Also muss es abgeschrieben werden. Das geschieht auch, aber so kann man das natürlich nicht sagen. Humankapital abschreiben – dieses "Wording" passt nicht zum "Code of Conduct". Das sagt man ja noch nicht einmal bei Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden, oder bei Produkten, die nicht mehr im Trend liegen. Da spricht man von „Wertberichtigung“. Also wollen wir beim Humankapital eine Wertberichtigung vornehmen? Das klingt irgendwie auch nicht - human.
„Unser wertvollstes Kapital steckt in den Köpfen unserer Mitarbeiter.“ Das adelt den, der es sagt. Der Mensch als Gefäss des Kapitals - das ist wahrlich gross gedacht. Deswegen wird das so oft wiederholt. Schade nur, dass man an dieses Kapital nicht direkt herankommt. Der Mitarbeiter als Hülle des Wertvollsten ist ein ärgerlicher Störfaktor. Wie gehen wir damit um? Einfach aufknacken, auspressen, dann beseitigen, feuern, schassen, rausschmeissen? Das klingt aggressiv, ja geradezu misanthropisch. Und das passt schon gar nicht zur „Unternehmenskultur“, die wir doch brauchen, um die „Motivation“ als Schüssel zum Kapital in den Köpfen unserer Mitarbeiter nutzen zu können.
„Der Mensch ist frei, und wäre er in Ketten geboren“, sagte einst Friedrich Schiller, wobei er noch nicht die modernen Unternehmen mit ihren „Human-Resources-Abteilungen“ im Blick hatte. Nutzen wir doch das Wort „frei“ dieses sentimentalen Idealisten, um jemanden in die Wüste zu schicken. Sagen wir also: Er wird „freigesetzt“.
Das eröffnet ganz neue Perspektiven. Hat der arme Kerl vorher unter den Ketten des Unternehmens geächzt – natürlich nur, weil er das alles „falsch gesehen“ hat -, kann er jetzt bar jeder Last herumtollen. Und was machen wir mit jenen, die wir wegen Kündigungsschutz und anderem Firlefanz nicht gleich in den Orkus jagen können? Die können wir "freistellen"! „Freistellung“, dann „Freisetzung“. Stellen, setzen - und frei sein. - Das Humankapital ist flexibel. Man muss es nur zu nutzen wissen.
S.W.
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