Am Sonntag fanden auch in Griechenland die Europawahlen statt, bei denen sieben Parteien Sitze im Europäischen Parlament erringen konnten. Besonders auffällig war der deutliche Zuwachs der Parteien rechts von der regierenden Nea Dimokratia und die Tatsache, dass die grossen Oppositionsparteien kaum auf die heiklen Punkte der Regierungspolitik eingingen und deshalb die Quittung erhielten.
Die Nea Dimokratia (ND) von Premierminister Kyriakos Mitsotakis erzielte 28,31% der Stimmen und sicherte sich damit sieben Sitze im Europäischen Parlament. Die grösste Oppositionspartei SYRIZA erhielt 14,92% der Stimmen, was ihr 4 der 21 griechischen Sitze im EU-Parlament einbrachte. Die sozialistische PASOK kam mit 12,79% auf den dritten Platz und erhielt 3 Sitze.
Die Griechische Lösung mit deren Chef Kyriakos Velopoulos an der Spitze erreichte 9,3% der Stimmen und damit 2 Sitze, knapp vor der kommunistischen KKE, die mit 9,25% ebenfalls 2 Sitze errang.
Drei weitere Parteien überschritten die erforderliche Drei-Prozent-Hürde für die Vertretung im EU-Parlament: die religiös-nationalistische Partei Niki (Sieg), die linke Plefsi Eleftherias und rechte Foni tis logikis erhielten jeweils einen Sitz mit 4,37%, 3,4% und 3,04% der Stimmen.
Schlechtes Wahlergebnis für die grossen Parteien
Das enttäuschende Wahlergebnis der beiden grössten Parteien des Landes, ND und SYRIZA, kommt nicht überraschend. Premierminister Kyriakos Mitsotakis verwies auch auf die geringe Wahlbeteiligung von nur 43,51% und machte dafür vor allem die hohe Inflation, insbesondere bei den Lebensmittelpreisen, verantwortlich. Mitsotakis schloss vorgezogene Neuwahlen für das nationale Parlament kategorisch aus und betonte, seine Legislaturperiode bis 2027 voll auszuschöpfen.
Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr hatte die ND noch über 40% der Stimmen auf sich vereint. Eigentlich ist das gestrige Ergebnis historisch schlecht. Aber die Partei kann sich sicher fühlen, weil sie praktisch ohne Opposition regiert. Denn noch schlechter als die ND schnitt die SYRIZA ab, die nur 14,9% der Stimmen erhielt. Sie hatte sich in den letzten zwölf Monaten richtiggehend zerfleischt und die einzige Qualität des politisch unerfahrenen neuen Parteichefs, des Amerikagriechen Stefanos Kasselakis ist, dass er der modischen LGBT-Gemeinschaft angehört. Verhältnismässig wacker hielt sich die einige Jahre fast totgeglaubte frühere Regierungspartei PASOK.
Politische Beobachter betonen, dass vor allem das rechte Lager der ND viele Wähler abspenstig machen konnte. Etwa 4,9% der früheren ND-Wähler wanderten zur Griechischen Lösung ab, 3,4% zur Stimme der Vernunft und 2,3% zur Niki.
Der Wahlsieger: Kyriakos Velopoulos
Einziger Wahlsieger ist die Griechische Lösung mit dem in Deutschland geborenen couragierten Parteichef Kyriakos Velopoulos. Inoffiziell spielte er in der letzten Zeit die Rolle des Oppositionsführers. Velopoulos interveniert im Parlament, stellt Fragen, formuliert Anträge – wie das ein Oppositionsführer tun sollte. Wenig davon ist erfolgreich, weil die anderen Oppositionsparteien entweder im Tiefschlaf versunken sind oder andere Sorgen haben und wie SYRIZA mit sich selber beschäftigt sind. Die Gründung der Foni tis logikis in letzter Minute hat Velopoulos weitere Wähler abspenstig gemacht. Ohne diese Neugründung wäre die Griechische Lösung vielleicht sogar an die PASOK herangekommen.
Eine Premiere war die Tatsache, dass das erste Mal in der griechischen Geschichte Briefwahl möglich war. Aus zwei Gründen ist das ein Risiko. Einerseits sind viele Griechen mit der Situation in der Heimat ungenügend vertraut. Sie sind vielleicht vor Jahrzehnten nach Australien oder den USA ausgewandert und müssen auch nicht die Folgen der Inflation ausbaden, die unter der aktuellen Regierung entstanden ist. Andererseits ist in einem Land, wo es noch in den 1960er Jahren Wahlbetrug gab, nicht einfach, einem derart heiklen System Vertrauen zu schenken. Eine E-Mail-Liste von Briefwählern fand denn auch ihren Weg zu einer Kandidatin der ND, die diese Wähler mit Wahlpropaganda bedachte. Die ND-Frau musste zurücktreten, bestritt aber, die Adressen vom Innenministerium erhalten zu haben. Die Antwort auf die Frage, wer ihr die Liste gesteckt hat, blieb sie aber schuldig.
Die ND konnte denn auch bei den griechischen Wählern im Ausland die meisten Stimmen erzielen – 40,17% – praktisch der Prozentsatz der letztjährigen Parlamentswahlen.
Inflation, Korruption und fehlende Rechtsstaatlichkeit
Ministerpräsident Mitsotakis wird nicht müde, seine Regierung zu loben. Er macht geltend, dass das Land, über dem vor 14 Jahren der Pleitegeier kreiste, heute wirtschaftlich stabil ist. Was er nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass diese Verbesserung durch eine hohe Inflation erkauft wurde, die eine Zeitlang bei 10% lag. Griechenland konnte tatsächlich im Jahr 2023 seine Staatsverschuldung erheblich reduzieren und verzeichnete nach Portugal den zweitgrössten Schuldenabbau innerhalb der Europäischen Union (EU). Laut Daten von Eurostat sank die Verschuldung im Vergleich zum Vorjahr von 172,7% auf 161,9% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), was einer beeindruckenden Reduktion um 10,8 Prozentpunkte entspricht.
Diese positive Entwicklung war vor allem auf den deutlichen Anstieg des nominalen BIP zurückzuführen, das die Inflation einschliesst und auf 220,3 Milliarden Euro kletterte. Ein weiterer Faktor war die Verringerung des Haushaltsdefizits auf 1,6% des BIP, was hauptsächlich durch eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben erreicht wurde. Obwohl der absolute Schuldenrückgang mit etwa 100 Millionen Euro relativ gering ausfiel, sank die Gesamtverschuldung auf 356,7 Milliarden Euro.
Trotz dieser Fortschritte weist Griechenland zusammen mit Italien, Frankreich, Spanien und Belgien weiterhin eine der höchsten Schuldenquoten innerhalb der EU auf. Im Gegensatz dazu gehören Estland, Bulgarien, Luxemburg und Dänemark zu den Ländern mit den geringsten Schuldenquoten.
Die Opposition in Griechenland hat sich nicht erfolgreich bemüht, Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Einflussnahme der Regierung auf nominell unabhängige Behörden zu kritisieren. Unausgesprochen scheint die Übereinkunft zu sein, dass Griechenland alles macht, was Washington und Brüssel wünschen, dass diese aber bei der Pressefreiheit und der Rechtsstaatlichkeit nicht hinschaut, obwohl in diesen Bereichen Griechenland in einschlägigen Ratings hinter Ungarn zu liegen kommt, dem man meist die Rolle des bösen Buben innerhalb der EU zuweist.
Auch die steigenden Lebenshaltungskosten – bei diesem Thema ist die Regierung verwundbar – machte die Opposition nicht konsequent zum Thema. Ein Teil der Preisproblematik in Griechenland ist darauf zurückzuführen, dass das Land viele Güter importieren muss, was zu höheren Preisen führt. Allerdings wird das Problem auch durch einheimische, oligopolistische Strukturen verschärft, die in der modernen, schnell vernetzten Welt kaum noch gerechtfertigt sind. Die während der Schuldenkrise von den Gläubigern auferlegten Strukturreformen haben sich zwar auf dem Arbeitsmarkt als wirksam erwiesen, aber die Oligopole in den Produktmärkten bestehen weiterhin. Oppositionsführer Kasselakis ist zwar in den Medien omnipräsent, aber meist mit einer weiteren Folge einer Art Seifenoper aus seinem Privatleben mit implizierter LGBT-Botschaft – nicht aber in der schweisstreibenden politischen Arbeit.
In der Woche vor den Wahlen wurde in Chalkida auf der Insel Euböa eine kriminelle Organisation enttarnt, die massgeblich aus Beamten der Steuerbehörde bestand. Zu den festgenommenen Mitgliedern gehören die Direktorin des Steueramtes, ihr Vizedirektor sowie drei weitere Beamte. Die Organisation soll systematisch Geschäftsleute erpresst haben, indem sie hohe Geldsummen für entgegenkommende Steuerbescheide verlangte. Bei Durchsuchungen wurden grosse Mengen Bargeld gefunden, deren Herkunft die Direktorin nicht erklären konnte.
Und dann ist da noch das Eisenbahnunglück von Tempi mit 157 Toten und unzähligen Vermissten. Die Regierung hatte gehofft, dass es schnell dem Vergessen anheimfällt, aber die Mutter Maria Karystianou bildete eine schlagkräftige Organisation, die dafür sorgt, dass dass das Unglück, das nicht ein Unglück war, sondern ein Staastverbrechen, in der Öffentlichkeit präsent bleibt.
Aber auch diese Skandale hat die Opposition versäumt. Und so kann die ND-Regierung weitermachen wie bisher. Es bleibt abzuwarten, wie die neue EU-Kommission zusammengesetzt ist und ob sie ihr weiterhin Narrenfreiheit gewährt. Und falls deren Präsidentin Ursula van der Leyen die Wiederwahl verpasst, stünde jemand bereit, der die Deutsche liebend gern beerben möchte: Kyriakos Mitsotakis.