100 Seemeilen vor der Küste retteten einheimische Fischer 63 muslimische Rohingyas aus Myanmar, darunter 23 Kinder, die in einem Holzboot ohne Motor vor der Ostküste Indonesiens trieben. Sie schleppten die Havaristen in die nächstgelegene Stadt Langsa. „Wir wissen nur, dass sie aus Myanmar kommen“, erklärte der Polizeichef von Langsa. „Wir haben Kommunikationsprobleme.“ Die Asylanten verstanden weder Malayisch noch Englisch.
Die Boatpeople aus Myanmar
Ohne Treibstoff trieben 121 Rohingyas in ihrem 15 Meter langen und acht Meter breiten Boot auf dem Meer, ehe sie bei Cot Trueng an der Nordküste Sumatras strandeten. Es war das siebte Flüchtlingsboot aus Myanmar, das in den letzten drei Jahren vor der indonesischen Küste gestrandet ist. Tatsächlich sind wohl schon Hunderte dieser Flüchtlinge auf See gekentert und ertrunken, schätzen indonesische Behörden und internationale Hilfsorganisationen.
Einheimische versorgten die Flüchtlinge aus Burma, die seit Tagen nichts gegessen hatten, und brachten sie zunächst in der lokalen Moschee unter. Acht Passagiere seien auf hoher See gestorben, erzählten die Überlebenden später ihren Rettern. Thailändische Polizisten hätten sie auf ihrem Weg beschossen und ihre Nahrungsmittel und das Benzin konfisziert.
Die bedrängte Minorität
Schon vor drei Jahren hatten 190 Rohingya-Flüchtlinge ihren indonesischen Rettern haarsträubende Geschichten erzählt. Sie seien von thailändischen Soldaten gefangen und verprügelt und anschließend auf See hinausgeschleppt und den Naturgewalten überlassen worden. Dann war bekannt geworden, dass die Thai-Behörden fünf Flüchtlingsboote auf die offene See geschleppt hatten, von denen vier später im Sturm sanken, nur das fünfte wurde an die indonesische Küste gespült.
Die Behörden in Bangkok gehen hart gegen die Rohingya vor, bestätigt ein indonesischer Polizeibeamter. Im Januar hätten die Thais ein Schiff mit 200 Rohingya-Flüchtlingen aus ihren Gewässern auf die hohe See zurückgeschickt. „Angesichts der Lage in Myanmar und Thailand, werden wir wohl noch mehr Rohingya-Boote in der Gegend finden“, erwartet der Polizist. Die Vereinten Nationen betrachten die Rohingya als eine der weltweit meist verfolgten Minoritäten.
Verfolgte Muslime
Myanmar, das offiziell 138 verschiedene Ethnien beheimatet, sieht in seinen rund 800 000 Rohingyas nur illegale Einwanderer aus Bangladesch, denen es die Staatsbürgerschaft verweigert. Bangladesch jedoch, das nach der Verurteilung vor allem einiger Mitglieder der radikal-islamischen Jamaat wegen Kriegsverbrechen während des Sezessionskrieges 1971 (Lösung von Pakistan) seit Tagen ebenfalls von blutigen Unruhen erschüttert wird, hat inzwischen mehr Truppen zur Sicherung seiner Grenzen mit Myanmar geschickt, um den Zustrom von Flüchtlingen zu unterbinden. Zudem hat Dhaka den Rohingya-Flüchtlingen verboten, im Land zu arbeiten, gleichzeitig aber die Anerkennung von Flüchtlingslagern verweigert, weshalb der UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen (UNHCR) keine Hilfe leisten kann. Rund 80 000 dieser staatenlosen Rohingyas, die in solchen „illegalen“ Lagern campieren, sind darum von Hunger bedroht. Inzwischen haben Bangladeschs Behörden begonnen, die Flüchtlinge nach Myanmar zurück zu deportieren.
Verfolgung, Schmerz und Leid
Vor wenigen Tagen war Meiktila, eine Stadt 130 Kilometer nördlich der (neu erbauten) Hauptstadt Naypydaw gelegen, in der neben 80 000 Buddhisten rund 30 000 Muslime leben, Schauplatz der mit verstörender Regelmäßigkeit aufflammenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen der muslimischen Minderheit der Rohingyas und der buddhistischen Mehrheit Myanmars: 20 Tote, abgebrannte Häuser und Moscheen, Tausende auf der Flucht. Journalisten wurden von buddhistischen Mönchen bedroht und gezwungen, die Memory-Sticks ihrer Kameras herauszugeben. Die Behörden verhängten eine nächtliche Ausgangssperre, und die Polizei beschlagnahmte Messer, Schwerter, Hämmer und Knüppel von jungen Leuten und nahm Dutzende Menschen fest. Alleine in den letzten zehn Monaten forderte der Konflikt mindestens 180 Menschenleben, mehr als 110 000 flohen in dieser Zeit vor den Unruhen.
Die Rohingyas „sind immensem Druck, Schmerz und Leid ausgesetzt“, warnte der Generalsekretär der Vereinigung Südostasiatischer Staaten (ASEAN), Surin Pitsuwan. „Wenn es der internationalen Gemeinschaft einschließlich ASEAN nicht gelingt, diesen Druck und Schmerz zu lindern, ist es durchaus denkbar, dass sich (die insgesamt 1,5 Millionen Rohingyas) radikalisieren und die ganze Region bis hin zur Straße von Malakka destabilisiert wird.“
Die Gefahr der Radikalisierung
Ein Teil der Rohingyas ist bereits radikalisiert. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem sie unsägliches Leid erfahren hatten, gründeten einflussreiche Rohingyas die Mujahid-Partei, um im heutigen Bundesstaat Rakhine einen unabhängigen muslimischen Staat Arakan zu errichten. Der Name bezieht sich auf das Königreich Arakan, das bis nach Bengalen reichte und 1785 von den Burmesen erobert wurde. Die neuen Herrscher exekutierten Tausende Arakanesen oder deportierten sie zu Zwangsarbeit ins Landesinnere. Damals erwähnte der Brite Francis Buchanan-Hamilton erstmals, „die Mohammedaner, die lange in Arakan gelebt haben, nennen sich selbst Rooinga.“ Als die Regierung in Rangoon das Ansinnen der Staatsgründung erneut ablehnte, erklärten die Rohingyas Burma den Heiligen Krieg.
Nach dem Rückzug der Briten vergewaltigten, folterten und töteten Truppen von Aung Sans (dem Vater der Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi) Burmesischer Unabhängigkeitsarmee gemeinsam mit den vorrückenden Japanern Tausende Rohingyas. Alleine am 28. März 1942 wurden 5000 Muslime ermordet. Nach zahlreichen Massakern flohen über 40 000 nach Chittagong in Ostbengalen. Angeführt vom Reisschmuggler Abdul Kassem führten die Mujahidi nun ihren Jihad und vertrieben die Regierungstruppen aus ganz Nord-Arakan.
Nicht mehr als zwei Kinder pro Familie
Bis in die siebziger Jahre und lange nach dem Tod ihres Anführers bekämpften die Gotteskrieger Burmas Militär. 1978 flohen über 200 000 Rohingyas vor der „Operation Königsdrachen“, mit der General Ne Win, Burmas langjähriger Diktator, dem Aufstand endlich ein Ende bereiten wollte. Summarische Erschießungen, Folter, Vergewaltigungen und Zwangsarbeit waren an der Tagesordnung. Ohne Bezahlung mussten sie für die burmesische Armee an Infrastrukturmaßnahmen, auf den Baustellen der neuen Hauptstadt oder an anderen Projekten arbeiten. Anfang der neunziger Jahre floh eine weitere Viertelmillion Rohingyas nach Bangladesch. Doch in den entlegenen Gebieten Arakans operieren immer noch Gruppen versprengter Rebellen, die inzwischen auch Verbindungen zu muslimischen Organisationen im Ausland aufgebaut haben und zunehmend häufiger zur religiösen und militärischen Ausbildung ins Ausland geschickt werden.
Im Gegensatz zu den Bemühungen aller burmesischen Regierungen, selbst der seit 1962 regierenden Generäle, mit anderen Minderheiten wie den Shan, Karen, Karenni, Kachin, Wa, Hmong oder Naga zu einer vertraglichen Einigung zu kommen, scheint niemandem an einer Beilegung des Konfliktes mit den Rohingyas zu liegen. Bis heute müssen sie eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, nicht mehr als zwei Kinder zu zeugen. Bis heute dürfen sie ohne offizielle Genehmigung nicht reisen, ist es ihnen untersagt, Land zu besitzen.
Das Schweigen der Opposition
„Sie gehören nicht nach Myanmar“, schrieb Burmas Generalkonsul in Hongkong, General Ye Myint Aung, in der South China Morning Post. „Sie sind so hässlich wie ein Oger.“ Auch die meisten Dissidenten Burmas, die sich für ein demokratisches System einsetzen, betrachten die Rohingyas nicht als ihre Landsleute. Und Burmas buddhistische Mönche demonstrieren häufiger gegen die Rohingyas als gegen die Generäle. Sogar Aung San Suu Kyi, des Westens Lieblingsoppositionelle, schwieg aus Rücksicht auf ihre buddhistischen Anhänger und Wähler lange. Und als sie sich schließlich bei einem Besuch in Indien zu diesem Konflikt äußerste, blieb sie verdächtig zweideutig.
Die blutigen Unruhen seien „eine große internationale Tragödie". Sie habe nicht namens der Rohingya-Muslime gesprochen, weil sie die Versöhnung zwischen den buddhistischen und muslimischen Gemeinschaften fördern wolle. „Und vergesst nicht, dass beide Seiten Gewalt angewandt haben. Darum ziehe ich es vor, mich nicht zu äußern.“ Dann äußerte sie sich doch noch: „Die illegalen Grenzübertritte (nach Bangladesch) müssen gestoppt werden.“