Vor kurzem bin ich auf ein langes Interview mit dem amerikanischen Schriftsteller Paul Auster im Internet-Magazin „Open Salon“ aufmerksam gemacht worden. Der in New York lebende Erfolgsautor, Jahrgang 1947, kommt dabei auch auf die Politik in Amerika und seine Einstellung zu Präsident Obama zu sprechen. Auster betont, er trete vehement für die Wiederwahl des Präsidenten ein. Natürlich habe ihn dieser in vielen Dingen enttäuscht. Schon vor vier Jahren sei ihm klar gewesen, dass Obama ein gemässigter Politiker sei. „Seine Politik stimmt nicht mit meinen Vorstellungen überein, aber er kommt diesen Vorstellungen verdammt viel näher als die andern Kandidaten.“ Er wünschte, fährt Auster fort, Obama würde radikaler handeln, aber er wisse auch, dass jeder, der weiter links stehe, nie eine Chance hätte, die Wahl zu gewinnen. – So was nennt man politischen Realismus. Eine Demokratie kann nicht funktionieren, wenn diese Art von realistischem Denken nicht genug verbreitet ist. Wer nicht akzeptieren will, dass Politik bestenfalls die Kunst des Möglichen ist, und nicht die perfekte Erfüllung persönlicher Ideale, wird sich auch in einer Demokratie nie zu Hause fühlen. Wer nicht zur Wahl geht, weil ihm kein Kandidat gut genug ist, ist kein glaubwürdiger Kritiker. Gerade in Amerika und in der Schweiz gibt es nach diesem Kriterium zu viele Lästerer, die es sich zu einfach machen. Der Schriftsteller Paul Auster zählt nicht zu dieser Kategorie. (Reinhard Meier)