In beiden Ländern gelang es im letzten Moment, Kompromisse zu schliessen. So können bürgerkriegsähnliche Zustände fürs erste verhindert werden. Doch die Abkommen sind fragil. Nachhaltig sind sie möglicherweise nicht.
In Jemens Hauptstadt Sanaa wird seit dem 18. August demonstriert und gekämpft. Rebellen der Huthis haben die Stadt in Beschlag genommen. Jetzt ging es darum, die Gewaltspirale zu durchbrechen.
In Afghanistan wurde der monatelange Streit nach der Präsidentschaftswahl beendet. Der Kompromiss sieht vor, dass beide der bisherigen Rivalen gemeinsam regieren sollen. Ashraf Ghani, der laut der Wahlkommission am meisten Stimmen erhielt, wird Präsident. Sein Widersacher Abdullah Abdullah erhält die Kompetenz, den künftigen Regierungschef zu ernennen. Der Präsident steht dem Kabinett vor, der Regierungschef dem Ministerrat.
Jemen: Aufständische in die Regierung
In Jemen soll nach den Vereinbarungen "in den nächsten drei Tagen" eine provisorische Übergangsregierung gebildet werden. Ihr sollen die Huthis und die südlichen Separatisten oder Autonomisten von "Hirak" angehören.
Diese haben später einer Regierung aus Technokraten zu weichen. Sie soll dann die vielen geplanten Reformen durchführen, die auf dem Papier im vergangenen vom jemenitischen sogenannten „Nationalen Dialog-Kongress“ beschlossen worden waren. Bisher wurde kein einziger dieser Reformvorschläge verwirklicht.
Keine genauen Texte
Sowohl in Afghanistan als auch in Jemen wurde der Wortlaut der erzielten Kompromisse nicht veröffentlicht. Sie sind deshalb nur in groben Zügen bekannt. Offenbar konnte man sich weder in Kabul noch in Sanaa auf Details einigen.
Da die Zeit drängte und man einen Sturz ins Chaos verhindert wollte, entschloss man sich, die Kompromisse nur in ihren Umrissen zu veröffentlichten. Das könnte später neuen Streit auslösen. Vor allem amerikanische Diplomaten und Uno-Abgesandte drängten die Konfliktparteien zum Einlenken. Im Falle von Jemen waren es auch die Erdölstaaten am Golf.
„Wahlfälschung in industriellem Ausmass“
In Afghanistan ist zunächst abzuwarten, ob Abdullah Abdullah, der Rivale des nun ernannten Präsidenten Ghani, sich selbst zum Regierungschef ernennen wird, oder ob er einen seiner Anhänger dazu bestimmt.
Das zweite scheint wahrscheinlicher. Man kann sich schwer vorstellen, dass er bereit sein könnte, unter Ashraf Ghani zu dienen. Er hatte ihn bitter bekämpft und ihm "Wahlfälschung in industriellem Ausmass" vorgeworfen.
Aus 13% werden 3%
Wie die umstrittene Wahl wirklich ausgegangen war, wurde nicht veröffentlicht. Die Wahlkommission erklärte nur, Ghani habe gewonnen. Nach der Wahl hiess es, Ghani habe einen Vorsprung von 13 Prozent auf Abdullah.
Die nun seit Wochen dauernde Nachzählung der acht Millionen Stimmen hat nun aber laut unbestätigten Berichten ergeben, dass der Vorsprung auf drei Prozent zusammengeschmolzen ist. Doch diese unter der Hand gehandelten Informationen wurden nicht offiziell publik. Ghani wollte offenbar nicht, dass bekannt wird, dass zehn Prozent der Stimmen, die für ihn abgegeben wurden, gefälscht waren.
Die „Duarchie“ von Kabul
Nachdem der Regierungschef ernannt sein wird, sollen Ghani und Abdullah alternativ die wichtigsten Minister ernennen. Die weniger wichtigen Portfolios sollen dann nach Qualifikationskriterien verteilt werden. Soviel ist bekannt. Wie das ganze funktionieren wird, bleibt abzuwarten.
Ferner wurde bekannt, dass beide Rivalen übereingekommen sind, dass die nächsten Wahlen besser organisiert werden müssen. Schon in einem Jahr sind Parlamentswahlen fällig. Dann sollen die Afghanen elektronische Wählerausweise erhalten. Eine Kommission, die das Wahlprocedere organisieren soll, wurde bereits ernannt.
Ohne die Amerikaner wird das Geld fehlen
Entscheidend ist jetzt, ob Afghanistan mit den USA einen Vertrag für die Zeit nach dem Abzug der US-Truppen unterzeichnet. Ohne einen solchen Vertrag dürfen laut amerikanischem Gesetz keine amerikanischen Truppen in Afghanistan bleiben. Mit einem Vertrag werden die meisten abziehen, aber einige können bleiben. Sie haben dann den Auftrag, die afghanische Armee weiter auszubilden.
Der abtretende Präsident Karzai weigerte sich, einen solchen Vertrag mit Washington zu unterschreiben. Um den Vertrag zu unterzeichnen, braucht man jetzt dringend einen afghanischen Präsidenten und eine Regierung. Ghani und Abdullah haben sich für ein Abkommen mit Washington ausgesprochen.
Drohender Bankrott
Wenn Amerikaner im Land bleiben, ist eher gesichert, dass die versprochenen amerikanischen - und europäischen - Hilfsgelder tatsächlich weiter nach Kabul fliessen. Dies ist wahrscheinlich noch wichtiger für das Land als die Ausbildung der Soldaten. Denn Afghanistan fehlen die Einkünfte, um seine Armee und seine Beamten zu bezahlen. Wenn das Geld nicht von aussen kommt, bricht der Staat zusammen. Wenn es kommt, so glauben jedenfalls die Afghanen in Kabul, besteht eine Chance, dass die Taliban das Land nach Abzug der Amerikaner nicht sofort überrennen. Dieser Abzug soll am Jahresende stattfinden.
Im Hintergrund der zähen Diskussionen über den Wahlausgang war die Stimme der afghanischen Nationalbank zu vernehmen, deren Leitung wissen liess, die Bank habe nur noch für wenige Wochen Geld, um die Staatsbeamten, die Polizei und die Armee zu bezahlen. Dies dürfte zu den Druckmitteln gehört haben, die bewirkten, dass die beiden Feinde sich schliesslich versöhnten und ihren Kompromiss unterschrieben. Wie sie ihn handhaben werden, bleibt abzuwarten.
Werden die Huthis regierungsfähig?
In Jemen haben die Huthis durch ihren Marsch auf Sanaa offenbar erreicht, dass sie in die Regierung aufgenommen werden und ein Mitspracherecht erhalten. Auch Hirak, die südliche Autonomie- und Sezessionsbewegung wird wohl in der Regierung vertreten sein. Zwar waren beide im vergangenen Jahr zum „Nationalen Dialog“ zugezogen worden, um Reformpläne zu formulieren, die sie und die meisten Jemeniten verwirklichen möchten. Doch all diese Pläne hat die bisherige Regierung unter dem nun zurückgetretenen Ministerpräsidenten Bassindwa nicht angepackt.
Diese Regierung bestand aus Mitgliedern der beiden antagonistischen Fronten und war dadurch blockiert. Diese beiden Blöcke bildeten schon zu Zeiten von Ali Saleh Abdulla, dem abgesetzten starken Mann und Präsidenten, das Kabinett. Auf der einen Seite steht der Allgemeine Volkskongress, dem weiterhin Ali Saleh Abdulla vorsteht. Auf der andern Seite politisiert die von den Muslimbrüdern gelenkte Bewegung „Islah“ (Reform).
Huthis gegen Islah
Islah mit seinen verbündeten Offizieren und Stämmen ist der Intimfeind der Huthis. Vor allem gegen diese Bewegung kämpften die Huthis in den letzten Tagen und Wochen. Islah kann auch als der Hauptverlierer bei der gegenwärtigen Regelung gelten. Was natürlich die Frage aufwirft, ob sich Islah und seine Bewaffneten an die Abmachungen halten werden.
Zu den Verlierern dürfte auch Präsident Abdrabbo Mansur al-Hadi gehören. Er hatte eine neue Regierung vorgeschlagen, deren wichtigste Minister er selbst ernennen wollte. Doch die Huthis wehrten sich dagegen, was für den Präsidenten zumindest einen Prestigeverlust bedeutet. Vielleicht auch mehr.
Es gibt Beobachter, die der Ansicht sind, der abgesetzte Präsident und starke Mann habe sich heimlich mit den Huthis verbündet. So versuche er, seinen Nachfolger zu schwächen und seine Söhne wieder ins Zentrum der Macht zu führen. Diese Söhne waren von Präsident al-Hadi mit grosser Mühe kaltgestellt worden.
Die Huthis bleiben in Sanaa
Die Huthis weigern sich, die Hauptstadt Sanaa und die von ihnen besetzten Regierungsgebäude zu räumen. Ein entsprechendes Abkommen, das dies vorsah, unterschrieben sie nicht. Sie besetzten die Zentralbank und das Verteidigungsministerium. Beide Institutionen sollen sie nun dem Vernehmen nach der Militärpolizei übergeben haben. Die Universität mit den Leuten von Islah, ihrer Hauptfeinde, haben die Huthis zwar belagert, aber nicht erobern können.
Es ist anzunehmen, dass die Huthis in Sanaa bleiben werden. Sie werden Druck ausüben, wenn der unterschriebene Vertrag nicht so erfüllt wird, wie sie es wollen. Damit wächst die Gefahr neuer Kämpfe, und zwar nicht zwischen Huthis und den Ordnungskräften als vielmehr zwischen Huthis und Islah-Sympathisanten.
Der amtierende Innenminister hat der Polizei die Anweisung erteilt, mit den Huthis zusammenzuarbeiten.