Das Land ist attraktiv, der Tourismus boomt und eine wache Zivilgesellschaft kämpft da und dort erfolgreich gegen Missstände. Negativ schlagen die Waldbrände und der verbreitete Personalmangel zu Buche. Doch die Griechen geben nicht klein bei.
Der Tourismus in Griechenland wächst. Ausländische Prominenz macht auch weniger bekannte Inseln wie Sifnos und Folegandros bekannt und ausländische Medien entdecken das wahre Griechenland. Nummer eins bei den Ankünften sind in diesem Jahr die Briten.
Attraktives Athen
Ein kürzlich erschienener Artikel in der «New York Times» zeigt ein attraktives Athen «mit den Augen der Einheimischen», während der «Guardian» einen ausführlichen Bericht über die zeitgenössische Kultur und die Veranstaltungen des «Athens Festival» veröffentlicht, das während der Sommersaison blüht. In der französischen «Vogue» heisst es, dass Griechenland, das Top-Sommerreiseziel, einige der schönsten Strände der Welt habe, die den meisten Menschen, selbst den Einheimischen, unbekannt seien.
Athen und Thessaloniki werden dabei nicht nur als Übernachtungsstationen präsentiert, sondern als eigene attraktive Reiseziele. Der jüngste NYT-Artikel von Anfang August hebt die Athener Stadtteile Metaxourgeio und Kypseli hervor, ein kreatives, multikulturelles Gebiet. In den ersten Tagen der Hitzewelle geschrieben, weist der jüngste NYT-Artikel darauf hin, dass «Griechenlands Hauptstadt mit ihrer glorreichen Vergangenheit und ihrem frenetischen modernen Lebensstil» eine beeindruckende Besuchererfahrung sei. Die Autorin betont auch Unterhaltungs- und Vergnügungsmöglichkeiten wie Freiluftkinos, wobei sie auf das schöne Kino in Thiseio verweist. Der Artikel erwähnt auch weniger bekannte Museen wie das neue Alekos Fassianos Museum oder die Rebecca Kamchi Gallery.
Eine Reihe von Publikationen loben Griechenland für die Qualität und Vielfalt der Theateraufführungen und die Möglichkeit für Besucher, ausländische und griechische Produktionen mit Untertiteln in den historischen Theatern des Landes zu sehen. Der britische Autor des «Guardian»-Artikels verweist insbesondere auf das Athen- und Epidaurus-Festival und seine künstlerische Leiterin Katerina Evanggelatou. Das monumentale Theater von Epidaurus aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. verfügt, wie der Artikel hervorhebt, über eine Kapazität von fast 10’000 Personen. Das Festival scheint seit 2019, als Katerina Evanggelatou die künstlerische Leitung übernahm, radikal erneuert worden zu sein.
Was aber ist der Grund für diese positive journalistische Berichterstattung über das kulturelle Leben nach so vielen Jahren negativer oder unvollständiger Publizität? Wahrscheinlich liegt es daran, dass immer mehr ausländische Redaktoren sich für einige Zeit in Griechenland aufhalten und ihre Artikel nicht in den Büros ihrer Zeitungen schreiben. – Diesen Trend verschlafen haben hingegen die Schweizer Medien.
Boomender Tourismus
Im Zeitraum Januar bis Juni 2023 stiegen die Ankünfte um 26 Prozent. Insbesondere der Reiseverkehr über Flughäfen nahm um 19,4 Prozent zu, während die Einreise über die Strasse um sage und schreibe 52,8 Prozent stieg.
Im Berichtszeitraum nahm der Reiseverkehr aus den EU-27-Ländern um 21,8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 zu, während der Reiseverkehr aus Nicht-EU-27-Ländern sogar um 32,4 Prozent zunahm.
Was die Länder ausserhalb der EU-27 betrifft, so nahm der Reiseverkehr aus dem Vereinigten Königreich um 6,3 Prozent zu und derjenige aus den Vereinigten Staaten um nicht weniger als 62,7 Prozent. Der Reiseverkehr aus Russland schliesslich ging um 16,8 Prozent zurück. Die Einnahmen aus dem Tourismus stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 23,9 Prozent.
Die meisten Touristen in der ersten Jahreshälfte 2023 kamen aus Grossbritannien, und zwar mit grossem Abstand vor den deutschen Touristen, die an zweiter Stelle stehen. Frankreich, Italien und überraschend Polen vervollständigen die Top Five.
Die Badetuch-Bewegung
Eine unerfreuliche Begleiterscheinung des Tourismus-Booms ist die illegale Besetzung von Stränden durch einheimische Geschäftsleute, die einen Teil der Strände von den Gemeinden gepachtet haben. Statt sich mit ihrem Revier zu begnügen, breiten sie ihre Liegen, Tische und Schirme unkontrolliert aus, so dass sie den gesamten Strand besetzen, um für dessen Benützung Geld zu kassieren. Sie hindern so die Bürger und Touristen, die nicht zahlen, daran, eine der grössten Freuden des Sommers zu geniessen, nämlich das Sonnenbaden, Lesen und Spielen an den griechischen Stränden, zu denen alle per Gesetz freien Zugang haben.
Dieses Problem besteht schon seit vielen Jahren in einem solchen Ausmass, dass sich viele Menschen fragen, ob die Strände privat oder öffentlich sind. Mit anderen Worten: Es wurde eine Situation geschaffen, die in der Praxis das Gesetz aushebelt. Die ganze Angelegenheit wurde durch einige Aktivisten auf Paros bekannt, die mit Badetüchern in der Hand den Strand zurückeroberten.
Diese konzertierte Aktion breitete sich auf Naxos, Serifos und viele andere Inseln aus und reichte bis nach Chalkidiki. Sie rief sogar den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs auf den Plan, der eine dringende Erklärung abgab, in der er betonte, dass «gemäss der Verfassung die Strände und das Meeresufer öffentlich sind, das heisst frei zugänglich zur öffentlichen Nutzung» und damit den Aktivisten den Rücken stärkte.
Die Aktivisten haben einen durchschlagenden Sieg gegen willkürlich vorgehende Ladenbesitzer, Hoteliers und andere Tourismusunternehmer errungen, der zeigt, welche Macht die Bürger haben, wenn sie ihre Rechte mit Vernunft und Einigkeit durchsetzen. Es ist zu hoffen, dass dieser Sieg nicht nur vorübergehend ist und dass er den Weg für kollektives Handeln ebnet, um auch andere Probleme zu lösen, die das Land plagen.
Die Waldbrände: Brandstiftung oder Nachlässigkeit
Die internationale Presse hat sich mit der Badetuch-Bewegung kaum befasst. Aber mit Sicherheit hat jedes Medium die schrecklichen Brände abgedeckt, vor allem dann, wenn Hotels evakuiert wurden und das Leben von Einheimischen und Ausländern in Gefahr war. Auf unseren Fernsehbildschirmen sahen wir Tausende von Touristen, die kilometerweit von den Hotels, die von den Flammen bedroht waren, zu Plätzen und anderen Versammlungsorten wanderten. Die Bilder erinnerten an Szenen aus Kriegs- und Flüchtlingslagern. Auch der Norden Korfus fing Feuer, und der dortige Bürgermeister erhob schwere Vorwürfe an den Staatsapparat.
Die Anstrengungen des Staates sind in Bezug auf die Brandbekämpfung völlig unzureichend. Medien in der Schweiz schreiben die Brände dem Klimawandel zu. Inzwischen wissen alle Griechen, dass die Brände durch Brandstiftung oder allenfalls Nachlässigkeit verursacht werden. In den letzten Augusttagen äusserte sich zudem die Sternwarte Athen. Sie konterte den Versuch der Regierung, den Wetterbedingungen die Schuld zuzuweisen, und stellte fest, was offensichtlich ist: Das Wetter war diesen Sommer völlig normal. Es war heiss, es gab zwei Hitzewellen, aber diese waren im üblichen Rahmen.
Viel schlimmer als Rhodos und Korfu ist vermutlich ein Waldbrand, der hierzulande kaum Schlagzeilen macht und immer noch wütet: der Waldbrand im Nationalpark Dadia an der türkischen Grenze in der Nähe des Grenzflusses Evros. Beunruhigend ist nicht nur die Tatsache, dass das Feuer an mehreren Stellen praktisch gleichzeitig ausbrach und deshalb wohl gelegt wurde, sondern auch eine Gesetzesänderung, die es erlaubt, abgebrannte Flächen nicht nur aufzuforsten, sondern auch anderen gesellschaftlich erwünschten Zwecken zuzuführen. Dieser Gummiparagraph könnte es ermöglichen, Wälder abzubrennen, um riesige, monströse Windräder oder auch Hotels aufzustellen. Man nennt das die grüne Energiewende. Vorerst haben seltene Tiere und lokale Gemeinschaften ihre Lebensgrundlage verloren. Die grüne Lunge wurde zu Asche.
Bei Waldbränden führt oft die Frage nach dem «cui bono» – wem nützt es? – zu den wahren Gründen. Wenn der Wald in Ruhe gelassen wird, um sich aus seiner Asche zu regenerieren, oder wenn er aktiv aufgeforstet wird und all das verbrannte Land der Natur zurückgegeben wird, dann gäbe es keinen Anreiz für Brandstiftung. Die Zukunft wird zeigen, was aus dem Dadia-Nationalpark wird. So, wie es war, wird es nicht mehr sein.
Griechenland sollte wachsam sein, damit wir in den kommenden Sommern nicht wieder Situationen erleben, die dazu geführt haben, dass Hellas unter den zwanzig Mittelmeerländern mit grossem Abstand den ersten Platz bei den verbrannten Flächen einnimmt.
Bürger am Grenzfluss Evros haben in diesem Zusammenhang illegale Einwanderer mit Brandbeschleunigern im Gepäck erwischt und für die Polizei festgehalten. Die herbeigerufene Polizei hat diese Bürger ebenfalls verhaftet, obwohl sie lediglich ihr Eigentum schützen wollten. Das hat in den griechischen Medien Schlagzeilen gemacht.
Arbeitskräftemangel: Alle packen an
Ein Morgen irgendwo im Norden der Insel Euböa. Die Kellnerin, die die Bestellung für das Frühstück aufnimmt, ist etwa sieben Jahre alt. Sie läuft zum Buffet. Dahinter steht ihr Bruder, etwa zehn- oder elfjährig. Die Kellnerin ruft die Bestellung in die Küche, wo die Mutter steht. Auf dem Buffet richten die Geschwister das Tablett mit dem leckeren Frühstück, das dann der Bruder bringt. Für die Schwester ist es noch zu schwer. Der Vater, der etwas am Hotel flickt, wird gerufen, wenn etwas fehlt, das er dann im Keller holt.
Ein Abend am Strand auf der gleichen Insel. Eine Kantine steht dort, die wunderbare Souvlaki, selbst geschnittene Pommes Frites (wo gibt es das ausserhalb Griechenlands?) und Mezedes, griechische Apéroplättchen, anbietet. Der Kellner ist etwa zehnjährig. Er bedient gleichzeitig sechs Tische, räumt ab, nimmt Bestellungen auf, serviert und kassiert. Die Eltern und die ältere Schwester kochen und schieben das Bestellte auf die Anrichte. Das Addieren wird dem Buben schnell von der Hand gehen, wenn er ab Mitte September wieder die Schulbank drückt!
So geht Griechenland mit dem Problem des Arbeitskräftemangels im Tourismus um. Es ist eines der strukturellen Probleme, das sich in der Saison auf wenige Wochen im Juli und vor allem im August konzentriert. Die Kinder haben Ferien. Das Land ist von Auswanderung und tiefer Geburtenrate betroffen. Eine Einwanderungswelle wie diejenige aus Albanien in den Neunzigerjahren gibt es nicht. Die Migranten, die über die ostägäischen Inseln und über den Grenzfluss Evros kommen, sollen nicht integriert, sondern abgeschoben werden. Also greift Hellas auf die Lösung zurück, die schon in früheren Jahren und Jahrzehnten bei Arbeitskräftemangel geholfen hat: Kinder. In Familienbetrieben packen alle an.