Unter vier Bedingungen werden die Velos zum idealen Fortbewegungsmittel: Allwettertauglichkeit, Diebstahlsicherheit und Umwandlung aller Gelände in eine windstille Ebene. Das wird leichter zu erfüllen sein als die vierte Bedingung: Verkehrsdisziplin der Benutzer.
Doch immerhin in die Nähe des Ideals führt das Gewerbemuseum Winterthur mit der von Markus Rigert kuratierten Ausstellung „Bike, Design, City“. An ihr hätte Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn, der vor genau zweihundert Jahren die Laufmaschine als Urform des Velos erfand, seine pure Freude. Wäre er nach ursprünglicher Absicht Lehrer geworden im bernischen Mustergut Hofwil des Reformers Philipp Emanuel von Fellenberg, würden wir vielleicht noch heute auf die Zweirad-Revolution warten.
Visionäre Mobilitätskonzepte
Aber ihrer Feier und dem nostalgischen Rückblick gilt die Winterthurer Ausstellung nicht. Sie will ihrerseits eine Revolution befördern – und wenn keinen Umsturz, dann doch eine grüne Wende. Sie zielt aufs Velo als urbanem Hauptverkehrsmittel, wofür der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mit „Die Zukunft der Mobilität in den Städten hat zwei Räder“ und der frühere Maire von Paris Bertrand Delanoë mit „Autos haben in den Städten nichts mehr zu suchen“ provokativ in die Pedalen treten.
Der Weg durch die Ausstellung ist beschichtet mit dem einzigartig rutschfesten und fürs Radfahren hervorragend geeigneten Luxorit Rollplastik. Er präsentiert sich als roter Teppich und vermittelt den Besuchern ein VIP-Gefühl. Das ist psychologisch geschickt. Es ehrt die bereits bekennenden Pedalisten und stimmt die Automobilisten ein auf die Auseinandersetzung mit visionären Mobilitätskonzepten, die radikal für Menschen hinter der Lenkstange und nicht mehr für jene hinter dem Steuer gedacht sind.
Freieres Lebensgefühl
Die grosszügig und hell inszenierte Ausstellung zeigt zwar auch alte und ins Auge stechende Fahrräder als Zeugnisse einer historischen Entwicklung, widmet sich aber in erster Linie der Zukunft.
Die Perspektive geht über lediglich technische und gestalterische Innovationen und über nur ökologische und gesundheitliche Aspekte hinaus. Skizziert wird das Zusammenspiel von Ingenieurskunst, Werkstoff-Forschung, Architektur, Städteplanung und Design im Dienste einer in jeder Beziehung einfacheren und einem freieren Lebensgefühl entsprechenden Mobilität.
In diesem Sinne bezieht die Ausstellung eine anwaltschaftliche Position. Sie will zur Meinungsbildung anregen. Der Verzicht auf die Moralkeule und den pädagogischen Holzhammer erweist sich als kluger Entscheid. Es wird argumentierend ausgestellt und nicht belehrend ausgeteilt.
Witziges Experiment
Bis zum Fahrrad als mobiler Selbstverständlichkeit dauert es noch eine Weile, was das Gewerbemuseum mit einem witzigen Experiment thematisiert. Der italienisch-amerikanische Designer Gianluca Gimini liess Freunde und Bekannte aus dem Gedächtnis Velo-Zeichnungen anfertigen und konstruierte daraus Modelle im Massstab 1:1. Keines von ihnen ist auch nur annähernd fahrtüchtig.
Das Velo im Herzen ist eine Sache. Die Ausstellung dient dazu, dass das Velo über die Beine auch im Kopf ankommt, der das Auto zur Verschrottung steuert.
„Bike, Design, City“, Gewerbemuseum Winterthur, bis 30. Juli 2017
www.gewerbemuseum.ch