Terrence Malick, 1943 geboren, ist bekannt dafür, daß er für Interviews und Erklärungen nicht zu haben ist und sein Privatleben für sich behält. Er gibt sich exklusiv und hat keine extensive Filmographie.
Dafür enthält diese einige Klassiker wie „Badlands“ (1973) oder “The Thin Red Line“ (1998, nach einer 20-jährigen Drehpause) – beide zeichnen sich durch Bilder und Szenen aus, welche Atmosphärisches stark und genau wiedergeben. „Badlands“ erzählt von entwurzelten Halbwüchsigen im amerikanischen Midwest. “The Thin Red Line“ schildert den soldatischen Alltag zwischen Todesangst und Indifferenz am Beispiel der Schlacht der US-Armee um die südwestpazifische, von Japan besetzte Insel Guadalcanal (1942/43). „The Tree of Life“ nun ist nach sechs Jahren Drehpause (seit „The New World“ von 2005) mit Spannung erwartet und an den Filmfestspielen 2011 in Cannes erstmals gezeigt – und mit der Palme d’Or ausgezeichnet – worden.
"Sorry Dad"
Auch der „Tree of Life“ ragt durch seine atmosphärische Stärke hervor. Er beginnt mit Dunkel, einigen Lichterscheinungen und einem Text aus dem Buch Hiob „Wo warst Du, als ich die Erde gründete?“ (38. 4, so antwortet der Herr dem hadernden Hiob „aus dem Wetter“). Dann öffnet sich das Auge der Kamera auf Menschen, eine Familie im Texas der 1950er Jahre: Vater (Brad Pitt), Mutter (Jessica Chastain) und drei Buben, und gleich zu Anfang der Einbruch des Unglücks – einer der Buben ist tot. Bruchstücke von Tröstungen, von Verzweiflung, die Erinnerung an eine Bagatelle, welche als schuldhaft erlebt wird, Stummheit. Es folgen Bilder und Szenen aus dem Leben der geschlagenen Familie, untermischt mit Bildern von Vogelschwämen, Gestirnen, Zellen, von der Entstehung des Lebens, Stimmen, religiöser Musik und religiösen Texten. Der älteste Sohn wird als Erwachsener in einer modernen Erfolgsumgebung gezeigt (Sean Penn) – zerknirscht über den Zustand der Welt und sich zurückerinnernd – „sorry, Dad“.
Die Familie der 50er Jahre ist offenbar erbarmungslos im Entweder-Oder von „grace“ und „nature“, zwischen dem Gebot christlicher Demut und dem Gesetz des Sich-Durchsetzen-Müssens ausgespannt gewesen. Auf das anfängliche Glück folgt der berufliche Mißerfolg des Vaters, Verfinsterung, Anfechtung, Zerwürfnis. Da zeigt sich Malicks Kunst: kurze Szenen, Gesichter, Explosionsgefahr am Familientisch, Interieurs, dann Situationen, wie sie in Home-Movies vorkommen, eine Geburt, die drei Buben auf den Bäumen – immer wieder Bäume – Kinderspiele. Blicke auf Heranwachsen, Erziehung zu Gottgefälligkeit und Boxen, erwachende Triebhaftigkeit der Buben, Glücksmomente, Rede von Lügen, Gebete – die Darstellenden sind gut, die Buben erstaunlich.
Statt einer üblichen Erzählung genießt das Publikum interessante Perspektiven, eine exquisite Kamera und überraschende Schnitte. Tiefere Einblicke in die Familiendynamik zu geben, liegt nicht in der Absicht der Regie. Insgesamt begreift man, daß der Vater seinen Kampf um Autorität und Güte allmählich verliert und zum gereizten, zu Gewaltausbrüchen neigendem, von den eigenen Kindern gehasstem Mann wird. Die wortlos urteilende Mutter bleibt, vom Drehbuch ungeschoren, fraglos die geliebte Bezugsperson der Söhne. Ich bin aber – und wohl nicht als Einzige, denn auch die Presseunterlagen verzichten auf Erklärungen – nicht sicher, ob das nun alles im Sinne des Autors wiedergegeben ist.
Natur und Gottheit
Am Ende wird Versöhnung möglich – finden sich Familie und menschliches Schicksal eingebettet in das Große Ganze von Werden und Vergehen, Licht und Dunkel, kosmische Ordnung – und die Ewigkeit der Liebe: „unless you love, life will flash by“.
Insgesamt kann aber der über zwei Stunden lange Film mit seinem unersättlichen musikalischen und filmischen Pathos und einer spirituell-belehrenden Tendenz ermüden und dezidierte geschmackliche Widerstände wecken. Zumal die Idee, menschliche Schicksale in den Rahmen eines grösseren Ganzen von Natur und Gottheit zu setzen, für Hollywood vielleicht neu ist, in Produktionen aus nichtwestlichen Ländern jedoch ganz üblich – man denke an den wunderbaren „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ des Thailänders Apichatpong Weerasethakul (2010), der die Goldene Palme von Cannes letztes Jahr gewonnen hat.
Die Schilderung zerrissener Einzelschicksale auf dem Hintergrund einer fragmentierten Welt ist wohl eher Malicks Stärke als die Einbettung psychischen und sozialen Elends in eine religiöse und naturmystische Geborgenheit.