Gut 70 Prozent der sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler haben laut offiziellen Zahlen den früheren Ministerpräsidenten erneut zu ihrem Parteichef gewählt. Die italienischen Medien sprechen von einem „Triumph für Renzi“. Die Meinungsumfragen hatten ihm wesentlich weniger Zuspruch vorausgesagt.
Mehr als zwei Millionen Mitglieder und Anhänger des sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) haben sich an den Primärwahlen beteiligt.
Zur Wahl standen neben Renzi der 1969 geborene jetzige Justizminister Andrea Orlando und der 1959 geborene Präsident der Region Apulien, Michele Emiliano.
Über Facebook hatte Renzi am Samstag seine Anhänger aufgerufen, an der Wahl teilzunehmen. Eine schwache Wahlbeteiligung wäre ein weiteres Indiz dafür gewesen, dass Renzi längst nicht mehr den früheren Enthusiasmus entfachen kann. Doch die Beteiligung von über zwei Millionen Wählerinnen und Wählern bedeutet einen Erfolg für den 42-jährigen Toskaner, der sich einst als „Verschrotter” des alten Italiens präsentierte.
„In überheblicher Art abserviert“
Renzi war im vergangenen Dezember als Ministerpräsident zurückgetreten, nachdem er die Volksabstimmung über seine Verfassungsreform mit 60 Prozent verloren hatte. Kurz darauf trat er auch als Parteichef zurück.
Nicht nur die bürgerliche Opposition und die Protestpartei „Cinque Stelle“ hatten ihm das Leben schwergemacht. Auch im Innern seiner eigenen Partei gab es heftige Opposition, vor allem vom linken Flügel des Partito Democratico. Die linken Linken warfen ihm vor, eine zu wenig linke Politik zu betreiben. Kritisiert wurde er auch immer wieder, weil er seine Widersacher in überheblicher Art kalt abservierte.
Renzi antwortete, er wolle in Italien endlich Nägel mit Köpfen machen. Das hatte er getan. In seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit hat er mehr erreicht, als seine Vorgänger in 20 Jahren. Seine Anhänger verteidigten seine oft harte Hand. Das ewig fruchtlose Palaver im Parlament sei einer der Gründe für die Rückständigkeit des Landes.
Abspaltung der linken Linken
In einem unschönen internen Machtkampf war es Renzi im Februar gelungen, seine linken Parteigegner auszugrenzen. Diese, um den früheren Parteichef Pierluigi Bersani und den Altkommunisten Massimo D’Alema, gründeten darauf ihre eigene Mini-Partei mit dem Namen „Articolo 1 – Movimento Democratico e Progressista“. Die Abspaltung des linken Flügels stärkte Renzis Position in der eigenen Partei.
Bei seinem Amtsantritt als Ministerpräsident im Frühjahr 2014 hatte Renzi fast den Status eines Heilsbringers. Ein grosser Teil des Landes jubelte ihn hoch und lag ihm zu Füssen. Jetzt ist er auf den Boden der Realität zurückgeholt worden. Der einstige Shootingstar hinkt. Seine Niederlage im vergangenen Dezember versetzte seinem Image eine deftige Schramme. Auch PD-Anhänger sind längst nicht mehr so begeistert von ihm wie früher. Und dennoch: Wer denn sonst?
„Zwängerei“?
Renzi hat bewiesen, dass er ein Macher ist. Sein Problem ist, dass er den Mund oft allzu voll genommen hat und viele seiner Versprechen (noch) nicht einlösen konnte. Dass er jetzt so schnell wieder an die Spitze der Partei und des Landes wollte, wird von vielen als „Zwängerei“ bezeichnet. Etwas mehr „Demut“ wäre angebracht gewesen, sagen einige. Doch was heisst schon Demut in der italienischen Politik!
Renzis Kalkül geht so: Als jetzt neugewählter Parteichef wird er fast automatisch Spitzenkandidat der jetzigen Regierungspartei PD bei den nächsten Wahlen. Wann diese stattfinden, ist unklar. Die Legislatur dauert bis zum kommenden Februar. Dann spätestens muss gewählt werden. Renzi und andere hoffen auf vorgezogene Neuwahlen. Doch der jetzt amtierende Ministerpräsident Paolo Gentiloni macht einen nicht allzu schlechten Job. Wieso soll er jetzt frühzeitig abtreten?
Starke „Cinque Stelle“
Auch wenn er jetzt Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ist: neuer Regierungschef ist er damit noch lange nicht. Seine Partei ist in den letzten Wochen zurückgefallen. Beppe Grillos populistische „Cinque Stelle“-Bewegung liegt laut letzten Meinungsumfragen etwa sechs Prozent vor dem PD. Vor allem die aufmüpfige Jugend stimmt mehr und mehr für Grillo.
Am 11. Juni finden in Italien Kommunalwahlen statt. Das wird der erste harte Test für den alt-neuen sozialdemokratischen Parteichef. Die Meinungsumfragen in grossen Städten versprechen dem PD nichts Gutes.
Unklar ist auch, welches Wahlsystem bei den nächsten Wahlen gelten soll. Renzi hatte während seiner Regierungszeit gefordert, ein System einzuführen, das der stärksten Partei klare Kompetenzen gibt. Damit sollte das Hin und Her im Parlament, das aufreibende Palaver, eingedämmt werden. Und damit sollte dem Land auch mehr politische Stabilität gebracht werden. Doch dazu kommt es wahrscheinlich nicht. Bei der Diskussion um das neue Wahlgesetz zerfleischen sich die Parlamentarier in alter Manier. Bei der Diskussion um die Eindämmung der Palaver-Demokratie wird munter weiter palavert.
Weil das so ist, bräuchte es jetzt Renzi. Oder einen wie er.