Es gibt nun vorläufige Resultate des ersten Wahlgangs der afghanischen Präsidentschaftswahlen. "Endgültige, vorläufige Resultate" sind für die nächsten Tage versprochen. "Endgültige Resultate" werden am 14. Mai erwartet.
Der lange Auszählungsprozess ist teilweise durch die Natur des Landes gegeben. Es gibt Urnen in Afghanistan, die auf Eseln aus den Bergdörfern gebracht werden müssen, um in Kabul ausgezählt zu werden. Anderseits wurden über 3000 Klagen und Beanstandungen eingereicht. Sie müssen jetzt zunächst geprüft werden, bevor man das definitive Ergebnis bekanntgibt.
Gerüchte
Etwa eine Million fragwürdiger Stimmzettel soll noch nicht berücksichtigt worden sein. Je länger jedoch die Resultate auf sich warten lassen, desto mehr greifen Unsicherheit und Gerüchte um sich, die argwöhnen oder gar zu wissen behaupten, dass die Mächtigen im Hintergrund die Resultate nach ihrem Wohlwollen manipulieren.
Die Resultate die nun bekannt wurden, werden sich wahrscheinlich nicht mehr grundlegend ändern. Sie zeigen, dass keiner der Kandidaten die 50-Prozent-Hürde übersteigen dürfte. Deshalb ist eine Stichwahl zwischen den beiden Spitzenkandidaten zu erwarten.
Zwei mögliche Sieger …
An der Spitze liegt laut provisorischen Ergebnissen Dr. Abdullah Abdullah, der frühere Aussenminister und Hauptrivale Karzais in den Wahlen von 2009. Er soll zwischen 41 und 44 Prozent der Stimmen erreicht haben.
An zweiter Stelle platziert sich der frühere Finanzminister Ashraf Ghani mit 31 Prozent.
An dritter und vierter Stelle folgen Zalmai Rassoul mit 11 Prozent und Abdul Rassoul Sayyaf mit 7 Prozent.
Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani erklärten, sie seien für die Stichwahl bereit. Eine Koaltion der beiden, die einen zweiten Wahlgang unnötig machen würde, schliessen sie aus.
… und zwei „Königsmacher“
Dies macht die dritt- und viertplatzierten Kandidaten, Rassoul und Sayyaf, zu "Königsmachern". Dr. Abdullah hat bereits mit Rassoul zu verhandeln begonnen. Wenn dieser die 11 Prozent seiner Wähler vollständig oder teilweise Dr. Abdullah zuführte, stünden dessen Chancen gut.
Doch soweit ist es noch lange nicht. Rassoul, der frühere Aussenminister, gilt als enger Vertrauter des scheidenden Präsidenten Karzai und dessen einflussreicher Familie. Abdullah hingegen ist ein Gegner und Kritiker Karzais.
Ein Paschtune oder ein fast-Tadschike?
Die ethnische Zugehörigkeit spielt eine wichtige Rolle. Ashraf Ghani ist Paschtune und gehört zu zu deren führendem Clan, jenem des einstigen Königshauses. Zalmai Rassuou und Abdel Rassoul Sayyaf sind ebenfalls Paschtunen. Dr. Abdullah ist Paschtune von Vaters Seite, seine Mutter war Tadschikin.
Doch der Arzt und Politiker hat immer mit dem Tadschiken Ahmed Schah Masud zusammengearbeitet, dem mythischen Kämpfer gegen die Sowjetarmee und afghanischen Nationalhelden. Schah Masud war kurz vor der amerikanischen Invasion und drei Tage vor dem Anschlag auf das World Trade Center in New York bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. Die Miliz des Ermordeten, die "Allianz des Nordens", war die letzte, die den Taliban Widerstand leistete. Die „Allianz“-Kämpfer unterstützten 2002 die Amerikaner bei ihrer Eroberung Afghanistans. Weil Ahmed Schah Masud selbst Tadschike war und seine Streitkraft sich aus Tadschiken zusammensetzte, gilt Dr. Abdullah, sein Anhänger und Mitarbeiter, vielen Afghanen eher als Tadschike denn als Paschtune.
Spielt die Solidarität der Paschtunen?
Wenn sich alle Paschtunen gegen den jetzigen Spitzenkandidaten Abdullah Abdullah zusammenfinden, wird er die Stichwahl verlieren. Manche Beobachter glauben, dass Karzai von Beginn an diese Rechnung aufstellte, allerdings in der Hoffnung, dass sein Getreuer Zalmai Rassoul davon profitieren könnte – und nicht wie es nun aussieht Ashraf Ghani.
Ghani ist ein gut ausgebildeter Finanz- und Wirtschaftsfachmann. Die städtische afghanische Jugend soll ihm zuneigen, weil sie sich von ihm eine Belebung der afghanischen Wirtschaft erhofft. Ghani bedeutet für sie: neue Arbeitsplätze.
Wichtige islamistische Stimmen
Der zweite "Königsmacher" Abdul Rassoul Sayyaf ist ein altgedienter islamistischer Kämpfer aus der Zeit des Krieges gegen die Sowjetunion. Er stand damals und steht noch heute Saudi-Arabien nahe. Er kann sich als eine Person anbieten, die möglicherweise mit den Taliban reden könnte. Die sieben Prozent seiner Anhänger dürften sich ihm aus ideologischen Gründen zugewandt haben. Das bedeutet auch, dass sie seine Empfehlungen, wem sie in der Stichwahl ihre Stimme geben sollen, ernst nehmen und wahrscheinlich befolgen werden. Dieser Umstand gibt ihm ein gewisses Gewicht in den Verhandlungen mit den beiden Spitzenbewerbern.
Die Stichwahl wird erst Ende Mai oder Anfang Juni organisiert werden können. Laut Agence France Press könnte sie am 7. Juni stattfinden. Der bisherige Wahlgang soll gegen 100 Millionen Dollar gekostet haben, Washington sei dafür aufgekommen. Die Gelder für die Stichwahl, ein vergleichbarer Betrag, sind noch nicht sicher gestellt.