Die Förderung der gewaltbereiten islamistischen Gruppen durch „den Westen“ erreichte einen Höhepunkt in Afghanistan zwischen 1979 und 1989, nachdem die Sowjetarmee in Afghanistan eingegriffen hatte und daraufhin die Gegner der Russen im Kalten Krieg den afghanischen Widerstand gegen die sowjetischen Kräfte mit Waffen und Geld unterstützten. Den Amerikanern ging es dabei darum, den Russen eine Niederlage beizubringen, welche die USA für jene kompensieren sollte, die sie in Vietnam erlitten hatten.
Dschihad gegen die Sowjetunion
Pakistan spielte eine wichtige Rolle in diesem Prozess. Dort war ein islamistisch ausgerichteter Offizier, General Zia ul-Haqq (1924–1988, Staatschef seit 1978), durch einen Putsch an die Macht gekommen, und ihm sowie seinem Geheimdiensten, ISI (für „Inter Service Intelligence“), war daran gelegen, dass die afghanischen Islamisten im Kampf gegen die Russen den Sieg davon trügen. Dies nicht nur aus Gründen islamistischer Solidarität und nicht ausschliesslich aus solchen des Kalten Krieges.
Den Pakistani ging es auch darum, dafür zu sorgen, dass ein zukünftiges Afghanistan nicht von afghanischen Nationalisten oder gar Linksgruppen beherrscht werde. Pakistan glaubte – und glaubt auch noch heute – dass ein „islamisch“ ausgerichtetes Land Afghanistan mit Pakistan gemeinsame Sache gegen Indien machen werde, während ein nationalistisch gelenktes Kabul, wie sich in der Vergangenheit erwiesen hatte, gespannte Beziehungen gegenüber Pakistan unterhalten und eher Delhi zuneigen würde als Islamabad.
Die afghanischen Nationalisten standen in permanenten Grenzstreitigkeiten mit Pakistan seit der Gründungszeit Pakistans. Sie wollten die in der britischen Zeit festgelegte Grenzlinie zwischen britisch Indien und Aghanistan, die sogenannte Durand Linie, nicht als internationale Grenze anerkennen. Diese Linie trennt das Territorium der Paschtunen, des grössten Volkes des Vielvölkerstaates Afghanistan, in zwei Hälften. Der südliche, einst indische Teil ging auf Pakistan über. Doch Afghanistan hat die koloniale Trennungslinie aus der britischen Zeit nie als internationale Grenze anerkannt und forderte von Pakistan Verhandlungen darüber, wie eine endgültige Grenze zwischen den Nachbarstaaten verlaufen solle.
Die Amerikaner, die Engländer und die Saudis benötigten Pakistan als Durchgangsland, um ihre Waffen und Gelder an die Guerilla zu liefern, die in Afghanistan gegen die Sowjetunion kämpfte. Zia ul-Haqq, der pakistanische Präsident und Militärdiktator, stellte sein Land als Durchgangsland zur Verfügung. Doch er bedingte sich aus, dass es sein Geheimdienst ISI sein müsse, der Waffen und Gelder an die afghanischen Kampfgruppen nach seinem Gutdünken verteile.
Dies hatte zur Folge, dass die ohnehin relativ geringen, weil mehr städtischen als ländlichen Kräfte der afghanischen Nationalisten ausgeschlossen wurden und Waffen und Gelder ausschliesslich in die Hände des islamischen und islamistischen Widerstandes gelangten. Es gab sechs islamische und islamistische Gruppen, an welche die Hilfe aus Pakistan geleitet wurde. Die vier meistbegünstigten unter ihnen wurden von gewaltbereiten Islamisten geleitet, die ihre Ideologie von Sayid Qutb und anderen gewaltorientierten islamistischen Ideologen herleiteten.
Es gab auch in Pakistan vergleichbare Ideologien, die Gottes Herrschaft über die Muslime und die Ausschaltung säkularer Politik zu Gunsten von islamischen Sharia-Regimen forderten. Der berühmteste ihrer Lehrer war Abdul A'la al-Mawdoodi (1924–1979) mit seiner Lehre vom „Herrschaftsrecht Gottes“ („hakimiyat ul-Lah“ ) und mit seiner Pakistanischen Islamisten Partei, der Jamat-e-Islami.
Internationale der Dschihadisten
Nicht nur Waffen und Gelder flossen aus den USA und Saudi-Arabien nach Afghanistan, sondern auch Kämpfer im „Heiligen Krieg“. Den Saudis und anderen Erdölstaaten am Golf kam es gelegen, sich von radikalen Islamisten in ihrem Land zu befreien, indem sie sie nach Afghanistan sandten, um dort gegen die „atheistischen Kommunisten“ zu kämpfen. Der Schock der Moscheebesetzung von 1979 hatte gezeigt, wie gefährlich solche Personen im eigenen Land werden konnten.
Die Hauptmasse der Dschihad-Kämpfer in Afghanistan waren stets Afghanen. Doch es gab auch eine Internationale von Dschihadisten, in erster Linie aus allen Teilen der Arabischen Welt, unter ihnen wahrscheinlich die grösste Zahl aus Saudi-Arabien.
Gewalt im Fokus
Der zehnjährige Krieg in Afghanistan wurde zu einer Kriegsschule für Dschihadisten. Sie lernten nicht nur mit modernen Waffen und Sprengstoffen umgehen, sie wurden auch ideologisch geschult. Ihre Ausbildung und ihre kämpferischen Aktivitäten wurden mit Milliarden von Dollars aus den USA und aus Saudi-Arabien sowie aus den anderen Erdölstaaten finanziert. Darüber hinaus gab es staatliche, aber auch private Finanzierung durch reiche Araber vom Golf, die den Heiligen Krieg unterstützen wollten.
Der zehnjährige „Dschihad“ in Afghanistan, der mit amerikanischer Hilfe und mit Beifall aus Europa geführt wurde, rückte unvermeidlich die Frage der Gewalt ins Zentrum der islamistischen Aktivitäten. Die Blutopfer und der Umgang mit den Waffen stärkten die Kreise der Islamisten innerhalb der Wahabiya, der Bruderschaft, der Radikalen Gruppen ausserhalb derselben und derjene innerhalb der Salafiya, die Gewaltanwendung rechtfertigten und glorifizierten.
Der Erfolg des „Heiligen Krieges“ mit dem Abzug der Russen und dem bald darauf folgenden Zusammenbruch der Sowjetunion brachte den Mythos auf, „der Islam“ habe „den Kommunismus“ besiegt. Das war zwar eine Vereinfachung, entsprach aber auch dem starken Bedürfnis, „den Islam“, genauer „unsern Islam“, nach Jahrhunderten seiner Demütigung durch Westeuropäer, Kolonialmächte und Israeli wieder in die Rolle des Siegers zu erheben.
Der afghanische Dschihad Osama Bin Ladens
Die Rolle, die Osama Bin Laden als Organisator des „Dschihad“ in der pakistanischen Etappenstadt Peshawar spielte, ist so bekannt, dass sie hier nur kurz erwähnt werden muss. In Peshawar hat Osama Bin Laden auch Kontakt mit Dr. Abdullah Azzam unterhalten und mit ihm kollaboriert. Der islamische Theologe und Agitator war palästinensischer Herkunft und ausgebildet an der Azhar Universität. Er wurde zum wichtigsten ideologischen Mentor Osama Bin Ladens. Er war ein Befürworter des gewaltsamen Dschihad gegen die „Feinde des Islams“, die er in den westlichen Mächten, in Israel und auch in der Sowjetunion erblickte. Gemeinsam mit Bin Laden hatte er das „Büro für Dienstleistungen für die Mudschahedin“ in der Grenzstadt Peshawar gegründet und betrieben. In den Jahren zuvor hatte er zu den Universitätslehrern in Riad gehört, bei denen Osama Bin Laden studierte.
Azzam, geboren in Jenin, Palästina 1941, wurde am 23. November 1989 in Peshawar zusammen mit seinen zwei Söhnen durch eine Bombe getötet. Bis heute ist ungewiss, wer für den Mord verantwortlich war. Unter den vielen Personen und Mächten, die Motive hatten, gegen ihn vorzugehen, befindet sich auch Ayman al-Zawaheri (geboren 1951), der heutige Chef von al-Kaida in Nachfolge Bin Ladens.
Zawaheri, ein ägyptischer Arzt aus einer Familie von Ärzten und Professoren der Medizin, hatte zu der Gruppe „Islamischer Dschihad“ gehört, die 1981 den Mord an Präsident Sadat durchführte. Er war in der Folge eingekerkert und gefoltert worden. Er kam schon nach drei Jahren frei, weil man ihm keine direkte Beteiligung an den Untaten nachweisen konnte. Zawaheri wurde zum Oberhaupt der ägyptischen Untergrundgruppe „Islamischer Dschihad“ in Nachfolge des Gründers, des Geheimdienstobersten Abboud Zumar, der hingerichtet worden war. Doch Zawaheri sah sich gezwungen Ägypten zu verlassen. Er ging nach Peshawar und arbeitete als Arzt im dortigen Rotkreuzspital, wohin verwundete Mudschahedin eingeliefert wurden. Dort lernte er Bin Laden kennen.
Der schwerreiche Saudi war natürlich ein wichtiger Partner für jede Gruppe, mit der er zusammenarbeitete und die er finanziell unterstützte. Deshalb entstand eine gewisse Rivalität zwischen Azzam und Zawaheri. Diese hatte auch ideologische Gründe. Azzam lehnte Anschläge ab, in denen unschuldige Muslime ihr Leben verloren, Zawaheri rechtfertigte sie. Die von ihm ferngesteuerte Gruppe „islamischer Dschihad“ arbeitete in Ägypten zusammen mit einer zweiten Gruppierung, „Gamaa Islamiya“, und beide verübten blutige Anschläge in Ägypten, denen unschuldige Ägypter und andere Unbeteiligte – sogar Kinder – zum Opfer fielen.
Der letzte dieser Anschläge war jener von Luxor 1997, der 58 Touristen und 4 Ägyptern das Leben kostete. Diese und vorausgegangene Untaten stiessen auf klare Ablehnung bei der ägyptischen Bevölkerung und bewirkten, dass die dortigen Dschihadisten die Unterstützung so gut wie aller Teile der Bevölkerung in Ägypten verloren. Diese Entwicklung brachte das Ende der ersten grossen dschihadistischen Gewaltwelle in Ägypten.
Übergangsphase nach Afghanistan
In Afghanistan war der „Dschihad“ gegen die Russen 1988 zu Ende gegangen. Die afghanischen Dschihadistengruppen begannen untereinander um die Macht zu kämpfen. Viele der arabischen Kämpfer kehrten in ihre eigenen Länder zurück. Dort wurden sie „Afghanen“ genannt wegen ihrer Kriegserfahrungen und ihrer ideologischen Schulung, die sie in ihre Heimatländer zurückbrachten. Bin Laden behielt die von ihm finanzierten Ausbildungslager in Afghanistan bei. Sie zogen weiterhin gewaltwillige Islamisten an, die dort eine militärische Ausbildung suchten.
„Afghanen“ spielten eine blutige Rolle als fanatische Extremisten im algerischen Bürgerkrieg, der 1991 ausbrach, als die algerische Armee durch einen Staatsstreich verhinderte, dass die begonnenen Parlamentswahlen zu Ende geführt wurden, weil die Islamisten diese Wahlen zu gewinnen drohten. Im Verlauf des Bürgerkrieges entstand neben der Hauptfront von Islamisten, FIS (für: „Front Islamique du Salut“) eine zweite, bedeutend radikalere, Gruppe, die GIA (für: „Groupes Islamiques Armés“), die unterschiedslos Blut vergoss.
„Afghanen“ kämpften in ihren Reihen, doch es gibt viele Hinweise darauf, dass die GIA von den Geheimdiensten der algerischen Armee infiltriert war und diese die Gruppe dermassen steuerten, dass sie durch ihre Massaker von Unbeteiligten die islamistischen Bewegungen in Algerien allesamt diskreditierte. Die GIA trugen entscheidend dazu bei, dass die islamistische Erhebung in Algerien schrittweise ihren Rückhalt bei der Bevölkerung verlor. Dies trug dazu bei, dass die Armeekräfte 1998 das Übergewicht gewannen.
„Afghanen“ spielten auch eine Rolle im jugoslawischen Bürgerkrieg, in dem sie zwischen 1992 und 1995 die bosnischen Muslime als Milizkräfte unterstützten. Sie wirkten sogar in den tschetschenischen Kriegen im Kaukasus mit, die 2009 nach blutigen Kämpfen und Anschlägen mit einer Niederlage der islamistischen Kämpfer endeten.
Der zehnjährige afghanische Krieg war ein entscheidender Schritt in der Militarisierung der gewaltwilligen Islamisten. Anschläge waren schon zuvor die Waffe ihrer Gruppen gewesen. Nun lernten die gewaltbereiten Gruppen die Kriegstechnik der asymmetrischen Kriege, die ihnen ermöglichte, gegen staatliche Heere standzuhalten. Die Verschwörergruppen mutierten zu Untergrundkriegern. Mit diesem Wechsel der Methoden und Mentalitäten wuchs die Zentralität der Gewalt. Religion und Ideologie wurden weitgehend Mittel zum Zweck, und der Zweck lag in Machtergreifung und Machtausübung.
Die Entstehung der Taliban
Auch innerhalb Afghanistans kam es zu einer vergleichbaren Entwicklung. Aus dem Chaos der gegeneinander kämpfenden Kampfgruppen und Warlords gingen schliesslich die Taliban hervor. Sie konnten mit pakistanischer Hilfe und saudischer Finanzierung zwischen 1994 und 1996 schrittweise den grössten Teil des Landes unter ihre Herrschaft bringen. Ihr Anführer, Mullah Omar, ein kleiner Dorfmullah aus der Umgegend von Kandahar, der im Dschihad gegen die Sowjetunion ein Auge verloren hatte, konnte Anhänger um sich sammeln, weil er im Gegensatz zu den Warlords selbstlos auftrat und und seine Versprechen einer künftigen islamischen Ordnung glaubwürdiger waren als die Machtspiele und Erpressungsmanöver der grösseren Bandenführer und Milizoberhäupter.
Pakistan wurde schon früh auf den Mullah aufmerksam, der eine ihm ergebene Schar von Taliban – das heisst: Schülern, Studenten – um sich sammelte und sie veranlasste, im Rahmen einer verheissenen islamischen Ordnung gegen die Bandenführer aufzustehen und anzukämpfen.
Eine Pipeline durch Afghanistan?
Pakistan lag daran, das Projekt einer Rohrleitung zu verwirklichen, die Erdgas und später vielleicht auch Erdöl aus Usbekistan durch Afghanistan und durch Pakistan hindurch an den Indischen Ozean führen sollte. Eine solche Leitung hätte das Monopol der aus Zentralasien nach Deutschland führenden russischen Gasleitungen durchbrochen. Deshalb war sie auch ein amerikanisches Anliegen. Usbekistan war nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einem unabhängigen Staat geworden und ebenfalls daran interessiert, einen alternativen Weg für sein Gas und Erdöl an die Weltmeere zu eröffnen, der nicht durch Russland hindurchführte.
Pakistan entschloss sich, die Taliban des Mullah Omar zu unterstützen in der Hoffnung, über sie, wenn sie erfolgreich sein sollten, eine „islamische“ Ordnung in Afghanistan zu errichten, die sich auf Pakistan abstützen würde und dadurch Islamabad die Gelegenheit böte, das nördliche Nachbarland in seine Interessensphäre einzubeziehen und alle indischen Einflüsse auszuschliessen.
Hinter dem Pipeline-Projekt standen saudische und amerikanische Gelder. Voraussetzung für die Rohrleitung war, dass in Afghanistan Sicherheit herrsche, so dass die Pipeline gebaut und betrieben werden konnte. Mit Usbekistan bestanden bereits Lieferverträge. Doch die nötige Ruhe und Ordnung, um die Kapitalien zu investieren und den Bau der Pipeline in Angriff zu nehmen, ist in Afghanistan nie eingetreten. Das Pipeline-Projekt wurde aufgegeben.
Die Taliban werden Regierung
Die Taliban des Mullah Omar prosperierten mit Hilfe der pakistanischen Geheimdienste und saudischer Gelder. Sie konnten Kandahar im Jahr 1994 erobern, Kabul 1996, Mazar-e-Sharif, im Norden des Landes, nach einem Rückschlag im Jahre zuvor und erneut zwei Jahre später 1998. Nur der Nordosten Afghanistans blieb unter der Macht des Tadschiken, Ahmed Schah Masud, und seiner Nördlichen Allianz. Die Allianz erhielt einige Stützung durch die neuen zentralasiatischen Republiken, die begonnen hatten, die Islamisten in ihren eigenen Staaten zu fürchten.
Die Taliban waren von den Doktrinen der arabischen Islamisten und des Pakistani, Mawdoodi, beeinflusst. Doch sie waren auch paschtunische Stammesleute aus dem Mehrheitsvolk Afghanistans, das eigene von der Stammestradition geprägte Varianten des Islams besass. Manche ihrer Gebräuche, wie die Verehrung von heiligen Personen, stiessen auf Ablehnung der arabischen Wahabiten und der von Qutb beeinflussten Radikalen. Die Behandlung der Frauen durch die Taliban entsprach den in dieser Hinsicht ganz besonders fanatischen Traditionen der paschtunischen Stämme.
In Pakistan gab es rund zweitausend islamische Schulen, Madares (Singular: Madrase) genannt. Etwa ein Zehntel von ihnen gehörten der puritanischen Richtung des indischen Islams an. Diese wird in der Universität von Deoband gelehrt, wo die Lehren der arabischen Wahabiten und Qutb-Anhänger Zustimmung fanden. Die afghanischen Kriege hatten dazu geführt, dass rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan in Lagern in Pakistan Unterschlupf fanden. Die Jugend in diesen Lagern erhielt ihre Schulung, soweit überhaupt, in den Madares, zu deren Tradition es gehört, dass sie mittellose Schüler beherbergen und verköstigen.
Die pakistanischen Geheimdienste griffen auf diese Madares zurück, um deren Schüler, „Taliban“, zu mobilisieren und sie als Mudschahedin nach Afghanistan zu entsenden. Pakistanische Offiziere sorgten für ihre Bewaffnung, Ausbildung und sogar für die Planung ihrer Feldzüge, indem sie zu Hunderten als Berater in Afghanistan wirkten. Doch Mullah Omar und seine engsten Mitarbeiter, in verschiedene Gremien von Räten strukturiert, wirkten als die obersten Machthaber und als Bezugspunkte für die Loyalität der Mudschahedin. Sie bestimmten die Politik in den wachsenden Landesteilen Afghanistans, deren sie sich bemächtigen konnten.
Das Regime der Taliban wurde auf diesem Weg zu der ersten sich selbst „islamisch“ nennenden Regierung, die diskret verdeckt eng mit den Geheimdiensten (Pakistans) zusammenarbeitete und die Fachleute, Methoden und Kriterien der Geheimdienste anwandte, um ihre angeblich islamische Macht zu errichten und abzusichern. – Der „Islamische Staat“ (IS) in Nordirak und in Syrien sollte 2014 der zweite geheimdienstunterstützte angeblich islamische Staat werden, indem er die Geheimdienstoffiziere Saddam Husseins inkorporierte.
Kampf gegen die Kreuzzügler
Osama Bin Laden kehrte nach dem Ende des Kriegs gegen die Russen in seine saudische Heimat zurück. Doch er sorgte weiter für die Finanzierung der verbleibenden Mudschahedin-Ausbildungslager in Afghanistan und mobilisierte Beiträge dazu in Saudi-Arabien. Zum Bruch mit den saudischen Machthabern, denen die Bin-Laden-Grossfamilie nahe stand, kam es erst 1990, als Saddam Hussein Kuwait angriff und besetzte. Damals richtete Osama ein Schreiben an die Herrscherfamilie, in dem er vorschlug, die Gefahr zu bannen, die für das Königreich durch den Angriff auf seinen Nachbarstaat, Kuwait, entstanden war, indem er, Osama, Truppen von Mudschahedin mobilisiere und sie zum Kampf gegen den „ungläubigen“ Diktator des Iraks einsetze. Er, Osama, vermöge 100’000 Mann zu mobilisieren, dank seiner Beziehungen zu den afghanischen Mudschahedin, behauptete Bin Laden.
Doch die saudische Regierung beschloss stattdessen, amerikanische Truppen in Saudi-Arabien zu stationieren, wie die Amerikaner dies vorschlugen, und ihre Hilfe gegen das den saudischen Truppen weit überlegene Heer Saddams in Anspruch zu nehmen. Die Amerikaner übernahmen die Aufgabe, Kuwait freizukämpfen. Der Vorschlag Bin Ladens blieb unbeantwortet.
Osama Bin Laden war zutiefst empört und in seinen religiösen Gefühlen verletzt durch das Eindringen der amerikanischen Heeresmacht auf die Arabische Halbinsel, die dem Islam als geheiligt gilt. Er sah dies als eine „Besetzung“ dieses heiligen Bodens, und er war überzeugt, dass die Fremden sein Land nie mehr freiwillig räumen würden. Der Umstand, dass die amerikanischen Truppen nach ihrem Sieg über Kuwait weiterhin in grossen Basen in der saudischen Wüste stationiert blieben, bestärkte ihn in seiner Meinung.
Es wurde zu seinem Ziel, einen zweiten Dschihad nach dem erfolgreichen von Afghanistan, gegen die „Besetzungsmacht“ der Amerikaner in Saudi-Arabien auszulösen. Er sah Parallelen zu der „Besetzung“ Palästinas durch die zionistischen Juden und zu den Kreuzzügen der mittelalterlichen Christenheit im Heiligen Land. Der Slogan vom „Kampf gegen die Kreuzzügler und die Juden“ wurde allgegenwärtig. Er stand für die Vorstellung, dass „der Islam“ gefährdet sei und sich zur Wehr setzen müsse.
Vor einem neuem Dschihad
Die Jahre nach dem Sieg über die Sowjetunion waren für die Dschihadisten von Diskussionen darüber gezeichnet, wie sie ihren Dschihad fortsetzen wollten. Zawaheri und den Seinen schwebte vor, das ägyptische Regime Mubaraks zu Fall zu bringen. Azzam machte Pläne für die Befreiung Palästinas. Bin Laden schwankte zwischen Plänen zur Fortsetzung des Dschihads in Kashmir oder in Zentralasien oder in Palästina oder gegen die amerikanische Präsenz in Saudi-Arabien. Erst allmählich kam Übereinkunft darüber zustande, dass Amerika als das Hauptziel zu bezeichnen sei, weil seine Macht hinter allen Feinden der Dschihadisten stand, diese stärkte und an der Macht hielt.
Nach dem Kuwaitkrieg, der im März 1991 endete, reiste Bin Laden einmal mehr nach Afghanistan, um zu versuchen, die streitenden Mudschahedin-Gruppen miteinander auszusöhnen. Er musste aber einsehen, dass dies unmöglich war. Er beschloss, nicht nach Saudi-Arabien zurückzukehren, wo die Regierung begonnen hatte, ihm Hindernisse in den Weg zu legen. Stattdessen nahm er das Angebot der damals dem Islamismus zuneigenden Regierung des Sudans an, sich dort niederzulassen. Seine Familie und engere Mitarbeiter zogen ihm nach.
Zu den ersten Aktivitäten, die er vom Sudan aus organisierte, gehörte die Aktion in Somalia gegen amerikanische Truppen von 1992, der ein Helikopter mit 18 amerikanischen Soldaten zum Opfer fiel. Sie wurde zum Anlass dafür, dass die Amerikaner Somalia wieder verliessen. Für Bin Laden war das ein Erfolg, der verhinderte, dass Somalia durch den „Kreuzzug“ der Amerikaner besetzt werde. Auch andere Anschläge wurden von Khartum aus organisiert.
In der Folge übte Washington Druck auf Khartum aus, Bin Laden zu entfernen, und 1996 forderte ihn die sudanesische Regierung auf, das Land zu verlassen. Er fand Zuflucht im Afghanistan der Taliban. Nach einem anfänglich kühlen Empfang entwickelte er gute Beziehungen zu Mullah Omar und organisierte von Afghanistan aus den Grossanschlag auf die beiden amerikanischen Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salam vom 7. Oktober 1998. 244 Personen wurden ermordet, unter ihnen nur elf Amerikaner, die Verwundeten waren über 4’000. Washington versuchte darauf am 20. Oktober des gleichen Jahres, Bin Laden auszuschalten, indem es das Trainingslager von Khost in Afghanistan bombardierte. Bin Laden hatte den Ort kurz vor der Bombardierung verlassen. Auch eine pharmazeutische Fabrik im Sudan wurde angegriffen. Washington hatte fälschlicherweise geglaubt, dass dort chemische Waffen für Bin Laden hergestellt würden.