Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella blieb standhaft. Er will sich dem Diktat des Rechtspopulisten Matteo Salvini nicht fügen. Salvini verlangte, dass der 82-jährige Paolo Savona Wirtschaftsminister wird. Savona ist ein harscher Gegner des Euro und der EU. Zudem stellt er die deutsche Regierung von Angela Merkel immer wieder in die Nazi-Ecke.
Giuseppe Conte, der designierte Regierungschef, fuhr am Sonntagabend auf den Quirinal, einen der sieben Hügel Roms. Dort befindet sich der Sitz von Staatspräsident Sergio Mattarella. Conte präsentierte dem Staatschef die Liste mit den Ministern, die Salvini und der Cinque Stelle-Chef Luigi Di Maio ausgearbeitet hatten. Auf dieser Liste figurierte Paolo Savona als Wirtschaftsminister.
„Ich gebe nicht nach“
Salvini gab sich seit Tagen unnachgiebig und stellte dem Staatspräsidenten ein Ultimatum. Wenn Savona nicht Wirtschaftsminister wird, sagte er, werde alles auffliegen. Dann gebe es Neuwahlen. Noch am Sonntagmorgen schrieb er in einem Tweet. „Ich gebe nicht nach, bis zum Schluss.“
Der 76-jährige Mattarella liess sich nicht beeindrucken. Er forderte einen anderen Wirtschaftsminister. Giuseppe Conte merkte, dass er eigentlich gar nichts zu sagen hat und so keine Regierung bilden kann.
Hüter über die Verfassung
Savona konterte noch am Sonntag die Vorwürfe, er sei ein eingefleischter Anti-Europäer. „Ich möchte ein anderes Europa“, liess er verlauten. „Ein stärkeres, aber gerechteres Europa“. Doch diese späte Phrase beeindruckte Mattarella offensichtlich nicht mehr. Savona hat in seinen Erklärungen und Büchern immer wieder seine tiefe Abneigung gegen den Euro und die EU kundgetan. „Nur wenn die Verträge mit der EU neu ausgehandelt werden, kann Italien in der EU bleiben“ schrieb er.
Der italienische Staatspräsident hat die verfassungsmässige Pflicht, als oberster Hüter darüber zu wachen, dass die Regierung die Verfassung einhält. Italien hat sich nun einmal zum Euro und zur EU bekannt – ebenso dazu, die Schulden möglichst tief zu halten. Wenn nun eine Regierung offen hinausposaunt, sie wolle den Euro und die EU-Mitgliedschaft in Frage stellen und mehr Schulden machen, dann muss der Staatspräsident einschreiten. Und wenn diese Regierung einen Wirtschafsminister designiert, der explizit den Euro und die EU als Übel bezeichnet, konnte Mattarella gar nicht anders handeln.
„Das ist nicht das Ende“
Die Lega und die Fünf Sterne reagierten brüsk. Luigi Di Maio erklärte am Abend: „Die Wahrheit ist doch, dass man die Cinque Stelle nicht in der Regierung haben will. Ich bin sehr verärgert. Aber das ist nicht das Ende“. Was er damit auch immer meint.
Und Salvini kommentierte: „Wahlen zählen offenbar nichts mehr. Man setzt sich über den Wählerentscheid hinweg“.
Mattarella hat nun für Montag den Wirtschaftsfachmann Carlo Cottarelli zu einem Gespräch aufgeboten. Cottarelli arbeitete lange Jahre für die italienische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds.
Angriff auf die „Institution Staatspräsident“
Doch es ging nicht nur um den Euro und die EU. Salvini, der sich als neuer starker Mann gibt, stellt die Autorität des Staatspräsidenten in Frage. Sein Kampf für Savona war eine Kampfansage an die „Institution Staatspräsident“. Salvini und auch Di Maio wollten demonstrieren, dass sie an der Macht sind und das letzte Wort haben – und nicht der Staatspräsident. Hätte Mattarella nachgegeben, hätte die Institution Staatspräsident schweren Schaden erlitten.
Der Kampf des oft ausfälligen, fremdenfeindlichen, teils rechtsextremen Urpopulisten Salvini kommt in Teilen der Bevölkerung gut an. Da ist einer, heisst es, der gegen die verlogene „classe politique“ kämpft und die Institutionen einreissen will. Diese classe politique sei schuld daran, dass es der Bevölkerung schlecht gehe. Salvinis Sprüche fallen in weiten Kreisen auf fruchtbaren Boden. Er ist bereit, aus wahltaktischen Gründen die Institutionen des Staates zu opfern oder zumindest arg zu beschädigen. Da unterscheidet er sich nicht von Trump und europäischen Populisten.
Putin freut's
Auch wenn sich jetzt Salvini und Di Maio noch nicht durchgesetzt haben. Noch sind sie nicht erledigt. Sollte es Neuwahlen geben, werden sie vermutlich erneut als stärkste Kräfte abschneiden und ihre Anti-EU-Politik weiterbetreiben. Einer freut sich darüber besonders: Wladimir Putin. Eine gebeutelte und geschwächte EU ist eines seiner Hauptziele. Und auf Salvini und Di Maio kann er zählen: die beiden haben bereits klargemacht, dass sie die Sanktionen gegen Russland umgehen wollen – ein harter Schlag für die EU-Aussenpolitik.
Theoretisch könnte jetzt Salvini nachgeben und einen Wirtschaftsminister vorschlagen, der Mattarella genehm ist. Doch der Lega-Chef hat sich in seiner harten Forderung derart verrannt, dass er das Gesicht verlöre, würde er jetzt nachgeben.
Neuwahlen?
Und jetzt? Mattarella könnte eine sogenannt technische Regierung einsetzen, also eine Regierung aus Fachkräften. Diese würde bis zu den nächsten Neuwahlen die Geschäfte führen.
Oder eben: Neuwahlen. Diese könnten noch vor der Sommerpause stattfinden. Doch der neue Urnengang würde wohl nicht viel Neues bringen. Laut den jüngsten Meinungsumfragen kommt die Lega auf knapp 23 Prozent und die Cinque Stelle auf über 30 Prozent. Das gäbe eine komfortable Regierungsmehrheit.
Die Lega-Wähler werden wohl auch bei Neuwahlen wieder hinter Salvini stehen. Ob die Mehrheit des sehr heterogenen Cinque Stelle-Volkes weiterhin die harte Politik Salvinis befürwortet, ist eher fraglich. Die Gefahr für die Fünf Sterne besteht nun darin, dass ihnen viele Anhänger davonlaufen. Doch zu wem? Zu Berlusconi, dessen Zeit nun endgültig zu Ende geht? Zu den Linken, die nach wie vor pathetisch zerstritten sind? Oder zu den postfaschistischen „Fratelli d'Italia“? Italien bräuchte endlich eine neue, starke, saubere Mitte-Partei. Doch eine solche ist nicht in Sicht.
P.S. Nach dem Scheitern der geplanten populistischen Koalition in Italien hat der Wirtschaftsexperte Carlo Cottarelli den Auftrag zu einer Regierungsbildung bekommen. Präsident Sergio Mattarella erteilte dem ehemaligen Direktor beim Internationalen Währungsfonds am Montag das Mandat, eine Übergangsregierung zusammenzustellen, die das Land zu einer Neuwahl führen könnte.