und bei Battista Battaglino und seinen vier Freunden in Castellinaldo? „Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand?“ fragt der Corriere della sera.
Der Minister dachte nochmals nach
Dem Herrn Minister wurde die ganze Aufregung dann doch zu viel. All die Zeitungen, mit all der Häme, die er ertragen musste. Bald kam er sich doch etwas lächerlich vor.
Da dachte der Minister nochmals nach – und er annullierte die Busse.
Doch der Spott hört nicht auf. Inzwischen haben die Zeitungen herausgefunden, dass der Herr Minister selbst gebüsst werden sollte. Im vergangenen Jahr nahm er an der Weinlese auf der italienischen Insel Pantelleria teil. Medienwirksam, vor laufenden Kameras, las er weisse Zibibbo-Trauben für den Moscato di Pantelleria – ganz illegal, ohne Arbeitsvertrag, ohne Versicherung: Schwarzarbeit.