Das bedeutet nichts Gutes. Muss man doch daraus schliessen, dass die Unterwürfigkeit inzwischen zum normalen Verhaltensrepertoire gehört. Sie fällt niemandem mehr auf.
Es gibt ein epidemisch auftretendes Adverb, das die gegenwärtig grassierende Servilität überdeutlich markiert: gerne. Heute heisst es nicht mehr: „Wir laden ein ...“, „Wir senden Ihnen ....“, „Wir geben unsere neue Adresse bekannt.“ Nein, es heisst und muss wohl auch heissen: „Gerne laden wir Sie ein“, „Gerne senden wir Ihnen“ - gerne, gerne und noch so gerne.
Auch sprachlich sollte die Unschuldsvermutung gelten. So könnte man zur Entlastung der Gerne-Schreiber anführen, dass sich dieses Wort gut als Füllwort eignet, wenn einem sonst kein Satzanfang einfällt. Es klingt immerhin besser als „hiermit“, was im Übrigen auch ein sinnloses Füllwort ist: „Hiermit sende ich Ihnen ...“
Dennoch wirkt das Wort „gerne“ schmierig. Es klingt nach verordneter Dauergutelaune. Und zwar in dem Sinne, dass gute Laune einfach zum guten Ton gehört. Man erfüllt nicht nur eine Pflicht, wobei die innere Haltung dazu eigentlich ziemlich egal ist, sondern man erfüllt sie „gerne“. Es fehlt die innere Distanz zur Aufgabe; das Gehirn ist gleichgeschaltet.
Auch dafür gibt es einen Ausdruck in der alles dominierenden Wirtschaft: Kundenorientierung. Das Sinnen und Trachten hat sich gefälligst nach den Wünschen der Kunden zu richten – oder entsprechend nach den Wünschen des Arbeitgebers oder der Kollegen (Teamfähigkeit !). „Gerne gebe ich meine Meinung und meine Haltung auf, wenn ich doch nur ....“ Ja, wofür denn? Gerne wüssten wir es.
S. W.
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