In den Wahlen geht es nicht primär darum, ob Asad gewinnt oder nicht, ob mit 95 Prozent oder gar mit 97. Die Wahlen dienen vielmehr dazu, die Zuversicht jener Syrier zu stärken, die auf der Seite des Präsidenten kämpfen. Und nach aussen geht es darum zu demonstrieren, dass das syrische Regime gedenkt, an der Macht zu bleiben.
Dementi für die "Übergangslösung"
Dies war vor drei Jahren in einer Erklärung "von Genf" in Frage gestellt worden, Dieser Erklärung hatten auch die Russen zugestimmt. Sie hatte ein "Übergangsregime" für Syrien gefordert. Die späteren Verhandlungen in Genf sollten auf dieser Grundlage aufbauen. Doch Syrien sorgte dafür, dass sie scheiterten. Die Wahlen schreiben nun dieses Scheitern fest, indem sie formal die Grundlage für zusätzliche sieben Jahre der Präsidentschaft Asads liefern. Also kein Übergangsregime und keine Mitsprache der "Freunde Syriens", wenn es um das weitere Geschick Syriens geht.
Der Verzicht auf militärisches Eingreifen
Die Entscheidung darüber, ob die westliche Aussenwelt ihre Sicht eines Übergangs, weg von Asad, durchsetzen werde oder nicht, war schon im vergangenen August gefallen, als die USA sich entschlossen, in Syrien nicht einzugreifen.
Das bedeutete in der blutigen Praxis des Krieges, dass die syrische Luftwaffe alleine die Himmel über den umkämpften Gebieten und Städten beherrschen konnte. Die Piloten der syrischen Luftwaffe sind fast alle Alawiten und gelten als die Getreuesten der Getreuen des Asad-Regimes.
Auch gegenwärtig, sogar während der Wahlen, zeigen sie dies, indem sie die zweite Hauptstadt des Landes, Aleppo, mit sogenannten "barrel bombs" (Fassbomben) angreifen. Die beständigen Bombardierungen der in der Hand der Rebellen befindlichen Stadthälfte durch diese völlig ungezielt abgeworfenen Terrorwaffen sollen seit Jahresbeginn über 2000 Menschen umgebracht haben. Unter ihnen sind die grosse Mehrheit Zivilisten und natürlich sind viele Frauen und Kinder darunter, weil sie zusammen drei Viertel der Bevölkerung ausmachen.
Krieg während der Wahlen
Auch in einigen Vorstädten von Damaskus wird noch gekämpft, während in der Stadtmitte, die mit riesigen Plakaten Asads geschmückt ist, die Wahlen stattfinden. Diese Vorstädte bestehen nur noch aus von Artilleriegeschossen durchlöcherten Häusern und eingestürzten Fassaden. Die Zivilisten und Kämpfer, die sich noch dort befinden, leiden Hunger, denn alle Zufuhr wird von den Truppen des Regimes und von deren Hilfskräften abgeschnitten. Dies sind die syrischen Schabiha Milizen und die Kämpfer des libanesischen Hizbullah.
Einige der Vorstädte haben mit dem Regime verhandelt, um die Aushungerung durch die Regierungsblockade abzuwenden. Sie mussten ihre schweren Waffen ausliefern, die leichten konnten die dortigen Kämpfer - vorläufig - behalten. Andere leisten weiterhin verzweifelten Widerstand.
Der massive Einsatz fremder Milizen
Der Entschluss der Amerikaner und Engländer, nicht zu intervenieren, bedeutete auch einen Wendepunkt für die für Asad kämpfenden Milizen - die syrischen und jene aus Libanon, zu denen neuerdings auch solche aus den schiitischen Teilen des Irak kommen. Sie alle konnten nun ihre Mannschaften mit der Gewissheit einsetzen, dass sie nicht aus der Luft angegriffen würden.
Hizbullah mit seinen geübten Kämpfern, die in Kriegen gegen Israel ihre Kampferfahrung gewannen, erwies sich als die wichtigste dieser Milizen. Die Hizbullah-Kämpfer haben der Asad Seite entscheidend dabei geholfen, dass sie die Grenzübergänge aus Libanon und deren syrisches Hinterland in ihre Gewalt bringen und dadurch die Waffenzufuhr der Rebellen, soweit sie aus Libanon kam, unterbinden konnten.
Die Kerngebiete der Macht der Regierung
Dies war auch deshalb ein entscheidender Schritt, weil die Hauptverkehrsachse, die Damaskus mit Nordsyrien verbindet, sowohl nördlich in Richtung Aleppo wie auch nordwestlich in Richtung Mittelmeer und Lattakiya, so nah an den libanesischen Grenzen vorbeiführt, dass diese Achse immer wieder stellenweise in die Gewalt der Rebellen gekommen war, solange diese über die libanesische Grenze hinweg und an ihr entlang frei operieren konnten. Heute ist die Gefahr für das Regime gebannt, dass die beiden Regionen des Landes, in denen Asad am sichersten regiert, die Hauptstadt Damaskus und die weitgehend alawitische Küstenregion von Lattakiye, voneinender isoliert werden könnten.
Nasrallah neben Asad auf den Plakaten
Die Hilfe von Seiten des libanesischen Hizbullah Kämpfer ist dermassen wichtig für das Regime, dass sie sich in den Wahlplakaten spiegelt. Auf manchen von ihnen finden sich nebeneinander die Portraits eines gestreng in die Welt blickenden Bashar al-Asad und eines überaus freundlich lächelnden Nasrullah, des geistlichen Führers der libanesischen Gottespartei - dies ist die Bedeutung von Hizbullah.
Rückbesinnung auf bessere Zeiten
Sehr viele der Bewohner jener Teile Syriens, die nun für Asad jubeln und stimmen, tun dies ohne Zweifel, weil sie den vergangenen Tagen nachtrauern. Damals - über eine Periode von vierzig Jahren - konnte man doch einigermassen ungestört und bequem leben, obwohl die beiden Asad, Vater und Sohn, in Folge regierten. Es waren "paradiesische Zeiten", sagt mancher unter den fünf bis sieben Millionen, die nun aus ihren Häusern vertrieben sind und im Ausland oder in Syrien hungern und frieren.
Auch die relativ privilegierten knappen drei Viertel der syrischen Bevölkerung, die bis jetzt ihre Häuser behalten konnten, dürften in vielen Fällen zustimmen. Alle, auch sie, haben unter dem Bürgerkrieg schwer gelitten. Die Hoffnung für grosse Bevölkerungsteile auf ein Ende der heutigen Zustände dürfte nun in einer sich abzeichnenden Konsolidierung des Asad-Regimes liegen. Wenn sie auf die Rebellen schauen, müssen viele der syrischen Bürger sich sagen: "Wenn diese gewinnen, wird alles noch schlimmer werden!". Denn es ist wahrscheinlich, dass in diesem Falle die radikalen islamistischen Kämpfer und Ideologen ihre Macht mindestens in Teilen des Landes weiter festigen werden. Ihre Herrschaft könnte noch schlimmer ausfallen als die Brutalität der Geheimdienste Asads, mit denen natürlich zu rechnen sein wird, wenn seine Seite gewinnt.
Die Kämpfer denken anders
Doch diese Rechnung gilt nicht für die Kämpfer. Sie müssen sich sagen, wenn sie in die Hände des Regimes fallen, haben sie mit Folter und Tod oder mit langen Gefängnisaufenthalten zu rechnen, die vielleicht schlimmer sein werden als der Tod. Sie wissen natürlich, was jenen islamistischen Kräften geschah, die 1982 versuchten, sich gegen Asad Vater zu erheben.
Vae victis!
Das Regime gibt gelegentlich vor, es wolle nicht nur die Vernichtung der Terroristen bewirken, sondern sich auch um "Versöhnung" in Syrien bemühen. Doch Kämpfer der Opposition, die solchen Versicherungen Glauben schenken, werden später mit Sicherheit ihre Naivität zu beklagen haben. Die meisten von ihnen werden sich jedenfalls sagen, es gebe nichts anderes für sie, als weiter zu kämpfen. Dabei umzukommen, sei weniger schlimm, als in die Hände der Schergen Asads zu fallen. Bei den Islamisten unter ihnen kommen noch die religiösen oder als religiös verstandenen Überzeugungen dazu, die sie den Tod im "Heiligen Krieg" nicht fürchten lassen.
Asad: überlebt, nicht gesiegt
All dies bedeutet, dass auch ein auf weitere sieben Jahre gewählter Präsident Asad den Krieg nicht gewonnen hat. Er kann sich rühmen, den Aufstand überlebt zu haben. Er hat ihn jedoch nicht niedergeschlagen. Sogar wenn es ihm und seinen Truppen gelingen sollte, alle Landesteile in ihre Gewalt zu bringen, wovon sie noch weit entfernt sind, muss das Regime mit einer Fortsetzung des Bürgerkrieges in der Form eines Selbstmord-Bombenkriegs rechnen.
Dies pflegt im Nahen Osten regelmässig die Folge davon zu sein, dass eine Guerilla niedergekämpft wurde. Besonders, wenn es sich um eine religiös motivierte Guerilla handelt. Schon gegenwärtig spielen die Bomben- und Selbstmord-Bombenanschläge eine wachsende Rolle in Syrien. Neu dazu kommen die unterirdischen Stollen, die gegraben werden, um unter feindlichen Garnisonen und Stellungen Sprengsätze zu zünden. Urheber dürften in erster Linie die islamistischen radikalen Kampfgruppen sein. ISIS setzt Suizidattentäter nicht nur gegen Asad ein, sondern auch im Kampf gegen andere Aufständische, mit denen ISIS auf Kriegsfuss steht.
Erneute Hoffnungen auf amerikanische Hilfe
Gegenwärtig ist die syrische Opposition noch in der Lage, Guerilla-Kämpfe zu führen. Sie hofft sogar ihren eigenen Aussagen nach darauf, dass sie nun doch noch, gewissermassen in letzter Stunde, Waffen aus Amerika erhalte, die sie gegen die syrischen Kriegsflugzeuge einsetzen könnte. Solche Hoffnungen gehen auf vage Versprechen der Obama-Regierung zurück, sie werde der syrischen Opposition "demnächst mehr Waffen" zukommen lassen.
Solange Washington an seiner bisherigen Syrien Politik festhalten will, dürften die USA in der Tat keine andere Wahl haben, als den Rebellen unter die Arme zu greifen. Die Politik Washington war bisher darauf ausgegangen, so lange ein Gleichgewicht zwischen den syrischen Kräften aufrecht zu erhalten, bis Asad sich kompromissbereit zeigt. Dies ist, wie die jetzigen syrischen Wahlen sehr deutlich dokumentieren, zur Zeit keineswegs der Fall. Washington steht daher vor der Wahl, entweder seine Politik zu ändern und das Verbleiben Asads an der Macht hinzunehmen, oder die Opposition soweit zu unterstützen, dass sie das Gleichgewicht gegenüber dem Regime wiederherstellen kann.
Eine Wahl zwischen zwei Übeln
Keine der beiden Alternativen ist attraktiv. "Mehr Krieg" nicht, weil die Zerstörungen des Krieges die Macht der extremen Islamisten immer weiter steigern. Sie leben vom Chaos. "Asad für sieben Jahre" jedoch ist für Washington vielleicht noch weniger anziehend wegen der Blamage für die erste Weltmacht und ihre Regierung, die dies bedeutete. Ob eine Restauration des Asad-Regimes für Syrien und die Syrier vielleicht doch den besseren Ausgang abgäbe als fortdaudernder Bürgerkrieg, ist für Washigton vermutlich weniger wichtig, als die innenpolitischen Belange und das Prestige.
Wird Washington nachgeben?
Aus solchen Gründen kann man erwarten, dass Washington (noch?) nicht bereit sein dürfte, eine politische Niederlage in Syrien hinzunehmen, obwohl es genau besehen, diese Niederlage im letztlich ausschlaggebenden kriegerischen Bereich bereits hingenommen hatte, als es auf die Intervention verzichtete.
Auch die anderen Stützen der Rebellen am Golf und in der Türkei haben begonnen, ihre bisherige Haltung zu hinterfragen. Dies ist angesichts der Erfolge des Regimes und der Misserfolge des Aufstandes logisch. Doch wie für die Amerikaner ist es auch für die Golfstaaten und die Türkei schwierig, ihre bisherige Politik ganz aufzugeben.
Die Verknüpfung mit der Iran Politik
Für Saudi Arabien ist dies besonders schwierig, weil die saudische Konfrontation mit Iran höchstwahrscheinlich der Hauptgrund der saudischen Unterstützung des syrischen Aufstandes war. Riad und seine Bundesgenossen am Golf hatten gehofft, den von ihnen wahrgenommenen Griff Irans in die arabische Welt dadurch zu blockieren, dass sie das Asad Regime zu Fall brachten. Dieses wurde von ihnen als das wichtigste Bindeglied eingestuft, das für Iran die Kontakte mit Hizbullah in Libanon sicherstellte. Weil die Saudis den Syrien Krieg letzten Endes als einen Krieg gegen Iran sehen, bedeutete eine neue Ausrichtung in ihrer Syrienpolitik für sie auch einen Rückschlag in ihrer Politik gegen Iran.
Doch offenbar gibt es nun Stimmen am Golf und auch solche in der Türkei, die dafür werben, die bisherige Anti-Asad Linie zu revidieren. Der gegenwärtige Besuch des Herrschers von Kuweit in Teheran gehört zu den Anzeichen einer möglichen Revision. Hauptgesprächsthema bei diesem Besuch, so hiess es, sei die Syrienfrage gewesen.
Verlorenes Prestige
Ähnlich wie im Falle der Amerikaner bedeutete eine Umstellung ihrer Iran- und Syrienpolitik für die Golfstaaten in erster Linie einen Prestigeverlust. Nicht mit Worten, aber in ihren Taten müssten sie anerkennen, dass ihre bisherige laut propagierte Anti-Iran-Politik ein Fehler gewesen ist. Noch ist sehr ungewiss, ob sie bereit sein könnten, in diesen sauren Apfel zu beissen. Natürlich hängt viel davon ab, ob die Amerikaner und Europäer ihrerseits den Durchbruch zu einer neuen Iranpolitik bewerkstelligen. Dies hängt an den Atomverhandlungen, und deren Ausgang ist ungewiss.
Was die Türkei angeht, liegt die Entscheidung bei Erdogan. Er müsste in der Syrienfrage über seinen eigenen Schatten springen. Er tut dies seiner Veranlagung nach ohnehin ungern, doch gegenwärtig ganz besonders, weil die türkische Opposition auf der Strasse und im Parlament ihrerseits alles tut, um an seinem Prestige zu nagen.
Nicht die Wahl, die Aussenwelt entscheidet
All dies zeigt: Die Asad-Wahlen bringen keine Entscheidung, weder für Syrien selbst noch für die bisherige Syrienpolitik der Mehrheit der arabischen Staaten, die durch die reichen Staaten am Golf bestimmt wird. Die Wahlen werden auch die Entscheidungen Washingtons nicht beeinflussen. Der Fortgang des syrischen Bürgerkrieges hängt viel mehr als von diesem Propagandaschauspiel vom Verhalten der arabischen, der türkischen und der "westlichen" Aussenwelt ab. Doch ganz bedeutungslos sind diese Wahlen nicht. Sie werfen ein kleines Gewicht mehr zu Gunsten Asads in die schwankende Waagschale des Bürgerkrieges. Es wird an der Trägheit oder Beweglichkeit der amerikanischen, der saudischen und der türkischen Syrienpolitik liegen, ob diese kleine Gewichtsverschiebung Asad nachhaltig stärken wird, oder ob sie bloss eine unbedeutende propagandistische Massnahme bleibt.