Die Sowjetunion weitete ihren Machtbereich in Mittel- und Osteuropa durch die Schaffung kommunistischer Satellitenstaaten aus. Die Vereinigten Staaten schufen mit dem Marshall-Plan ein Instrument, um den Wiederaufbau Westeuropas zu fördern und dem Vordringen des Kommunismus den Boden zu entziehen. Im Jahre 1949 wurde mit der NATO das westliche Abwehrbündnis geschaffen, das sich gegen die sowjetische Expansion richtete. Die sowjetische Antwort darauf war der Warschauer-Pakt vom Jahre 1955, in dem sich die Ostblockstaaten im Falle eines westlichen Angriffs zum gemeinschaftlichen Widerstand verpflichteten. Nun standen sich bis zum Zerfall der Sowjetunion zwei militärische Blöcke feindselig gegenüber, beides Atommächte, deren Front quer durch Deutschland verlief.
Die Sowjetunion, die siegreich aus dem Krieg hervorgegangen war und die grössten Opfer gebracht hatte, erfreute sich nach Kriegsende eines beachtlichen internationalen Prestiges. Intellektuelle in aller Welt interpretierten den russischen Sieg über den „Faschismus“ als Zeichen für die Überlegenheit des kommunistischen Systems. Es ergab sich das paradoxe Faktum, dass Hitler, der den Kommunismus hatte niederringen wollen, langfristig zu dessen Stärkung und geistiger Attraktivität beitrug. In einigen Ländern Europas, so in Frankreich und Italien, wurden die kommunistischen Parteien in den Nachkriegsjahren zu wichtigen Faktoren der Innenpolitik.
In Frankreich bildete die kommunistische Partei nach der Libération die stärkste politische Kraft. Die Kommunisten hatten während des Krieges in der Résistance eine wichtige Rolle gespielt und waren frei vom Makel, mit den Deutschen oder mit dem deutschfreundlichen Vichy–Régime Marschall Pétains kollaboriert zu haben. Den Institutionen der Vierten Republik, die 1946 begründet worden war, standen die Kommunisten ablehnend gegenüber. Dasselbe galt von der durch General de Gaulle begründeten Partei des Rassemblement du peuple français. Beide Parteien, die Linke der Kommunisten und die Rechte der Gaullisten, bekämpften sich nicht nur gegenseitig, sondern lähmten auch die Politik der ungeliebten Vierten Republik, die von Regierungskrise zu Regierungskrise taumelte. Der Gegensatz zwischen östlicher und westlicher Welt fand in Frankreich im Gegensatz zwischen Kommunisten und Gaullisten seine spiegelbildliche Entsprechung.
Diese politische Konstellation fand ihre Verkörperung in zwei prominenten Intellektuellen: im Schriftsteller und Philosophen Jean-Paul Sartre und im Soziologen und Politologen Raymond Aron. Beide waren 1905 geboren, hatten die Ecole normale supérieure besucht und waren so unzertrennlich gewesen, dass man sie „les petits camarades“ nannte. Aron war nach London emigriert und hatte sich der Exilbewegung de Gaulles angeschlossen; Sartre verbrachte die Zeit der deutschen Besetzung in Paris und schlängelte sich irgendwie durch – wie, darüber streiten sich noch heute die Spezialisten.
In den letzten Kriegsjahren publizierte Sartre sein philosophisches Hauptwerk, brachte eine Reihe von Romanen und Bühnenstücken hervor und wurde rasch zum herausragenden Kopf der linken Intellektuellen. Mit seinem Werk prägte Sartre den Lebensstil der studentischen Jugend, die sich nachlässig kleidete, die Haare wachsen liess und über die Absurdität des Daseins nachdachte. In seiner Zeitschrift Les temps modernes stellte sich Sartre an die Seite der Kommunisten und rief die Schriftsteller zum politischen Engagement auf.
Raymond Aron, der bereits mehrere wissenschaftliche Werke verfasst hatte, verzichtete nach seiner Rückkehr aus London vorerst auf eine Fortsetzung seiner Universitätslaufbahn. Er wandte sich dem Journalismus zu und wurde zum Leitartikler der bürgerlich-liberalen Tageszeitung Le Figaro, der er während dreissig Jahren die Treue hielt. Im Kalten Krieg positionierte sich der überzeugte Antikommunist Aron mit Entschiedenheit auf der Seite des Westens. Er trat für die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland und für die Einigung Europas ein, kämpfte für eine Stärkung der transatlantischen Allianz mit den USA und für eine Reform der Institutionen der Vierten Republik. Im Juli 1950 nahm Aron am internationalen Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin teil, welcher sich für die Werte der westlichen Demokratie einsetzte. Er schrieb politische Kommentare für die Zeitschrift Preuves, einem Gegenstück zu Sartres Temps modernes. An Preuves arbeiteten übrigens auch bedeutende Schweizer Publizisten wie François Bondy und Herbert Lüthy mit. In die Zeit zwischen 1947 bis 1950 fällt der Bruch zwischen Sartre und Aron. Man attackierte sich mit spitzer Feder, und die Kluft, die sich zwischen den beiden Gegnern auftat, war zu tief, als dass sie sich je wieder hätte überbrücken lassen.
Im Jahre 1955 erschien Raymond Arons Buch L’opium des intellectuels. Der Titel spielt an auf ein oft zitiertes Diktum von Karl Marx und enthält in nuce bereits eine Kritik an der Anfälligkeit der französischen Intellektuellen für die kommunistische Ideologie. Das Buch ist eine Abrechnung mit der politischen Haltung Sartres und seiner Gesinnungsgenossen, deren Sympathie für den Sowjetkommunismus als Mystizismus entlarvt wird – ein schlimmer Vorwurf in einem Lande, das sich als Hort der Vernunft versteht und das einen Descartes und einen Voltaire hervorgebracht hat.
Arons Buch gliedert sich in drei Teile: „Politische Mythen“; „Die Vergötterung der Geschichte“; „Die Entfremdung der Intellektuellen“. Im ersten Teil befasst sich Aron mit der Begriffsgeschichte des politischen Gegensatzes zwischen „links“ und „rechts“, zwischen „fortschrittlich“ und „reaktionär“. Er zeigt, wie sich dieses Modell, die Politik zu sehen und die Politiker zu beurteilen, im Gefolge der Französischen Revolution entwickelt hat und zunehmend zu einer abstrakten Idee geworden ist, die den Wirklichkeitsbezug zu verfehlen droht. Dies zeige sich allein schon daran, wenn man Hitlers Herrschaft als „rechts“ und „reaktionär“ tadle und Stalins Herrschaft als „links“ und als „fortschrittlich“ beurteile, wo doch das Phänomen des Totalitarismus, das beide Diktatoren unleugbar verkörperten, mit diesem Modell gar nicht zu erfassen sei. Auch die Begriffe der „Revolution“ und der „proletarischen Klasse“ werden von Aron als nostalgische Mythen entlarvt, ungeeignet, politische Wirklichkeit zu gestalten. „Die Linke, die Revolution, das Proletariat“, schreibt Aron, „werden als siegreich vorausgesetzt, erzeugen aber mehr Probleme, als sie lösen.“
Der zweite Teil des Buches enthält eine eingehende Kritik der marxistischen Geschichtsphilosophie, der die kommunistischen Intellektuellen mit einer geradezu religiösen Gläubigkeit anhingen. Für Aron ist die Geschichte gegen die Zukunft hin offen; mit Vehemenz lehnt er ein Geschichtsbild ab, das im Kampf der Klassen eine mit innerer Notwendigkeit sich vollziehende Entwicklung erkennt und in der klassenlosen Gesellschaft das Ziel dieser Entwicklung sieht. Der historische Determinismus der Kommunisten leugnet, so Aron, die Freiheit des Individuums und den freien Austausch der Meinungen; er führt zur Intoleranz und begünstigt den politischen Fanatismus. „Die Vergötterung der Geschichte“, schreibt Aron, „überzeugt, auf das einzige Ziel der Geschichte hin zu handeln, das den Aufwand lohnt, sieht im andern bloss den Feind, den es auszumerzen gilt und der verachtenswert ist, weil er unfähig ist, das Gute zu wollen und als solches zu erkennen.“
Der dritte Teil des Buches vergleicht Intellektuelle verschiedener Länder miteinander. Der Autor zeigt, wie der Kommunismus zur Entfremdung des Menschen gegenüber seiner gesellschaftlichen Realität dadurch beiträgt, dass er diese Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeit auf den einfachen Nenner seiner abstrakten Vision bringt. Der Kommunismus stellt, so Aron, eine entartete Version der französischen Aufklärung dar: „Er hält am Ehrgeiz fest, die Natur zu erobern und das Los der Erniedrigten zu verbessern, und er opfert das, was die Seele des immerwährenden menschlichen Abenteuers ausmacht: die Freiheit der Forschung, die Freiheit der Kontroverse, die Freiheit der Kritik und die Freiheit der bürgerlichen Mitbestimmung.“
Raymond Arons L’opium des intellectuels ist eine der bedeutendsten Streitschriften gegen den Kommunismus, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Zugleich ist sie, wie Raymond Aron selbst eingestand, eine Streitschrift gegen Jean-Paul Sartre. Das Erscheinen des Buches löste denn auch bei den französischen Linksintellektuellen heftigsten Widerspruch aus. Der Sorbonne-Professor Maurice Duverger, übrigens einer der geistigen Ziehväter des Schweizer Journalisten Niklaus Meienberg, beschimpfte Aron als gefügigen Wasserträger des Bürgertums, der diesem Argumente zur Selbstrechtfertigung und für ein gutes Gewissen ins Haus liefere. Während über zehn Jahren verfiel Raymond Aron der Ächtung durch die französischen Linksintellektuellen, selbst dann, wenn er deren Haltung teilte und sich für die Entkolonisierung einsetzte. Die Pariser Mai-Revolution von 1968 fand Sartre und Aron auf ihren Posten: der eine unterstützte die radikale linke Studentenbewegung; der andere sprach verächtlich vom „psychodrame des étudiants“ und der „révolution introuvable“. Zu einer Versöhnung kam es nie, wohl aber, ein Jahr vor Sartres Tod im Jahre 1980, zu einer Begegnung und einem kühlen Händedruck.
Mit dem Nachruhm ist es zuweilen seltsam bestellt. Nach seinem Tod trat Jean-Paul Sartre, der während Jahrzehnten im geistigen Leben Frankreichs allgegenwärtig gewesen war, erstaunlich rasch in den Hintergrund. Fast gleichzeitig aber wurde Raymond Aron, den die Linksintellektuellen erst verurteilt und dann totgeschwiegen hatten, zur Berühmtheit. Eine Sammlung von Interviews mit dem Soziologen, die 1981 unter dem Titel Le spectateur engagé herauskam, wurde zum Bestseller, und seine Mémoires, ein dickes Buch von über siebenhundert Seiten, bestätigten diesen Erfolg. „In den Wochen vor seinem Tod“, schreibt einer seiner Biografen, „war Aron à la mode und wurde gerühmt und gefeiert von denen, die ihn lange ignoriert und verachtet hatten.“ Raymond Aron starb am 17. Oktober 1983 beim Verlassen des Pariser Justizpalasts, wo er als Zeuge vorgeladen worden war.