Die italienischen Kommunalwahlen haben der Regierung von Giorgia Meloni einen unerwarteten Erdrutschsieg gebracht. Eigentlich erstaunlich: Denn innenpolitisch haben die Rechtspopulisten bisher keineswegs brilliert.
Melonis rechtspopulistische «Fratelli d’Italia» hatten im letzten Herbst bei den Parlamentswahlen einen grossen Sieg errungen. Auf dieser Welle werden sie noch immer getragen – mag sein, was will. Das ist auch in Italien nicht unüblich: Die Neuen erhalten eine monatelange Gnadenfrist, ob sie nun gut oder schlecht regieren. Die Opposition weiss: «Im Moment bläst ein steifer Wind von rechts. Wir könnten noch so ausgezeichnete Arbeit leisten. Wir würden nicht belohnt.»
Doch Italien ist auch bekannt dafür, dass sich dann, nach einiger Zeit, alles sehr schnell ändern kann. Diese Erfahrung musste 2014 der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi machen, der bei den Europawahlen hervorragende 40,8 Prozent der Stimmen einfuhr. Zwei Jahre später wurde er gestürzt.
In Brüssel gehätschelt
Aussenpolitisch macht Giorgia Meloni ihre Arbeit gut. Sie fährt einen klar pro-europäischen Kurs, unterstützt tatkräftig die westliche Allianz gegen Putin und wird nicht nur in Brüssel gehätschelt. Fehler hat sie bisher kaum gemacht. Nach dem Hochwasser in der Romagna verliess sie den G7-Gipfel in Hiroshima und reiste ins Katastrophengebiet, was ihr in Italien viel Sympathien brachte.
Ihr Hauptproblem ist nicht die Aussenpolitik. Ihr Hauptproblem sind zur Zeit ihre dreisten Koalitionspartner Matteo Salvini von der «Lega» und Silvio Berlusconi, der Chef von «Forza Italia».
19 Milliarden in den Sand gesetzt
Während sie aussenpolitisch glänzt, sieht die innenpolitische Bilanz mager aus. Nach der Pandemie hatte die EU einen Wiederaufbaufonds beschlossen und Italien 200 Milliarden Euro zugesprochen, zahlbar in Tranchen. Doch diese Tranchen werden nur bezahlt, wenn das Land bestimmte konkrete Reformprojekte vorweisen kann.
Und jetzt dies: Die Regierung Meloni konnte sich bisher nicht auf Reformen einigen, die die Auszahlung der nächsten EU-Tranche rechtfertigen würden. Man stelle sich vor: Italien droht jetzt, 19 Milliarden Euro, so gross ist die nächste Tranche, in den Sand zu setzen, weil die Koalitionsregierung zerstritten ist.
Der eine sagt dies, der andere das
Auch in der Migrationsfrage herrscht ziemliches Durcheinander auf den Regierungsbänken. Rom hatte ja das Dublin-Abkommen ausgesetzt, was die EU (und die Schweiz) verärgert. Allerdings muss man zugestehen, dass sich Italien in der Migrationsfrage in einer schwierigeren Situation befindet als die meisten anderen europäischen Staaten. Immer kommen neue Ideen ins Spiel. Wann nimmt Italien wieder Flüchtlinge zurück? Der italienische Innenminister sagt dies, andere Minister etwas anderes.
Jetzt sägt Meloni auch an der Autonomie der RAI, des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Radios, der grossen Sendeanstalt, die noch ein bisschen unabhängig ist. Schon trat eine Starmoderatorin aus Protest zurück.
Innenpolitisch hat die Regierung noch wenig zustande gebracht. Und trotz des drohenden Verlustes von sage und schreibe 19 Milliarden Euro gewinnen Melonis Rechtspopulisten in vielen grossen italienischen Städten. Einst linke Hochburgen wurden (oder blieben) am vergangenen Sonntag rechts. Selbst die einst rote Toskana ist längst nicht mehr rot.
Linke Schlangengrube
Natürlich hat das auch mit dem Zustand der Opposition zu tun. Der sozialdemokratische «Partito Democratico» (PD) hat seit zwei Monaten eine neue Chefin: die 38-jährige italo-amerikanisch-schweizerische Elly Schlein. Sie ist nicht zu beneiden. Das linke italienische Parteienspektrum ist seit jeher eine Schlangengrube. Der «Corriere della sera» schrieb diese Woche: «Es ist ja bekannt, dass die Demokratische Partei in Sachen Kannibalismus unübertroffen ist.»
Elly Schlein wird nun schon in weiten Kreisen der Partei die Schuld am Wahldesaster vom vergangenen Sonntag angehängt. Sie sei zu links, zu entscheidungsschwach, zu unerfahren; sie regiere nicht demokratisch, sondern habe nur einen kleinen Kreis Getreuer aus Bologna um sich geschart. Man spricht von Fehlstart, und schon wird an ihrem Stuhl gesägt. Sicher ist: Elly Schlein versucht die Partei, die vor allem durch einen Wischiwaschi-Kurs aufgefallen war, leicht nach links zu rücken – als klare Alternative zu den Rechtspopulisten. Diese Forderung wird schon seit Jahren an die italienischen Sozialdemokraten gerichtet. Jetzt versucht Elly Schlein diese Forderung zu erfüllen – und jetzt ist es auch wieder nicht recht. Doch viele in der Partei, so Stefano Bonaccini, der Präsident der Region Emilia-Romagna, ihr einstiger Gegenspieler, und Dario Franceschini, ein sozialdemokratischer Altmeister, ehemaliger Parteichef und Kulturminister, halten ihr die Stange.
«Gebt mir doch etwas Zeit»
Kommentatoren erklären, dass die Kommunalwahlen vom vergangenen Sonntag den Sozialdemokraten nichts Gutes für die Europa-Wahlen im kommenden Frühjahr versprechen. Doch bis dann fliesst noch viel Wasser den Tiber hinunter. Auch der steife Wind von rechts könnte sich in ein Lüftchen verwandeln. Italien wäre nicht Italien, wenn die Hochgejubelten nicht bald ihr Fett abkriegten.
Fast verzweifelt sagt Elly Schlein: «Gebt mir doch etwas Zeit.» Ja, in zwei Monaten kann niemand einen heterogenen Haufen mit Dutzenden von Strömungen auf Kurs bringen. Ihr die Niederlagen anzuhängen, ist etwas ungerecht. Wenn es ihr allerdings nicht gelingt, die verschiedenen Fraktionen zu einigen, könnte ihre Zeit schon bald ablaufen. Und die Rechtspopulisten könnten bis mindestens Ende der Legislatur in gut drei Jahren an der Macht bleiben. Doch nicht nur die Linke ist eine Schlangengrube, auch im rechten Bündnis ist man nicht immer ein Herz und eine Seele.
Eine unterschätzt sie nicht
Elly Schlein gibt sich kämpferisch. «Wir sind hier, um zu bleiben», sagt sie am Mittwoch. «Wir haben grosse Schlachten zu schlagen und diesem Land Hoffnung zu geben. Wir tun es, indem wir unsere Stellung halten.» Und weiter: «Wir werden keinen Zentimeter von unserem Projekt abrücken.» Und: «Wer glaubt, dass wir kaputt sind, dem sage ich, dass wir erst richtig begonnen haben.»
Es wäre falsch, die Parteichefin zu unterschätzen. Im Moment weht der Zeitgeist gegen sie, gegen die Linke, nicht nur in Italien, nicht nur in Spanien. Aber der Zeitgeist ist etwas sehr Volatiles. Wenn die Rechte sich aber der Illusion hingibt, dass ihr Höhenflug sehr lange dauert, sollte sie ihre Geschichtskenntnisse etwas auffrischen.
Auch wenn die Position der neuen sozialdemokratischen Chefin zur Zeit geschwächt scheint: Eine Person unterschätzt Elly Schlein ganz und gar nicht – eine, die eine gute politische Spürnase hat: Giorgia Meloni.