Die Drohkulisse wird von Tag zu Tag massiver: Nun ist, nach einem Flugzeugträger mit F-35-Flugzeugen an Bord, auch bereits ein US-amerikanisches U-Boot mit Cruise-Missiles auf dem Weg ins östliche Mittelmeer, um, wie Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, für die Verteidigung Israels «every possible step» zu ergreifen. Auf der Gegenseite zeigen sich sowohl Iran als auch die libanesische Hizbullah-Miliz unbeugsam: Der Rache-Gegenschlag nach den israelischen Kommandoaktionen in Beirut und Teheran sei nur noch eine Frage der Zeit.
Ebenso unbeugsam aber ist auch Israels Regierung: An Premier Netanjahu prallen alle beschwörenden Appelle aus Washington und Europa ab – er denkt offenkundig nicht daran, den Krieg im Gaza-Streifen zu stoppen, um die seit zehn Monaten von Hamas gefangen gehaltenen Geiseln frei zu bekommen und der humanitären Katastrophe bei den Palästinensern (mehr als 40’000 Tote) ein Ende zu setzen.
Biden stiftet Verwirrung
Also geht der menschenverachtende Irrsinn einfach weiter? Steuert die Region ungebremst auf den seit langem befürchteten Flächenbrand zu?
Die noch amtierende Biden-Regierung stiftet mit Worten einerseits, Taten anderseits gewaltige Verwirrung. Sie schickt ja nicht nur, wie erwähnt, Flugzeugträger und ein U-Boot in die Krisenregion, sondern liefert Israel auch die Bomben, um den Krieg weiterzuführen. Gleichzeitig fordert sie von Netanjahu das Ende der Kampfhandlungen und Flexibilität bei den (mit Hamas indirekt geführten) Verhandlungen. Vor einer Eskalation des Konflikts zwischen Israel und Hizbullah warnt Washington zwar eindringlich, parallel dazu aber macht die US-Regierung deutlich, dass sie im Fall einer Eskalation der Auseinandersetzungen mit Libanon militärisch eingreifen würde.
Von Iran (mit dem der Vorgängerpräsident, Donald Trump, jegliche Dialog-Verbindung abgebrochen hat) erwartet Präsident Biden «Zurückhaltung» – aber was würde er, was würde sein militärischer Machtapparat tun, wenn iranische Raketen in einer israelischen Grossstadt einschlagen sollten? Mit eigenen Flugzeugen, zur Unterstützung und als Vergeltung, Ziele in Iran angreifen oder Cruise-Missiles auf eine iranische Stadt abfeuern?
Netanjahus persönliche Interessen
Aber was wäre, einmal um 180 Grad umgekehrt gedacht, wenn Israels Premier Netanjahu sagen würde: «O.k., wir machen Schluss mit dem Krieg im Gaza-Streifen. Wir akzeptieren, wenn auch innerlich empört, dass Hamas nicht vernichtet werden kann, dass der Rachefeldzug gegen die Terroristen nur teilweise erfolgreich war, hoffen auf die Freilassung der noch lebenden Geiseln und beugen uns dem internationalen Druck.»
Dann würde die Drohkulisse eines Flächenbrands in sich zusammenfallen – für Netanjahu persönlich aber wären die Folgen gravierend: Seine Rechtsaussen-Minister Smotrich und Ben Gvir würden ihm Verrat vorwerfen und die Regierung stürzen, Netanjahu müsste sich wegen alter Korruptionsvorwürfe und allenfalls wegen der Mitverantwortung für das Versagen seines Sicherheitsapparats beim Hamas-Überfall vom 7. Oktober einem Gericht stellen. Und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag würde auf seiner Auslieferung bestehen, wegen des Verdachts auf Völkermord.
Washington hält zu Netanjahu
Es ist leider leicht vorhersehbar: Netanjahu wird versuchen, einen solchen Absturz zu verhindern. Dem US-amerikanischen Bündnispartner wird er weiterhin einhämmern, dass ein Fortbestand von Hamas eine tödliche Gefahr für Israel bedeutet und dass Iran nur auf die Gelegenheit warte, Jerusalem und Tel Aviv dem Erdboden gleich zu machen. Dass es somit keine Alternative zu seinem Gaza-Krieg gebe.
Bei seinen Appellen an die USA kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass kritische Worte aus Washington keine für ihn problematischen Folgen haben werden. Man erinnere sich: Bei seiner Rede vor den beiden Häusern des Kongresses im Juli wurde er 56-mal durch tosenden Applaus unterbrochen. Noch-Präsident Biden umrahmt Ermahnungen des Inhalts, Israel müsse sich jetzt zu Verhandlungen mit Hamas und damit einem Ende des Kriegs durchringen, jederzeit mit der Versicherung, die USA würden sich jederzeit ohne Vorbehalt an die Seite Israels stellen.
Und als Kamala Harris an einer Veranstaltung gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könnte, die Lieferung von Waffen an Israel zu stoppen oder zu begrenzen, antwortete sie (es war eine ihrer bisher wenigen klaren Aussagen zu aussenpolitischen Sachfragen) mit Nein.
Also: weiter so im Krisengebiet, jeden Tag etwas näher am Ausbruch des Flächenbrands.