Trolle kennt man aus der nordeuropäischen Sagen- und Märchenwelt. Es sind menschenähnliche Fabelwesen in Riesen- oder in Zwergengestalt – zottige und unsympathische Gesellen, die den braven Erdenbewohnern unter Brücken, im Wald oder auf dunklen Wegen auflauern, um sie zu berauben oder in die Irre zu führen.
Auf der Pirsch im Internet
Vielleicht weil ihnen die natürlichen Gefilde zu eng geworden sind, tummeln sich Trolle inzwischen auch im Internet. Dort schleichen sie sich in Diskussionsforen und besonders gern in die Debattenspalten reputierter Online-Medien ein, um dort Irreführendes zu verbreiten und falsche Fährten zu legen. Das Phänomen ist nicht eigentlich neu, es gehört seit Menschengedenken zu den Propaganda-Methoden, auf allen möglichen Verbreitungskanälen einseitige Informationen, Halbwahrheiten oder platte Lügen unters Volk zu bringen. Neu an der Sache ist nur das für manipulatorische Trolle besonders einfache und massentaugliche Distributionssystm des Internets.
Diesen letzteren Aspekt haben offenkundig auch die leitenden Köche in der Propaganda-Küche des Kreml erkannt. Im Zusammenhang mit der umstrittenen Heim-ins-Reich-Operation auf der Halbinsel Krim und den separatistischen Umtrieben in der Ostukraine schickte man ganze Schwärme von Trollen auf die Pirsch im Internet. Dort wurden und werden mit Anleitung von Taktgebern und Sprachregelungs-Spezialisten die für Putin und seine Entourage vorteilhaften Versionen rund um die Ukraine-Krise platziert, kopiert, neu aufbereitet – häufig unter Verweis auf angeblich besonders gut informierte und glaubwürdige Quellen.
Die Troll-Strategie erklärt nicht alles
Das Troll-Verfahren schien zu Beginn der Krim-Ukraine-Krise wie geschmiert zu laufen. Es war auffallend, dass in den Online-Ausgaben angesehener westlicher Medien wie Der Spiegel, Die Zeit, FAZ, Süddeutsche Zeitung, NZZ oder New York Times überraschend viele Leserzuschriften auftauchten, die Verständnis und Zustimmung für das russische Vorgehen artikulierten und gleichzeitig nicht mit Häme oder galliger Kritik an der angeblich verlogenen, kriegstreiberischen Haltung westlicher Regierungen sparten.
Indessen genügt es nicht, das im Zuge der Ukraine-Konfrontationen vieldiskutierte Phänomen der westlichen Putin-Versteher allein mit den Troll-Umtrieben im Dienste Moskaus zu erklären. Es gibt auch gewissermassen echte Putin-Versteher ausserhalb Russlands, die angesichts der historisch-ethnischen Bindungen der Schwarzmeer-Halbinsel und ihrer Bewohner ein gewisses Verständnis für diesen Annexions-Coup aufbringen.
Westliche Schwachpunkte
Dann gibt es jene kritischen Geister im Westen, die den Einmarsch der US-Armee in Irak unter George W. Bush, der mit falschen oder gar lügenhaften Argumenten gerechtfertigt wurde, keineswegs akzeptabler finden als Putins Krim-Einverleibung, auch wenn letzteres nun vom Kreml als Dauerzustand deklariert wird. Auch die Enthüllungen über die allumfassenden – und teilweise illegalen – Bespitzelungspraktiken amerikanischer Geheimdienste haben die Glaubwürdigkeit und den Goodwill Washingtons und seiner Verbündeten im Streit um Putins Herausforderungen zumindest beeinträchtigt. Und schliesslich sind jene notorischen Amerika- und EU-Hasser im Westen nicht zu unterschätzen, die bei jeder politischen Kontroverse grundsätzlich der Meinung sind, die schlimmsten Bösewichter dieser Welt seien sowieso in Washington und in Brüssel zu suchen.
Doch die anfängliche Welle pro-russischer Kommentare und manipulativer Nachrichten in westlichen Online-Medien ist in letzter Zeit spürbar abgeflaut. Auch das dürfte auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein. Zum einen hat sich die Erkenntnis, dass Troll-Heerscharen des Kremls – häufig gegen Bezahlung – im Internet ihr Unwesen treiben, inzwischen herumgesprochen. Die Glaubwürdigkeit und Substanz solcher Erkenntnisse ist nicht zuletzt dadurch gestärkt worden, dass unabhängig gebliebene russische Medien wie die Zeitungen „Wedemosti“ und Nesawissimaja Gaseta“ früh über solche vom Kreml gesteuerten Troll-Aktivitäten in westlichen Medien berichteten.
Konsequentere Filter
Dies wiederum hat möglicherweise manche anfänglich pro-Putin-geneigte Internet-Konsumenten dazu veranlasst, die auffallend häufigen kremlfreundlichen Zuschriften und Link-Tips etwas skeptischer zu hinterfragen. Vor allem aber haben die von dieser Welle betroffenen Internetportale und ihre Redaktoren sich vermehrt darum gekümmert, den täglichen Zufluss von Leserkommentaren konsequenter nach Substanz, Stil und Absicht abzuklopfen und entsprechend auszufiltern. Auch Journal21 hat inzwischen eine solche Filterfunktion eingeschaltet. Dies ein Beispiel dafür, dass Missbräuche und Fehlentwicklungen auch im schwer überblickbaren digitalen Kosmos in gewissen Fällen durchaus korrigiert oder doch eingeschränkt werden können.
Die Troll-Schwärme im Internet-Dschungel sind im Übrigen bei weitem nicht das einzige Instrumentarium, mit dem Putins Russland sich auf dem globalen Medien- und Meinungsmarkt Aufmerksamkeit verschaffen und ein vorteilhaftes Image pflegen kann. Seit 2005 agiert auf dieser Bühne der von der russischen Regierung finanzierte Fernsehsender Russia Today, abgekürzt RT. Er sendet neben Russisch in drei Weltsprachen (Englisch, Arabisch und Spanisch), verfügt weltweit über 20 Büros und beschäftigt über 2500 Mitarbeiter. Laut einer ausführlichen Analyse von Gemma Pörzgen in der Zeitschrift Osteuropa (Januar 2014) verfügt RT über ein Jahresbudget von cirka 300 bis 400 Millionen Dollar. Der Kanal konkurriert mit den globalen Sendern CNN, BBC und al-Jazeera und soll auf You Toube im Juni 2013 eine Milliarde Klicks erzielt haben – deutlich mehr als CNN und BBC World.
Hinzu kommt als weiteres vom Kreml kontrolliertes Medien-Unternehmen die in Berlin domizilierte Video-Agentur Ruptly, die rund um die Uhr professionell gedrehtes Filmmaterial an internationale Kunden, unter ihnen auch Fernsehanstalten, verkauft – und zwar billiger als die private Konkurrenz. Aus der Konfliktregion Ostukraine, so berichtete der „Spiegel“, habe die Agentur fast ausschliesslich wohlwollende Beiträge über die von Separatisten gegründete „Volksrepublik Donezk“ im Angebot.
Image-Kosmetik und praktische Realität
Bleibt die Frage: Kann ein Regime mit manipulativen Methoden, staatlich finanzierten internationalen Sendern und andern mit viel Geld finanzierten PR-Methoden die Weltöffentlichkeit nachhaltig zu seinen Gunsten beeinflussen. Die Antwort darauf lässt sich zwar kaum mit wissenschaftlicher Präzision belegen, aber vieles spricht für den Befund, der auch in der zitierten Analyse in der Zeitschrift Osteuropa angeführt wird.
Kurzfristig kann wohl bei kontroversen Fragen mit gezielter Propaganda eine positive Wirkung zugunsten eines Landes und seiner Machthaber erreicht werden. Doch auf längere Sicht verpuffen die Effekte solcher Image-Kosmetik, wenn die verbreiteten PR-Bilder und die praktischen Realitäten allzu weit auseinanderklaffen.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen in ein Land und sein Regierungssystems baut sich vorrangig auf durch die Anziehungskraft seiner kulturellen, wirtschaftlichen und innovativen Leistungen, die Solidität seiner Gesetzgebung und Institutionen, die Attraktivität seiner Produkte und Dienstleistungen, kurz: aus all dem, was man mit dem Schlagwort „soft power“ zusammenfasst.
Penetrante Propaganda wird kontraproduktiv
Auf dieser Ebene hat Putins Russland trotz anfänglicher Fortschritte in den ersten Jahren seiner Herrschaft heute wenig zu bieten. Ein Land, aus dem begabte und innovative Köpfe seit vielen Jahren haufenweise abwandern (um in den USA oder anderswo Erfolgsfirmen aufzubauen oder Nobelpreise zu sammeln), das ausser Rohstoffen und Waffentechnologie kaum konkurrenzfähige Produkte anzubieten hat, das zudem ausser einigen diktatorisch oder autoritär regierten Staaten (Weissrussland, Kasachstan, China) kaum noch Verbündete hat – ein solches Land kann bei konfliktiven Auseinandersetzungen nicht auf viel echten Goodwill und nachhaltige Solidarität bauen.
Gewiss gilt das bekannte Diktum, dass ein Land nur Interessen und keine Freunde habe, auch für Putins Russland. Doch es dient den wohlverstandenen Interessen Russlands nicht, wenn dessen Regime meint, seine Politik mit bald durchschaubaren Propaganda-Tricks wie dem Einsatz von Tarnkappen-Trollen in Internet-Medien in ein besseres Licht rücken zu können. Penetrante Propaganda – das trifft nicht nur für Russland zu – stösst beim Publikum zumindest nach einiger Zeit auf Langeweile und schlägt dann nicht selten in kontraproduktive Wirkung um. Die Öffentlichkeit wird einer allzu manipulativen Regierung auch dann nicht mehr glauben, wenn diese gelegentlich wahrheitsgemäss informiert.
So geschehen in der Spätphase des vom Kreml beherrschten alten kommunistischen Ostblocks. Putins Trolle werden solche Entwicklungen nicht verhindern können, wenn sich die in- und ausländischen Medien nicht auf überzeugendere Realitäten stützen können.