Jäh steigt Sigiriya im Herzen Sri Lankas 180 Meter aus dem umliegenden Dschungel empor: der Inselberg ist die Schlotfüllung eines wegerodierten Vulkans. Der singhalesische König Kassapa (473 – 491) baute auf diesem Magmapfropfen seine befestigte Residenz und an seinem Fuss eine neue Haupstadt.
Anuradhapura war ihm zu unsicher geworden, nachdem er dort seinen Vater hatte ermorden lassen. Er benützte den Berg nicht nur als Gründung für Aufbauten, sondern gestaltete ihn zur Architekturplastik um. Sogar die Felsblöcke, die unverrückbar am Fuss des Steilfelsens liegen, bezogen seine Gestalter in die Gesamtanlage ein. Diese können wir heute freilich nur noch erahnen. Kassapa schwebte anscheinend eine Art Götter- und Himmelsberg vor. Dessen Westseite liess er mit Putz bewerfen und vielleicht mit lauter Bildern von Blumen opfernden, auf Wolken thronenden Nymphen bemalen. Zweifellos sind die erhaltenen Fresken lediglich ein bescheidener Rest des ursprünglichen Schmucks, der im Schutze eines natürlichen Felsdachs Witterung und Vandalen (und Restauratoren) überlebte.
Lebte der Usurpator Kassapa auf dem uneinnehmbaren Felsen in Angst vor seinem Halbbruder, dem rechtmässigen Thronerben? Zwar umgürteten Wall und Graben die Stadt am Fuss des Burgfelsens. Aber Sigiriya macht insgesaamt eher einen heiteren Eindruck. Vorab die noch heute erkennbare planerische Umsicht, die dieses Versailles im Urwald schuf, sicherte Sigiriya 1982 einen Platz auf der Liste des Welterbes. Ausgedehnte Kunstgärten sind dem Felsen vorgelagert, mit Teichen, Schwimmbecken und Wasserspielen. Es fehlten auch nicht Badehäuser und Pavillons.
Der Anstieg führt durch den Schuttfuss des Bergs mit zyklopischen Felsblöcken, die Kassapas Steinmetzen, Maurer und Zimmerleute in Empfangsräume, Thronsäle und Heiligtümer verwandelt hatten. Eine Galerie, die ein natürliches Felssims ausnützt, nimmt zuletzt den Besucher auf. Ihre gemauerte Brüstung ist innenseitig mit einem glänzenden, polierten Bewurf versehen. Entlang dieser Spiegelwand, die noch teilweise erhalten ist, ging man in Kassapas Zeiten um den halben Berg herum, bis auf den Absatz mit dem kolossalen Löwen, der dem Berg den Namen Sigiriya, das heisst „Löwenfels“, gab.Von dem Riesentier aus Ziegeln und Stuck sind noch die Vorderpfoten zu sehen. Die Treppe, die den Absatz und die Palastanlage auf dem terrassierten Gipfel verbindet, muss anfangs im Innern des Tiers verlaufen sein. Die Reste auf dem Gipfelplateau deuten ebenfalls auf das süsse Leben des Vatermörders hin. Keine Spur von einer finsteren Fluchtburg. Dafür, ausser vielfältigen Anlagen zum Einfangen und Aufbewahren des Regenwassers, Swimmingpools, Lustgemächer, ein Hochsitz mit Thronhimmel...Was wunder, wenn die örtlichen Fremdenführer die gemalten Blumenmädchen gerne als Pin-ups von Kassapas Garnison deuten. Das ist natürlich der bare Unsinn. Doch gedeiht er, weil sich die Forschung in der Deutung der Malereien selber uneins ist. Mit dem guten Leben war es nach achtzehn Jahren vorbei.
Der um den Thron betrogene Halbbruder kehrte mit einer Armee aus dem indischen Exil zurück, Kassapa gab sich nach einer verlorenen Schlacht selber den Tod, Regierungssitz wurde wieder Anuradhapura. Menschenrechtwächter ermahnen heute Sri Lanka-Reisende, vor den Menschenrechtsverletzungen, die seit dem Ende des Bürgerkriegs weiterhin an der Tagesordnung sind, nicht die Augen zu verschliessen. Der Vatermörder Kassapa und assortierte Schurken aus dem Mahawamsa, der Grossen Chronik, sollen das Empörungspotential der Besucher nicht völlig aufbrauchen.– Jahr des Flugbilds: 1969. (Copyright Georg Gerster/Keystone)