Jupiter gab sich – für seine Verhältnisse – bescheiden, ja fast kleinlaut. In seiner 7. pompösen Fersehansprache an das französische Volk seit Beginn der Coronakrise vor über einem Jahr gestand Emanuel Macron doch tatsächlich Fehler ein – ohne zu sagen welche – und bat hinter vorgehaltener Hand fast um Verzeihung. Noch am Vortag hatte ihm der Regionalratspräsident Nordfrankreichs und erklärte konservative Präsidentschaftskandidat für 2022, Xavier Bertrand, vorgehalten, es gäbe noch Schlimmeres, als seine Fehler nicht einzugestehen, nämlich aus seinen Fehlern nichts zu lernen. Es ist, als habe Macron auf seinen zukünftigen Konkurrenten gehört.
Schluss mit dem 3. Weg
Klar ist: der Präsident ist mit seinem so genannten dritten Weg angesichts der dritten Welle der Pandemie gescheitert. Fast störrisch hatte er noch vor einer Woche darauf beharrt, dass es richtig gewesen sei, Ende Januar nicht – wie vom Gros der Wissenschaftler und Ärzte gefordert – den dritten Lockdown verhängt zu haben und anders als in den meisten Nachbarstaaten auch die Schulen weiter geöffnet zu lassen. Für ein Mea Culpa wollte er keinen Grund sehen.
Nun sind die Krippen, Kindergärten und Schulen aber doch für zunächst drei Wochen geschlossen, landesweit darf sich jeder nur noch zehn Kilometer von seinem Wohnort entfernen, es sei denn er hat triftige Gründe und von 19 Uhr bis 6 Uhr gilt überall im Land eine nächtliche Ausgangssperre. Nur auf die lächerliche und inzwischen verhasste Ehrenerklärung beim Verlassen des Hauses hat man endlich verzichtet. Er vertraue den Franzosen, so Macron .
Bitter für Jupiter
Der Präsident, der sich seit jeher als jemand präsentiert hat, der stets alles besser weiss und für den Bescheidenheit ein Fremdwort ist, musste zugeben – ohne es wörtlich zu sagen –, dass Ende März jetzt exakt das eingetreten ist, was ihm die Wissenschaftler Ende Januar vorausgesagt hatten, als er sich damals weigerte, einen 3. Lockdown zu verkünden.
Die Pandemie galoppiert, die Infektionszahlen sind katastrophal. Im wöchentlichen Schnitt stecken sich täglich 35’000 Menschen an, am Tag der präsidialen Fernsehansprache waren es 60’000 – pro Kopf und pro Woche rund doppelt so viele wie im Nachbarland Deutschland.
Die 7-Tage-Inzidenzwerte sind schwindelerregend
320 pro 100’000 im Landesdurchschnitt – das Dreifache im Vergleich zu Deutschland. Besonders schlimm ist die Lage in der Grossregion Paris, dem ökonomischen Schwergewicht des Landes mit rund 12 Millionen Einwohnern. Hier nähert sich der Inzidenzwert der 700er Marke an, die Intensivstationen der 40 öffentlichen Krankenhäuser in der Region sind am absoluten Limit, einige Ärzte sprechen schon davon, dass man begonnen habe, die Patienten zu sortieren, wenn es darum geht, Leben zu retten. Und klar ist in der Region Ile de France rund um Paris jetzt auch, dass das Infektionsgeschehen bei den 10- bis 20-Jährigen, also bei Schülern, extrem hoch ist. 835 Fälle pro 100’000 in der letzten Woche.
Zahlen, die dem Staatspräsidenten keine Wahl mehr liessen und ihn zwangen, die Notbremse zu ziehen. Für Macron, den notorischen Besserwisser, ein herber Schlag.
Mit oder gegen die Wissenschaft?
Am 16. März des Vorjahres hatte der Präsident zu Beginn der Pandemie noch eindeutig klargestellt, er werde sich bei seinen Entscheidungen von der Wissenschaft und ihren Vertretern leiten lassen, die in einem eigens für die Covid-19-Pandemie geschaffenen nationalen Wissenschaftsrat vereint worden waren.
Doch im Lauf der Monate gingen diese Wissenschaftler und Ärzte dem Präsidenten offensichtlich mehr und mehr auf die Nerven und er genierte sich nicht, dass seine unmittelbare Umgebung diesen präsidialen Unmut aus dem Elyseepalast auch nach aussen weitertrug. Gleichzeitig begannen Macrons Berater und der eine oder andere Minister, ein geradezu peinliches Storrytelling zu entwickeln, welches den Präsidenten als jemanden darstellte, der sich bis über beide Ohren in die Covid-19-Thematik hineingekniet, alle Informationen und Dossiers zu dem Thema regelrecht verschlungen habe und letztlich sein eigener Covid-19-Experte geworden sei. Als solcher hat er dann schlussendlich im Januar auch den von der Wissenschaft geforderten Lockdown verworfen.
«Pragmatismus» lautete das Motto für halbherzige Massnahmen zur Eindämmung der Epedemie, wie etwa die nächtlichen Ausgangssperren, kein Laisser-Faire, aber auch keinen Lockdown. Immer wieder liess Macron durchblicken, mit dieser Strategie der geöffneten Schulen und der Reisefreiheit habe das Land und seine Ökonomie wertvolle Wochen Zeit gewonnen.
Ein Wissenschaftler nach dem anderen antwortete ihm, das Gegenteil sei der Fall, Frankreich sei dabei, mehrere Wochen im Kampf gegen das Virus zu verlieren.
Virus und Wahl
Je näher das etwaige Ende der Pandemie an die Präsidentschaftswahlen in gut einem Jahr heranrückt, desto heikler wird die Situation für Emmanuel Macron. Klar ist schon seit Monaten, dass sein Krisenmanagement für eine mögliche Wiederwahl ausschlaggebend sein wird. Zumal sich Macron in die Rolle hinein manövriert hat, in der er derjenige ist, der auch in Sachen Covid alles schlussendlich und letztlich alleine beschliesst und entscheidet. Für eine moderne Demokratie eigentlich lächerlich, aber in dieser 5. französischen Republik muss das wohl so sein und Jupiter gefiel sich selbstredend in dieser Rolle des Alleinentscheiders. Bislang ist Emmanuel Macron durch die Coronakrise nicht angeschlagener, als er es vorher schon war .
In einer Meinungsumfrage am Tag vor seinem Fernsehauftritt zeigten sich angeblich 54% der Franzosen einverstanden mit einem harten Lockdown. Ob das am 2. Mai, nach 4 Wochen Lockdown, immer noch so sein wird, ist fraglich.