Die Gouverneure der norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien jubeln und sprechen von einem „historischen Tag“ und einem „historischen Sieg“. Die Historie wird zeigen, dass da gar nichts „historisch“ ist.
In der Lombardei sind zwischen 38 und 39 Prozent der Wahlberechtigen an die Urnen gegangen und haben mehrheitlich mit Ja gestimmt. In Venetien waren es 57,3 Prozent. Initiiert wurden die Referenden von der populistischen Lega Nord. Ihr gehören Roberto Maroni, der Gouverneur (Präsident) der Region Lombardei, und Luca Zaia, der Gouverneur von Venetien, an.
Schuss vor den Bug
Es ging nicht wie in Katalonien um die Unabhängigkeit. Die Initianten der Abstimmung verlangen einen Sonderstatus für ihre beiden wirtschaftlich starken Regionen.
Viele, die Ja stimmten, wussten, dass die beiden Referenden kaum Folgen haben werden. Doch jene, die sich in die Abstimmungslokale begaben, wollten der Römer Regierung einen Schuss vor den Bug schiessen. Die Botschaft ist: Wir wollen nicht mehr wie bisher, dass all unsere Steuergelder im Süden des Landes versickern.
Unnötige Abstimmung
Doch die Abstimmungen, die fast 70 Millionen Euro verschlangen, wären gar nicht nötig gewesen. Die beiden Gouverneure hätten einen Brief nach Rom schicken können mit der Bitte, über mehr Autonomie zu verhandeln. Dieser Bitte wäre entsprochen worden. Das zeigt das Beispiel der Region Emilia-Romagna, mit der Rom bereits konstruktiv über mehr Selbstbestimmung verhandelt.
Die Regierung in Rom reagiert denn auch gelassen auf die Ergebnisse in der Lombardei und Venetien. Die Regierung sei selbstverständlich bereit, mit den beiden Regionen über mehr Autonomie zu verhandeln, erklärt Gianclaudio Bressa, stellvertretender Minister für regionale Angelegenheiten und enger Vertrauter von Ministerpräsident Gentiloni.
Steuern sind Sache Roms
Doch Bressa bremste denn auch gleich die beiden Regionen. Die Artikel 116 und 117 der italienischen Verfassung geben den Regionen keine Steuerhoheit. Rom wird also weiterhin entscheiden, wohin die Steuern aus der Lombardei und Venetien fliessen werden. Für den Finanzausgleich zwischen den 20 italienischen Regionen ist die Zentralregierung in Rom zuständig. Die beiden Regionen können also all ihre Steuergelder nicht einfach für sich behalten. Rom sei jedoch bemüht, eine vernünftige Lösung zu finden.
Wieso also diese Abstimmung, wenn ein Brief in die Hauptstadt genügt hätte? Spätestens im kommenden Frühjahr finden in Italien nationale Wahlen statt.
EU-freundliches Italien
Der Lega Nord sind in den letzten Jahren ihre Kernthemen abhanden gekommen. Zuerst kämpfte sie für ein unabhängiges Padanien – das Gebiet nördlich des Po. Doch den Traum von norditalienischer Unabhängigkeit träumt heute kaum mehr jemand.
Dann kämpfte die Lega gegen die EU und den Euro. Doch mit dieser „Mutter aller Forderungen“ punktet sie heute kaum mehr. Gerade in Italien ist das Vertrauen in die EU wieder gewachsen, und zwar im letzten Jahr um 6 Prozent. Laut einer am Freitag präsentierten Studie von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani gehören die Italiener zu den EU-freundlichsten Staaten. Die virulente Anti-EU-Polemik der Lega fällt also eher auf unfruchtbaren Boden.
Längst ist die Lega zu einer rechtspopulistischen, teils xenophoben Partei à la Marine Le Pen, Gerd Wilders und Heinz-Christian Strache geworden. Mit den Autonomie-Referenden gelang es ihr, wieder einmal die Schlagzeilen zu erobern. Schon am Freitag sagte Umweltminister Gian Luca Galletti, das Ganze sei ohnehin nur Wahlpropaganda der Lega Nord.
„Opera buffa“
Doch die Lega-Initianten der Abstimmungen müssen auch für Spott nicht sorgen. Zum ersten Mal kam in Italien das E-Voting zur Anwendung. Dazu wurden 25’000 Tablets gekauft. Sie verschlangen 50 Millionen Euro und wurden von Medien „voting machines delle polemiche“ getauft. Das Experiment endete ernüchternd. Italien zeigte sich wieder einmal von seiner „Opera buffa“-Seite.
Am Vortag der Abstimmung wurde das System getestet. Sofort gingen Fehlermeldungen ein. „Die Tablets hängen sich auf, Eingaben werden nicht registriert, die Batterien werden nicht geladen, die Steckdosen sind defekt“, heisst es in Tweets der Webmaster. „Der Test verlief nicht sehr gut“, erklärte Pietro Bussolati, der sozialdemokratische Mailänder Parteisekretär. „Es besteht ein Risiko schwerwiegender Komplikationen.“ Demgegenüber versicherte die lombardische Regionalregierung: „Es gibt kein Sicherheitsproblem.“ Am Sonntag machten dann Meldungen die Runde, dass Stimmen „einfach verschwinden oder mehrmals gezählt werden“ – und, dass Hacker am Werk sind.
„È una vergogna!“
Am Sonntagabend wartete man auf das Ergebnis; man wartete und wartete. Viele USB-Sticks waren nicht lesbar. Elisabetta Obertone, eine Wahlhelferin in einem Mailänder Abstimmungsbüro schreibt am Montag früh auf Twitter „Es ist eine Schande. Hätten wir manuell ausgezählt, wären wir längst zu Hause.“ Bis 03.00 Uhr früh wurden die Wahlhelfer in den Abstimmungslokalen festgehalten.
„Wir waren Gefangene des elektronischen Systems“, kommentiert ein Wahlhelfer. Auch am Montag um 13.00 Uhr stand das definitive Ergebnis noch nicht fest. Roberto Maroni wird aufgerufen sich für den „flop del voto elettronico“ („La Repubblica“) zu entschuldigen.
„Wie will die Lega regieren“, frotzelt ein Römer Journalist, „wenn sie nicht einmal eine Abstimmung organisieren kann?“