In die festgefahrenen Konsultationen um eine neue italienische Regierung ist wieder Bewegung gekommen. Die Cinque Stelle und die Lega verhandeln zurzeit auf Hochtouren. Bis Montag wollen sie eine Einigung erzielt haben. „Es läuft gut“, sagte Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega, am Donnerstag. „Ein wichtiger Moment für Italien“, antwortete Luigi Di Maio, der Vorsitzende der Protestpartei Cinque Stelle.
Die wichtigste ungelöste Frage ist: Wer wird Ministerpräsident? Sowohl Salvini als auch Di Maio erheben Anspruch auf das Amt. Di Maio argumentiert, er sei der Anführer der stärksten Einzelpartei, deshalb stehe ihm das Amt zu. Salvini sagt, die drei Parteien des Rechtsbündnisses, also die Lega, Berlusconis Forza Italia und die postfaschistischen Fratelli d’Italia, hätten zusammen am meisten Stimmen erhalten. Und er, Lega-Chef Salvini sei Anführer der stärksten Partei im Rechtsbündnis, deshalb müsse er Ministerpräsident werden.
Ein Dritter – oder beide?
In Rom wird zurzeit wild spekuliert. Möglich wäre, dass sich die beiden Streithähne auf einen dritten Kandidaten einigen. Zur Diskussion steht der 51-jährige Lega-Abgeordnete Giancarlo Giorgetti. In Italien kennt ihn zwar kaum jemand, aber die Cinque Stelle könnten offenbar mit ihm leben. Auch der Diplomat Giampero Massolo liegt offenbar im Rennen. Er war Büroleiter unter Berlusconi und ist jetzt Präsident des Schiffbauunternehmens Fincantieri. Salvini, ein Freund Marine Le Pens und der AfD, würde dann Innenminister. Di Maio erhielte das Amt des Aussenministers – obwohl er mit der Geografie auf Kriegsfuss steht und kein Wort einer anderen Sprache beherrscht.
Doch jetzt taucht eine neue Hypothese auf: Di Maio und Salvini könnten eine Art Stafetten-Regierung bilden: Während der einen Hälfte der Legislatur wäre Di Maio Ministerpräsident, während der andern Hälfte Salvini. Ob Staatspräsident Sergio Mattarella, ein einstiger Verfassungsrichter, einer solchen Lösung zustimmen würde, ist allerdings sehr fraglich.
Noch sind dies alles reine Spekulationen. Sollte es zu einer Einigung kommen (wie diese auch immer aussehen möge), wollen die Cinque Stelle ihre Basis online darüber befinden lassen. An der Abstimmung dürfen nur eingeschriebene Cinque-Stelle-Mitglieder teilnehmen. Viele von ihnen sind erfahrungsgemäss politisch recht unbedarft. Sie, und nicht das Volk, könnten also über die neue Regierung entscheiden. Immerhin: eine neuartige Variante von Demokratie.
Berlusconi macht den Weg frei
Dass es jetzt überhaupt zu einer Regierung zwischen den Cinque Stelle und der Lega kommen könnte, liegt an Silvio Berlusconi. Er war bisher das Haupthindernis für eine Regierungsbildung. Am Mittwochabend hat er das Handtuch geworfen.
Die Cinque Stelle wollten mit der Lega nur dann eine Koalition eingehen, wenn Berlusconis Forza Italia ausgeschlossen wird. Die 5 Sterne, die sich mit sauberer Weste präsentieren möchten, wollten nicht mit dem mehrmals vorbestraften Berlusconi zusammen regieren.
Doch Lega-Chef Salvini konnte Berlusconi nicht opfern. Er fürchtete, das Rechtsbündnis würde dann auseinanderbrechen, was seine, Salvinis Position, arg schwächen könnte.
Jetzt hat Berlusconi klaren Tisch gemacht. Er werde nicht für eine Lega-Stelle-Regierung stimmen, aber er werde auch nicht das Veto einlegen. Der bald 82-Jährige hat mehrmals klargemacht, dass er sowohl seinen Gegenspieler Salvini als auch die Cinque Stelle („schlimmer als die Kommunisten“) hasst. Mit seinem Rückzug hat er Salvini ermöglicht, erneut mit den Sternen zu verhandeln.
Sachthemen sind zweitrangig
Besorgte Beobachter in Rom weisen darauf hin, dass die Cinque Stelle und die Lega völlig verschiedene Standpunkte haben, die kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Zudem haben beide Parteien immer wieder abstruse, völlig unrealistische Vorstellungen, die sie ständig revidieren. Ausserdem ist das Personal der Cinque Stelle grösstenteils politisch völlig unerfahren. Ein Beispiel dafür ist die Römer Bürgermeisterin Virginia Raggi, ein Mitglied der 5 Sterne. Sie wurstelt seit zwei Jahren vor sich hin.
In Italien stehen dringende Probleme an, die eine Regierung lösen muss. Doch inhaltliche Fragen sind beim Gerangel um eine neue Regierung bisher nur am Rande zur Sprache gekommen. Die beiden Parteichefs haben vor allem eines im Sinn: Sie wollen an die Macht. Was sie dann mit dieser Macht tun werden, interessiert sie im Moment nur zweitrangig.