Die Fotostiftung Schweiz gibt Einblicke in ein Kapitel der Fotografie, in dem Kunst, Mode und gesellschaftlicher Umbruch zu ganz neuen Ausdrucksformen und Sichtweisen fanden. Peter Knapp hat dafür in der Zeitschrift «Elle» geradezu spielerisch eine Bühne bereitet.
Der Gedanke, dass Mode für Frauen etwas mit ihrer Emanzipation zu tun haben könnte, wirkt zunächst wie ein raffinierter Verkaufstrick. Die Herausgeberin der Zeitschrift «Elle», Hélène Lazareff, meinte es allerdings ernst. Die 1945 gegründete Zeitschrift sollte sich an die französischen Leserinnen wenden, die selbstbewusst in den Nachkriegsjahren ihre Rollen neu definieren wollten.
Der Begriff «Feminismus» trifft die Bestrebungen in Frankreich aus deutscher Perspektive nicht ganz genau. Denn in Deutschland gehört eine gewisse Aggressivität dazu, während die Französinnen dazu ein eher heiteres und auch versöhnlicheres Verhältnis haben, das die Journalistin Pascale Hugues in die Worte fasste: «Für die Verteidigung ihrer Rechte gehen die Frauen auf die Barrikaden, aber sie hören nicht auf, die Männer und den Lippenstift zu lieben.»
«Elle» widmete sich nicht in erster Linie der Mode, sondern war von Anfang an eine Zeitschrift mit gesellschaftlichen Themen. Zu den Autorinnen gehörten Françoise Sagan, Simone de Beauvoir und Marguerite Durras. Im Laufe der Jahre zielte Hélène Lazareff immer entschiedener auf Frauen mit einem ausgesprochen modernen Selbstbewusstsein. Entsprechend sollten auch die grafische Gestaltung und die Bilder eine neue Dynamik bekommen.
Dafür holte sie 1959 den Schweizer Peter Knapp als Art Director in die Redaktion. Sie kannte ihn schon seit Anfang der 1950er Jahre, denn er hatte sich – ausgebildet als Maler und Typograf – in Paris schnell einen Namen gemacht. Hélène Lazareff hatte die Kriegsjahre in New York verbracht und dort bei Harper’s Bazaar mit dem Designer Alexey Brodovitch zusammengearbeitet. Auch Peter Knapp war von ihm stark beeinflusst. So hatten sie beide einen gemeinsamen Bezugspunkt für die weitere Gestaltung von «Elle».
Neuartig sind zum Beispiel die Doppelseiten, die zwar eine Einheit bilden, aber starke inhaltliche und formale Kontraste aufweisen. Man kann an ihnen eine Botschaft ablesen: So viel Spannung ist gerade da möglich, wo man eigentlich Harmonie und Kontinuität erwarten würde. Und trotzdem gehören beide Seiten zusammen.
«Elle» erschien wöchentlich und erreichte bis zu zwei Millionen Leserinnen. Für jede Ausgabe legte Knapp ein Leitthema fest. Anfangs griff er, was ursprünglich gar nicht so vorgesehen war, selbst häufig zur Kamera, um seine Ideen umzusetzen und um den zu beauftragenden Fotografen zu demonstrieren, wie er sich die künftigen Fotos vorstellte.
Ein anderes Element ist ihm nicht weniger wichtig: die Beziehung zu der Persönlichkeit der Models. Auch sie bringen Geschichten mit, auch sie leiten den Fotografen bei seinen Ideen und in der Gestaltung seiner Bilder. Das Offene und Überraschende in den Fotos und in den Zusammenstellungen hängt damit zusammen. Der Betrachter spürt förmlich die Vibrationen.
Die Ausstellung bietet eindrückliche Einblicke in diese Ideen und Konzepte. Der Kurator Peter Pfrunder kennt Peter Knapp seit Langem, hat ein kluges Konzept entwickelt und eine entsprechende Auswahl aus seinen Werken getroffen. Bei der Medienpräsentation erzählte Peter Knapp von seiner Arbeit. Die Ausstellungsbesucher werden in diesen Genuss zwar nicht kommen, aber der eindrucksvoll gestaltete Katalog enthält in pointierter Form einige dieser Erläuterungen. Nicht nur deswegen ist er zu empfehlen. Er dürfte sich auch als Sammlerstück erweisen.
Die neuartige Sichtweise von Peter Knapp zeigt sich darin, dass seine Fotos über die Abbildung von Mode weit hinausgehen. Seine Bilder folgen grafischen Ideen oder enthalten inhaltliche Pointen, für die die Modestücke nicht mehr als ein Anlass sind. Oft spielen aber auch ganz andere Themen eine Rolle wie zum Beispiel die Raumfahrt mit ihrem neuen Blick auf die Erde, auf die er einmal ironisch Bezug nimmt.
Die Verwirklichung von Bildideen ist technisch nicht trivial. So sind die Bilder, auf denen Models frei im Raum zu schweben scheinen, auf Leuchttischen aufgenommen worden, so dass sich um die Models herum in Kombination mit dem Licht von oben keinerlei Schatten bilden konnte. Die Bilder wurden dann zu Kompositionen montiert. Peter Knapp hat das Mittel der Montage häufig verwendet. Dazu hat er auch schwarze Hintergründe verwendet.
Von sich selbst sagt er, dass er im Grunde den Blick des Grafikers hat, den der Aufbau eines Bildes am meisten interessiert. Ganz am Anfang hat er ein Heft unter das Motto Schwarz und Weiss gestellt. Bis in die Kleidung hinein ging es ihm um diese Kontraste und diese Effekte.
Wie unkonventionell Peter Knapp auch bei der Technik vorging, zeigt sich an einem Verfahren, mit dem er ein lästiges Problem löste. Die Zeitschrift «Elle» hat grossen Wert darauf gelegt, die Models nicht in statischen Posen, sondern in dynamischer Bewegung zu zeigen. Fotografisch ist das kein grösseres Problem, solange man es mit einem Model zu tun hat. Sind es aber mehrere und gehen sie zum Beispiel eine Treppe hinunter, sind viele Aufnahmen nötig, um eine wirklich gute Aufnahme zu erhalten. Wieder und wieder müssen die Models die Treppe hinabsteigen, wieder und wieder drückt der Fotograf auf den Auslöser seiner recht langsamen Analogkamera. Viel einfacher ist es, eine 16-Millimeter-Filmkamera zu benutzen, die 40 Bilder in der Sekunde macht. Dass diese Bilder in der Reproduktion etwas verwischt wirken, hat Knapp hingenommen. Damit setzte er wiederum einen Trend in der Modefotografie.
Peter Knapp war zweimal bei «Elle», einmal von 1959 bis 1966, dann wieder von 1974 bis 1977. Während und ausserhalb dieser Engagements trat er international stark beachtet als künstlerischer Fotograf und als Filmemacher in Erscheinung. Es wäre ein grosser Fehler, ihn allein als Gestalter und Fotografen von «Elle» zu sehen. Aber in den Jahren dort hat er wie in einem Brennglas seine Kreativität fokussiert, die auch heute noch Staunen auslöst. Und er resümiert, dass damals seine kreativsten Jahre waren. Bis heute strahlt der 91-Jährige sie aus.
Fotostiftung Winterthur, Peter Knapp: Mon Temps, 29.10.2022 bis 12.02.2023