Matteo Renzi, der sozialdemokratische Ministerpräsident, steht vor schweren Zeiten. Der linke Flügel seiner Partei setzt sich von ihm ab. Wichtige Parteigrössen werfen ihm „Verrat an der Sozialdemokratie“ vor. Die Partei verwässere und verliere mehr und mehr ihre Identität. Sergio Cofferati, ein Mitbegründer von Renzis „Partito Democratico", (PD), ein linker Elefant, hat die Partei im Streit verlassen. Renzi würde jede demokratische Diskussion abwürgen, sagt er. Wer nicht seiner Meinung sei, würde kaltgestellt. Der Abgang von Cofferati ist ein Schlag in Renzis Magengrube.
Manche Sozialdemokraten kritisieren die zunehmend selbstherrliche Art des eben 40 Jahre alt gewordenen Ministerpräsidenten. „Es gibt keine Diskussion mehr“, erklärt Renzi immer wieder. „Wir haben schon genug diskutiert. Ich weiche keinen Zentimeter von meiner Vorstellung ab“, sagte er auch am Mittwoch in Davos. Zu denken geben muss Renzi auch, dass es nicht nur superlinke Apparatschiks sind, die gegen ihn aufstehen – auch manch Gemässigter ist dabei.
29 linke Dissidente
Nächste Woche sollte definitiv über die Wahlrechtsreform abgestimmt werden – einer der Eckpfeiler in Renzis Programm. Die Reform sieht ein Proporzsystem vor und soll Italien regierbarer machen. Die stärkste Partei oder die stärkste Allianz sollen dank einem „Mehrheitsbonus“ eine klare Mehrheit zum Regieren erhalten. Sollte Renzi diese Wahlrechtsreform, „Italicum“ genannt“, nicht durchbringen, wäre sein Ruf lädiert.
Der Senat hat am Mittwochabend die Reform mit 175 zu 110 Stimmen verabschiedet. 29 sozialdemokratische Senatoren hatten erklärt, sie würden gegen die Vorlage stimmen. Jetzt muss noch die grosse Kammer, das Abgeordnetenhaus der Reform zustimmen.
Der Teufel ist Berlusconi
Bis vor kurzem schien das Gesetz nicht gefährdet. Doch in Italien ist immer schnell alles möglich. Gegen das Gesetz und gegen Renzi wollen nicht nur die dissidenten Linken und die dissidenten Mitte-rechts-Parlamentarier stimmen: dagegen sind auch die 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo, einige Zentrumspolitiker, die Lega Nord und die Rechtspartei „Fratelli d’Italia“. Dennoch scheint eine Annahme der Vorlage im Moment als wahrscheinlich.
Linke Sozialdemokraten höhnen schon: Renzi wird das Gesetz nur dank einem Pakt mit dem Teufel durchbringen.
Und der Teufel ist Berlusconi.
Nach-Berlusconi-Ära
Doch auch Berlusconi laufen Leute davon. Seine Partei, Forza Italia, ist erstarrt und weist in den Meinungsumfragen miserable Werte auf. Nur etwa 15 Prozent der Italienerinnen und Italiener würden heute für Forza Italia stimmen.
Die Zeit des 78-Jährigen scheint sachte abzulaufen. Viele seiner Parteifreunde beginnen, sich für die Nach-Berlusconi-Ära einzurichten. Einige denken schon über eine neu zu gründende Mitte-rechts-Bewegung nach – eine Partei ohne Berlusconi.
"Renzi ist einer wie ich"
Vor einem Jahr, am 18. Januar 2014, hatten Renzi und Berlusconi einen Pakt geschlossen, den sogenannten „Patto del Nazareno“. Der Name stammt vom Largo Nazareno, dem Platz, an dem der Haupsitz der Sozialdemokraten liegt. In diese Parteizentrale hatte Renzi ausgerechnet Silvio Berlusconi eingeladen - zum Schrecken vieler linker Parteigenossen. Beide kamen überein, die längst fälligen Reformen gemeinsam voranzutreiben. Berlusconi lobte den politischen Gegner in höchsten Tönen: „Renzi ist einer wie ich, er packt an, er hat Ideen.“
Schon damals brauchte Renzi Berlusconi. Der stürmische junge Ministerpräsident musste schnell Resultate vorweisen und Reformen durchs Parlament bringen. Das konnte und kann er nur mit Unterstützung des inzwischen verurteilten Berlusconi. Gelandet allerdings hat er bisher den grossen Coup noch nicht.
Grosse Koalition
Umgekehrt: Berlusconi braucht Renzi, denn „Silvio, dem Kaiman“ (Nanni Moretti) schwimmen langsam die Felle davon. Gemeinsam aber bilden Renzi und Berlusconi eine Art loser Grosser Koalition – was aber beide nicht daran hindert, immer wieder gegen den andern zu sticheln.
Berlusconi unterstützt Renzi und spielt so auf Zeit, denn käme es jetzt zu Neuwahlen, würde der alte, zu allem fähige Politfuchs wohl ein unrühmliches politisches Ende erleben. Eine solche Schmach liegt ihm nicht. Lieber eine Zeit lang mit dem politischen Gegner kooperieren, als mit Schimpf und Schande seine Karriere zu beenden.
Die Turiner Zeitung „La Stampa“ schreibt am Mittwoch: „Der Regierungschef und der frühere Oppositionschef vereint gegen den Rest der Welt. Berlusconi und Renzi gegen alle. Und umgekehrt“.
Und ein Journalist der Römer Zeitung „Repubblica“ witzelt: „Längst geht Renzi ins Bett mit Berlusconi – und umgekehrt“.
Wahl des Staatspräsidenten
Renzi betont immer wieder, dass das Gerangel um die Wahlrechtsreform keinen Einfluss auf die Wahl des Staatsoberhauptes haben werde. Diese Wahl soll Ende Monat stattfinden.
Der 89-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano, ein ehemaliger Kommunist und einer der hehrsten und saubersten Politiker Italiens, ist Mitte Januar, wie erwartet, zurückgetreten.
Napolitano hatte schon einmal demissioniert. Im April 2013 sollte ein Nachfolger gewählt werden. Die Wahl entpuppte sich als Desaster für die Linke. Dem damaligen Parteichef Pierluigi Bersani gelang es nicht, einen ersten (Franco Marini) und dann einen zweiten Kandidaten (Romano Prodi) durchzubringen. Wieder einmal war die Linke zerstritten. Im allgemeinen Wahlchaos entschied sich dann Napolitano, gegen seinen ursprünglichen Willen noch einmal anzutreten. Bersani trat im Streit zurück.
Rache an Renzi?
Eine solche Schlappe will Renzi, Bersanis Nachfolger, jetzt mit allen Mitteln verhindern. Natürlich geistern Dutzende Namen durch die Medien und durch die Wandelhallen der beiden römischen Parlamente. Doch einen eigentlichen Favoriten gibt es offenbar noch nicht.
Wahrscheinlich hat, entgegen Renzis Worten, die Wahlrechtsreform eben doch einen grossen Einfluss auf die Wahl des Staatspräsidenten. Wenn die linken und rechten Dissidenten, die Lega, die Fünf Sterne und die Fratelli d’Italia die Wahlrechtsreform schon nicht verhindern können, könnten sie sich an Renzi rächen, indem sie gegen seinen Kandidaten stimmen.
Und schon wieder braucht Renzi Berlusconi. Offenbar stehen die beiden in Verhandlungen über einen gemeinsamen Kandidaten. Renzi erklärte, er werde “seine” Wahl am 28. Januar bekanntgeben. Ende Monat soll dann gewählt werden. Doch “seine” Wahl ist auch Berlusconis Wahl.
Berlusconi ist müde geworden. Doch noch immer zieht er die Fäden.