Magione ist ein Städtchen in Umbrien nahe dem Trasimenischen See. Unweit des Zentrums, an schöner Lage, befindet sich die „Via Unione Sovietica“ – die Sowjetunion-Strasse. Über hundert Menschen wohnen dort.
Vielen ist der Name ein Dorn im Auge. Vor allem politisch rechtsgerichtete Kreise laufen seit Jahren Sturm. Der Name erinnere an eine der schlimmsten Diktaturen und gehöre abgeschafft.
Sowjetunion-Strassen gibt es nicht nur in Magione, sondern auch in Rom, Florenz, Rimini, Reggio Emilia, Grosseto und anderswo. Turin hat sogar einen „Corso Unione Sovietica“. Und der ist für einige ein rotes Tuch.
„Die Russen haben sogar Städte umbenannt“
Mitglieder der faschistischen MSI-Partei überklebten 1991 die Turiner „Unione Sovietica“-Schilder mit der Aufschrift „Strasse der Märtyrer des Kommunismus“ („Via Martiri del comunismo“).
Roberto Rosso, ein Berlusconi-Kandidat, gelobte bei den Wahlen im Jahr 2001: „Wenn ich Bürgermeister von Turin werde, wird der Corso Unione Sovietica umbenannt“. Roberto Rosso wurde nicht Bürgermeister.
Ein Barbesitzer in Magione sagt: „Selbst die Russen haben nach dem Untergang des Sowjetreichs Städte, Strassen und Plätze umbenannt. Wieso gelingt das uns nicht?“
Ideologisch aufgeladen
Auch wenn Berlusconi alle, die nicht seiner Meinung sind, als comunisti verteufelt: Eingefleischte Kommunisten gibt es in Italien kaum noch. Doch auch wenn das Sowjet-Regime heute fast unisono verurteilt wird, erinnern doch einige daran, dass es viele Kommunisten waren, die an vorderster Front gegen die Mussolini-Faschisten und die Hitler-Nazis gekämpft hatten.
So reisst der ideologisch aufgeladene Kampf um Strassennamen immer wieder alte Wunden auf. Ferner geht es darum, ob man Geschichte tilgen soll oder nicht. Jedenfalls verrät der Streit viel über die italienische Nachkriegsgeschichte.
Die Kommunisten – einst zweitstärkste Partei
Die Sowjetunion hat die italienische Nachkriegsgeschichte stark mitbeeinflusst. Die zunächst prosowjetische kommunistische Partei unter Palmiro Togliatti und dann die Sowjetunion-kritische Partei von Enrico Berlinguer haben die italienische Politik mitgeprägt.
1976 erreichte der Partito Comunista Italiano (PCI) über 34 Prozent der Stimmen und wurde zur zweitstärksten Partei Italiens. In Rom, Mailand, Bologna und Neapel regierten die Kommunisten zusammen mit den Sozialisten. Berlinguer, der erste Eurokommunist, öffnete die Partei, auch gegenüber den Katholiken. Der PCI begann – nach dem „Historischen Kompromiss“ - mit der Democrazia Cristiana (DC) zusammenzuarbeiten und unterstützte sie, ohne in die Regierung einzutreten.
„Hände weg von meiner Strasse“
Den meisten Bewohnern der Via Unione Sovietica in Magione ist es egal, wie die Strasse heisst, in der sie wohnen. „Ich bin hier geboren“, sagt eine ältere Frau, die gerade eine Hecke schneidet, „ich bin keine Kommunistin, aber das ist meine Via Unione Sovietica. Hände weg davon.“
„Ich stimme für Berlusconis Forza Italia“, sagt ein 74-Jähriger. „Man kann die Geschichte nicht ändern, indem man Strassenschilder austauscht. Die Sowjetunion hat uns beeinflusst, im Krieg und nach dem Krieg. Mit einer Strasse daran zu erinnern, stört mich nicht.“
Renzi stört es
Doch einen stört es ganz erheblich: Matteo Renzi, den Ministerpräsidenten. Der frühere Christdemokrat und heutige Sozialdemokrat will auch für Bürgerliche wählbar sein. Für ihn ist der Kampf gegen die Sowjetunion-Strassen eines der Mittel, um sich ein ideologisch gemässigtes Image zu verpassen. Schon als Florentiner Bürgermeister verlangte er einen Namenswechsel, bisher vergebens. Die Via Unione Sovietica in Florenz heisst noch heute so.
Der Kampf um Strassennamen wird weitergehen. Es geht nicht nur um die Sowjetunion-Strassen.
Hetze gegen Gramsci
Seit Jahren hetzt die italienische Rechte gegen Antonio Gramsci, den Namensgeber zahlreicher italienischer Plätze und Strassen. Gramsci, ein marxistischer Philosoph, war Mitbegründer der kommunistischen Partei Italiens. Trotz parlamentarischer Immunität wurde er von Mussolini verhaftet und elf Jahre gefangen gehalten. Im Gefängnis schrieb er 32 berühmt gewordene „Gefängnishefte“, die das marxistische Denken weiterentwickeln. Während seines Gefängnisaufenthalts erkrankte er schwer und starb kurz nach der Entlassung. In fast allen italienischen Städten – und sind sie noch so klein - erinnern Strassen und Plätze an Gramsci, „diesen Verfechter einer Ideologie, die nur Unheil brachte“, wie die Rechte faucht.
Umgekehrt protestiert die Linke gegen die Turiner „Via Carmelo Pisani“. Der feurige maltesisch-italienische Faschist Pisani war von König Vittorio Emanuele III. mit einer Goldmedaille ausgezeichnet worden. Die Engländer spürten ihn 1942 auf und hängten ihn. Mussolini nannte ihn einen Märtyrer. „Wieso werden diese Strassenschilder nicht ausgetauscht?“, fragt die Linke.
Renzi will insgesamt hundert Strassennamen ändern. So soll die Erinnerung an eine nicht nur glorreiche italienische Vergangenheit getilgt werden. Auch die „Via Tripoli“, die es in Rom, Florenz und andern Städten gibt, will Renzi umbenennen. Das libysche Tripolis erinnert an die unschöne und unglückliche italienische Kolonialherrschaft mit all ihrer Kriegsverbrechen. „Wir können uns nicht reinwaschen, indem wir Strassenschilder auswechseln“, erklären Renzis linke Gegner.
„Haben wir nicht andere Probleme?“
Doch der Kampf um Strassennamen scheint langsam an Brisanz zu verlieren und mobilisiert keine Wähler mehr. Die meisten belächeln heute den Streit, den da einige noch führen.
Ein Bewohner der Via Sovietica in Magione seufzt: „Haben wir in Italien nicht andere Probleme? Mein Problem ist, dass das Geld bis zum Monatsende nicht reicht.“
In Italien ist es üblich, Strassen nach Regionen und Ländern zu benennen. So gibt es in vielen Städten eine Via Svizzera, eine Via Spagna, eine Via Francia, eine Via Ingilterra, eine Via Germania, eine Via Stati Uniti d’America – und eben eine Via Unione Sovietica.
Administrativer Aufwand
Der Grund, weshalb die Strassennamen nicht geändert werden, hat wenig mit Ideologie zu tun. Sondern mit Geld.
Die Turiner Zeitung La Stampa schreibt: Es wäre einfach, Renzis Forderung zu erfüllen und die Via Unione Sovietica in Florenz umzubenennen. Denn: Die Sowjetunion-Strasse in Florenz ist kaum 340 Meter lang und hat nur 55 Briefkästen.
Demgegenüber ist der Corso Unione Sovietica in Turin vier Kilometer lang. 8'000 Familien, Einzelpersonen und Firmen sind dort zuhause. Würde der Strassenname geändert, müssten alle Dokumente umgeschrieben werden, Identitätspapiere, Führerausweis und so weiter. Das wäre ein riesiger administrativer Aufwand, alles kompliziert und aufwendig. Und Italien hat kein Geld. Wohl deshalb heisst der Corso noch immer so, wie er heisst.
„Via Russia“?
Eine Bürgerbewegung in Florenz sucht nun einen Kompromiss. „Nennen wir die Via Unione Sovietica doch einfach Via Russia, denn die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Und die Namen von Ländern, die es nicht gibt, gehören nicht auf Strassenschilder.“
Schon fragt ein besorgter Bürger in Florenz: „Wird jetzt auch meine Strasse umbenannt? Ich wohne in der Via Jugoslavia.“