Umfragen zeigen, dass der autoritär regierende venezolanische Präsident Maduro weit hinter dem Oppositionskandidaten liegt. Geht die elfjährige Diktatur Maduros bei den Wahlen Ende Juli nun doch zu Ende?
Maduro regiert das einst blühende Land diktatorisch und fuhr es wirtschaftlich in den Ruin. Verstärkt wurde das Elend noch durch harte westliche, vor allem amerikanische Wirtschaftssanktionen.
Jetzt will Maduro, der noch immer auf die Unterstützung der Generäle zählen kann, zum dritten Mal zum Präsidenten erkoren werden. Doch diesmal gibt es ein Problem. Und das Problem ist eine Frau.
Maria Corina Machado, eine rechtsgerichtete 58-jährige charismatische Politikerin, wollte als Gegenkandidatin von Maduro an der Wahl am 28. Juli teilnehmen. In Vorwahlen und Umfragen lag die Oppositionspolitikerin weit vor dem Präsidenten. Wäre sie zur Wahl zugelassen worden, hätte sie Maduro wohl klar geschlagen. Doch der Präsident zog die Notbremse. Im Juli 2023 wurde Machado verboten, 15 Jahre lang ein politisches Amt auszuüben. Sie hatte Maduro als «mafiösen Militärdiktator» bezeichnet. Die Regierung warf ihr Korruption während ihrer Zeit als Abgeordnete vor.
Der Präsident rechnete allerdings nicht mit dem Eifer und dem Feuer von Corina Machado. Nach langem Hin und Her stellte die Opposition unter ihrer Führung einen unscheinbar wirkenden, unbekannten pensionierten Diplomaten als Gegenkandidaten zu Maduro auf.
Edmundo González Urrutia ist ein ruhiger Mann, der eigentlich seine Pensionierung geniessen wollte. Er lebt in den grünen Hügeln oberhalb der Zwei-Millionen-Hauptstadt Caracas. Da kriegte er eines Tages einen Anruf, er möge sich doch ins Parteibüro des Oppositionsbündnisses begeben. So fuhr er in die Stadt hinunter.
Das Angebot, als Gegenkandidat zu Maduro aufzutreten, ehrte den Parteilosen. Er akzeptierte, denn er mag Maduro nicht. An Wahlveranstaltungen wird klar, dass er kein rhetorisch beschlagener Politiker ist. Ruhig präsentiert er seine Botschaft. Er will das Land aus dem Sumpf herausholen, in den Maduro es geritten hat, es wieder Richtung Westen öffnen. Er verspricht einen «friedlichen demokratischen Übergang».
Und: Immer an der Seite von Edmundo González tritt die resolute Corina Machado auf. Sie dominiert die Wahlveranstaltungen, organisiert auch die Wahlmeetings. Sie spricht, sie feuert die Menge an, er spricht kaum. Ist «Edmundo», wie er nur genannt wird, eine Marionette von Corina Machado? Der Wahlkampfslogan «Todo el mundo con Edmundo» stammt von ihr. Wird sie, sollte er gewählt werden, in die Regierung eintreten und das Szepter übernehmen? Auf eine entsprechende Frage eines Journalisten sagte sie: «Wir denken an heute und nicht an morgen.»
Später fragte ihn ein anderer Journalist, ob er nicht fürchte, von Machado niedergewalzt zu werden. Die Antwort war diplomatisch: «Wir ergänzen uns.»
45 Prozent unter der Armutsgrenze
In den Meinungsumfragen liegt Edmundo bis zu 30 Prozent vor Maduro. Das Land leidet, fast acht Millionen Venezolaner und Venezolanerinnen – ein Drittel der Bevölkerung – haben ihre Heimat verlassen und sind auf der Flucht. 45 Prozent der Bevölkerung leben in dem potentiell reichsten lateinamerikanischen Land unter der Armutsgrenze. (Venezuela verfügt über die weltweit grössten Erdölvorräte.)
Noch immer fehlt es an bezahlbaren Grundnahrungsmitteln, noch immer liegt die Inflation bei fast 100 Prozent. Operationen in Spitälern können sich viele nicht leisten. In den Spitälern herrscht fast totale Korruption. Gelieferte Medikamente, Instrumente oder geliefertes Versorgungsmaterial werden gestohlen, unterschlagen und auf dem Schwarzmarkt an Reiche zu überhöhten Preisen weiterverkauft. Immer wieder kommt es zu stundenlangen, manchmal sogar tagelangen Stromausfällen. Und noch immer versuchen Zehntausende das Land zu verlassen. Wer etwas Geld hat, ist längst weg. Wer keines hat, versucht über die gefährliche, vom Dschungel überwucherte Darién-Landenge nach Panama zu gelangen. Doch jetzt versucht Panama, auf Drängen der USA, die Fluchtroute zu unterbinden.
Selbst ein Strassenköter ...
So erstaunt es nicht, dass Maduro in den Umfragen zurückliegt. Wer auch immer als Oppositionskandidat auftritt, hat den Segen und die Hoffnung eines grossen Teils der Bevölkerung. «Selbst wenn die Opposition einen Strassenköter als Kandidaten aufstellen würde», scherzt ein ehemaliger venezolanischer Diplomat in Paris uns gegenüber, «würde er gewählt.»
Maduro sitzt nun der Schreck im Nacken. Er zieht alle Register. Die Regierung organisiert riesige Pro-Maduro-Wahlkampfmeetings. Die Opposition wird als «Müllhaufen von Gangstern» bezeichnet. Sie werde von den verhassten Gringos finanziert – sie, die auch die Sanktionen verhängt haben, was der Hauptgrund für die wirtschaftliche Misere sei.
Maduro hat es offensichtlich verpasst, Señora Machado rechtzeitig ins Gefängnis zu stecken, so wie er es bei vielen Oppositionellen tut. «Wenn das normale Wahlen wären», zitiert der britische Guardian Phil Gunson, einen Analysten der Crisis Group, «würde der Oppositionelle Edmundo González mit meilenweitem Vorsprung gewinnen». Doch es sind eben keine normalen Wahlen.»
2018: Gigantischer Wahlbetrug
Es würde erstaunen, wenn Edmundo González der nächste venezolanische Präsident würde. Maduro und seine Clique werden alles tun, um die Macht zu erhalten. Schon vor sechs Jahren hatten sie einen gigantischen Wahlbetrug organisiert, was die internationalen Sanktionen auslöste.
Im letzten Jahr hatte Präsident Biden die damals von Trump verhängten radikalen Wirtschaftssanktionen etwas gelockert. Damit es dazu kam, musste Maduro sich verpflichten, in diesem Jahr «freie Wahlen» durchzuführen, «internationale Wahlbeobachter» ins Land zu lassen und die «Opposition nicht zu knebeln». Maduro nickte die Auflagen ab – und setzt sich darüber hinweg. Wahlbeobachter werden nur einige wenige ins Land gelassen, die Opposition wird weiter geknebelt, am Fernsehen darf sie kaum auftreten, oppositionelle Wahlmeetings werden ständig von Anschlägen bedroht. Die Bevölkerung fürchtet sich, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. «Freie Wahlen» sind das nicht. Und kontrolliert werden können sie schon gar nicht.
Vereint, vorerst
Die Opposition tat sich lange Zeit schwer mit Maduro. Ein Versuch von Juan Guaidó, den Diktator zu stürzen, scheiterte 2019, obwohl Guaidós Gegenregierung von fast 50 westlichen Staaten anerkannt worden war. Guaidó selbst und seine Frau waren mit Pomp im Weissen Haus von Donald Trump empfangen worden. Doch die Generäle, die ihre Privilegien nicht verlieren wollten, hielten zu Maduro – und tun es heute noch.
Maria Corina Machado war es gelungen, die Opposition im Kampf gegen den Diktator zu einigen. Doch die vielen Parteien, die sich jetzt um sie scharen, teilen keineswegs alle ihre Ideen. Im Gegenteil: Ihre Haltungen zu wichtigen Themen liegen teils weit voneinander entfernt. Doch alle eint jetzt vorerst der Wille, das elfjährige Maduro-Trauma zu beenden.
Ruft Maduro den Notstand aus?
Ausland-Venezolaner und -Venezolanerinnen sind laut Gesetz zu den Wahlen zugelassen. Doch sie müssen sich registrieren lassen. Maduro weiss, dass die Millionen, die ins Ausland geflüchtet sind, nicht für ihn, sondern für Edmundo stimmen würden. Also hat er riesige bürokratische Hürden zur Registrierung der Wähler und Wählerinnen aufgebaut. Mit Erfolg: Nur 80’000 im Ausland Lebenden gelang es bisher, sich registrieren zu lassen. Doch all das könnte nicht genügen, um eine Niederlage Maduros zu verhindern. Natürlich kann das Regime die Wahlen fälschen; Maduros Freunde Putin und Xi Jinping wissen, wie das geht. Trotzdem ist es schwierig, in einem Land, das eine starke Opposition hat, Hunderttausende, vielleicht Millionen Stimmen zu unterschlagen oder zu fälschen.
Jetzt jagen sich Spekulationen. Zu welchen Mitteln wird Maduro noch greifen, um doch noch als Sieger dazustehen? Wird er im letzten Moment den nationalen Notstand ausrufen und die Wahlen absagen? Anlass dazu könnte der Grenzkonflikt mit dem Nachbarland Guyana sein. Da geht es um das ölreiche Gebiet Essequibo, das zu Guyana gehört und von Venezuela beansprucht wird. Maduro hatte diesen Konflikt im vergangenen Jahr plötzlich hochgekocht. Viele fragten sich schon damals: «Tut er dies, um die Wahlen absagen zu können, wenn er bei Umfragen im Hintertreffen liegt?» (Siehe Journal 21, Dezember 2023: Eldorado, das Öl, der Diktator und die Wahlen).
«Sozialismus des 21. Jahrhunderts»
Doch es ist nicht so, dass Maduro keine Freunde im Land hätte. Einige glauben sogar, dass er die Wahlen auf legale Weise gewinnen könnte. Der venezolanische Kolumnist Clodovaldo Hernández, der auch für die spanische Zeitung «El Paìs» schreibt, sagt, im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren sehe es gut für Maduro aus. Es sei ihm gelungen, zumindest bei einem Teil der Wählerschaft Anerkennung zu gewinnen.
Doch immer weniger Venezolanerinnen und Venezolaner träumen noch vom «Sozialismus des 21. Jahrhunderts», den der legendäre Revolutionsführer Hugo Chávez (mit einigem Erfolg) verordnet hatte. Maduro machte aus diesem Traum einen Scherbenhaufen. Unermüdlich hämmert er der Bevölkerung ein, dass die Probleme Venezuelas auf die internationalen Sanktionen zurückgehen. Natürlich vergisst er zu sagen, dass der wirtschaftliche Absturz viel vor der Verhängung der Sanktionen begonnen hatte.
Anhängerin von Trump, Milei, Bolsonaro
Doch auch wenn Maduro laut Umfragen vom grossen Teil der Bevölkerung gehasst wird, seine eigentliche Herausfordererin Maria Corina Machado wird nicht von allen geliebt. Sie stammt aus der venezolanischen Elite, ihr Vater war ein Stahl-Baron. 2011 war ein Anschlag auf sie verübt worden, bei dem sie unverletzt blieb. In den letzten Jahren hat sich Machado radikalisiert und teils weit nach rechts begeben. Sie hatte sich als Anhängerin des damaligen rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro geoutet. Sie zeigt heute offene Sympathien für Donald Trump und den rechtspopulistischen, ultrakonservativen argentinischen Präsidenten Javier Milei. Was den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva dazu bringt, auf Distanz zu Machado zu gehen.
Über allem hängt die Frage, was tut das Regime, wenn Edumundo und Maria Corina gewinnen? Maduro und seine privilegierten Generäle hätten viel zu verlieren. Ihnen drohen zahlreiche Gerichtsprozesse wegen Menschenrechtsverletzungen. «Deshalb werden sie die Wahlen nicht verlieren», sagt der pensionierte venezolanische Diplomat in Paris, «auch wenn sie sie verlieren.»
Der Durchschnittswert der jüngsten unabhängigen Umfragen (Poll of Polls) ergibt, dass Edmundo González rund 40 Prozent vor Maduro liegt. Das scheint das Regime wenig zu kümmern.
Die regimetreue Zeitung «El Universal» stimmt die Bevölkerung schon auf einen Sieg Maduros ein. Am Mittwoch dieser Woche veröffentlichte das Blatt eine Meinungsumfrage des venezolanischen Instituts «Data Viva». Ergebnis der angeblichen Befragung: «Nicolás Maduro bleibt mit 55,2% Unterstützung der beliebteste Kandidat.» Edmundo González käme auf 20,9 Prozent …