Während anderthalb Jahrzehnten dominierten in Südamerika linke und linkspopulistische Regierungen. Dann geriet die Linke in die Defensive. In Argentinien und Brasilien herrschen jetzt neoliberale Kräfte. Vieles sprach dafür, dass jetzt eine weitere linke Bastion fällt und dass auch Ecuador, das viertärmste südamerikanische Land, eine rechte Regierung erhält.
Doch dazu kommt es nicht. Ecuadors Linke haben die Stichwahl um die Präsidentschaft eher überraschend gewonnen. Damit verfügt Südamerika neben Evo Morales in Bolivien nach wie vor über zwei linke Bollwerke.
(Die venezolanischen Machthaber als links oder „linkspopulistisch“ zu bezeichnen, wäre fast schon ein Euphemismus. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ist ganz einfach ein Ideologie-freier unfähiger Diktator.)
Nachzählung verlangt
Lenín Moreno, der Kandidat des linken „Movimento Alianza PAÍS“, erreichte in der Stichwahl am Sonntag 51,16 Prozent der Stimmen. Das gab am Montag die Nationale Wahlbehörde (Consejo Nacional Electoral CNE) bekannt. Es handelt sich um ein provisorisches Ergebnis nach Auszählung von 99,75 Prozent der Stimmen.
Der unterlegene rechtsgerichtete Kandidat Guillermo Lasso hat - wie es in Südamerika bei Verlierern Usus ist - das Ergbebnis angefochten und eine Nachzählung verlangt. Ob es dazu kommt, steht noch nicht fest.
Morenos knapper Sieg kommt für viele unerwartet. Zwar hatte er den ersten Wahlgang am 19. Februar klar gewonnen. Er erreichte 39,35 Stimmen. Hätte er 0,66 Prozent mehr gemacht und damit die 40 Prozent-Hürde übersprungen, wäre er schon im ersten Wahlgang gewählt worden. Dass er diese Hürde knapp nicht schaffte, war für Morenos Anhänger ein Zeichen von Wahlbetrug.
„Auf dem falschen Weg“
Guillermo Lasso hatte im ersten Wahlgang 11 Prozent weniger Stimmen als der Linkskandidat erhalten. Doch Morenos Gegner schlossen sich für die Stichwahl zusammen. Rein rechnerisch hätten sie ihn deshalb klar schlagen sollen. So schlug sich zum Beispiel Cynthia Viteri, die einflussreiche Anwältin, Journalistin und christlichsoziale Kandidatin, die im ersten Wahlgang 16 Prozent der Stimmen erhalten hatte, sofort auf die Seite von Morenos Gegner.
Auch aus einem andern Grund überrascht der linke Sieg. Schon im vergangenen Dezember hatten 65 Prozent der Ecuadorianer in einer Gallup-Umfrage erklärt, das Land befinde sich auf dem falschen Weg. 52 Prozent lehnten die Politik des jetzt abtretenden linkspopulistischen Präsidenten Rafael Correa ab.
Die Kluft zwischen Arm und Reich verringert
Trotzdem stimmte jetzt - sollte das Ergebnis bestätigt werden - die Mehrheit der Wählenden für diese Politik, denn Lenín Moreno ist der Nachlassverwalter und Wunschkandidat von Präsident Correa. Der Sieg Morenos ist auch ein Sieg Correas.
Man kann ihn lieben oder hassen, doch der Linkspopulist Correa hat einiges geschaffen: Vielen Ecuadorianern geht es heute besser als bei seinem Amtsantritt. Er hat dem Land mit seinen 16 Millionen Einwohnern eine wirtschaftliche Stabilität gebracht, Sozialprogramme aufgegleist, die Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent gedrückt, die Kluft zwischen Arm und Reich verringert und einen Konsumboom ausgelöst. In keinem südamerikanischen Land funktioniert die Infrastruktur so gut wie in Ecuador. Correa hat Spitäler modernisiert, Strassen und Schulen gebaut.
In die Rezession gerutscht
Mit dem sinkenden Ölpreis begann dann der Niedergang des „Modells Correa“. Es gelang ihm nicht, das Land von der Rohöl-Abhängigkeit zu befreien. Das Erdöl macht 60 Prozent der Exporte aus. Je mehr der Ölpreis sank, desto mehr rutsche das Land in die Rezession. Auch die nächsten Jahre versprechen nur Ungutes.
Correa förderte eine teure Staatswirtschaft. Der Privatwirtschaft wurden Steine in den Weg gelegt. Das rächt sich jetzt. Ende letzten Jahres musste das Land teure chinesische Kredite aufnehmen. Die Zinsen werden mit Rohöl bezahlt.
Der Pragmatiker im Rollstuhl
Correa brachte dem Land auch eine gewisse politische Stabilität. Kein Präsident vor ihm hat länger als fünf Jahre regiert. Jetzt, nach zehn Jahren, tritt er freiwillig ab. Im Gegensatz zu andern südamerikanischen Präsidenten liess er nicht die Verfassung umbiegen, so dass sie es ihm erlaubt hätte, noch länger zu regieren.
Sein Nachfolger, der 64-jährigen Moreno war von 2007 bis 2013 Vizepräsident unter Correa. Lenín Moreno hat wenig zu tun mit dem andern Lenin. Der Verwaltungsspezialist ist kein Dogmatiker, kein Heisssporn - und ein linker Revolutionär schon gar nicht. Er gilt als Pragmatiker. Er war Opfer eines Raubüberfalls und sitzt seit 19 Jahren im Rollstuhl.
Eine Million neuer Arbeitsplätze?
Sein Gegenkandidat, der schwerreiche Banker Guillermo Lasso, war Kandidat der von ihm gegründeten „Alianza Creando Oporunidades, CREO“). Er ist ein Vertreter der alten Elite und ist Hauptaktionär einer der grössten Privatbanken Ecuadors, der Banco Guayaquil. Er steht für eine offene Marktwirtschaftspolitik und wollte die Privatwirtschaft auf Kosten der Staatswirtschaft fördern. Er versprach, eine Million neuer Stellen zu schaffen. Solche Phrasen hört man sonst eher von sehr linken Linkspopulisten. Politisch ist Lasso eher unerfahren. Seine Wahlkampfauftritte hatten oft etwas Peinliches an sich.
Lasso hatte Präsident Correa und seinem Wunschnachfolger Moreno immer wieder enge Verbindungen zu Venezuelas Präsident Maduro vorgeworfen. Doch Correa hatte sich in jüngster Zeit deutlich vom venezolanischen Diktator distanziert. Trotzdem hat Maduro wohl seinen Schatten auf den ecuadorianischen Wahlkampf geworfen.
Geknebelte Medien
Der Sieg der Linken erstaunt auch deshalb, weil Correa vorgeworfen wurde, die freien Medien zu knebeln. „Das Ausmass staatlicher Eingriffe in die Arbeit von Journalisten in Ecuador ist besorgniserregend“, kritisierte „Reporter ohne Grenzen“. Kritische Berichterstattung werde unterdrückt. Kritik an der Regierung und den Behörden ist verboten. Auch Correa sprach immer wieder von „Lügenpresse“. Jeden Samstagvormittag zwischen 10.00 Uhr und 13.00 Uhr trat er – à la Hugo Chávez und Nicolás Maduro – am Fernsehen und Radio auf. In der Sendung „Sabatina“ erklärte er wortgewaltig seine Sicht der Dinge. Dabei griff er immer wieder Journalisten scharf an. Mehrere von ihnen wurden angeklagt, gebüsst, verleumdet und eingeschüchtert. Vor allem private Medien wurden aufgefordert, nicht genehme Journalisten zu entlassen.
2011 wurden die drei Verleger und ein Chefredaktor der Zeitung „El Universo“ zu je drei Jahren Haft und zu einer Busse von über 25 Millionen Dollar (sic!) verurteilt. Die Zeitung, die grösste in Ecuador, hatte Correa als Lügner und Diktator bezeichnet. Die Verurteilten entzogen sich der Strafe und flüchteten in die USA.
Wie weiter mit Assange?
Julian Assange, der Gründer von Wikileaks, hat dem Ergebnis entgegengezittert. Eine Wahl Lassos wäre keine gute Nachricht für ihn gewesen. Seit Juni 2012 hat Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl gefunden. Lasso hatte angekündigt, ihn „innerhalb der ersten 30 Tage unserer Regierung“ aus der ecuadorianischen Botschaft in London rauszuwerfen. Er werde „keinen Cent für diesen Menschen ausgeben“. Assange wird in Schweden der Vergewaltigung bezichtigt. Ferner droht ihm eine Auslieferung in die USA.
Wie es jetzt nach dem Sieg der Linken mit Assange weitergeht, ist unklar. Vermutlich wird er nicht sofort aus der Botschaft ausgeschafft, wenn auch die Linke seine Präsenz in der Londoner Vertretung zunehmend als Belastung empfinden. Im vergangenen Herbst wurde Assange zeitweise der Internetzugang gesperrt. Vor allem die Einmischung von Wikileaks in den amerikanischen Wahlkampf und die Veröffentlichung von Clinton-Mails hatte Ecuador nicht akzeptiert. Die Regierung Correa „respektiert das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten“, erklärte das Aussenministerium. „Sie mischt sich nicht in externe Wahlprozesse ein.“
Ausschreitungen befürchtet
Präsident Correas Vermächtnis ist eine gute Infrastruktur, ein jahrelanger Aufschwung - und eine jetzt schwer angeschlagene Wirtschaft. Seinem Nachfolger überlässt er die Aufgabe, ein drastisches Sparprogramm durchzuführen.
Ferner täte er gut daran, mit seinen Gegnern einen modus vivendi zu suchen. Der einst erfolgsverwöhnte Correa tat das nicht, im Gegenteil. Er hatte die Bevölkerung polarisiert und seine Gegner verteufelt. Ein Brückenbauer war er nicht.
Alexander Vega, der Koordinator der „Union Südamerikanischer Staaten“ (Unasur) befürchtete das, was jetzt schon eingetreten ist: dass die Verlierer von Wahlbetrug sprechen. „Wenn der unterlegene Kandidat seine Anhänger nicht aufruft, das Ergebnis zu akzeptieren, könnte es zu Ausschreitungen kommen“. Lasso scheint nicht bereit, das Resultat zu akzeptieren.
Rafael Correa erklärte, er werde nach dem Sieg seines Zöglings Lenín Moreno für einige Zeit nach Belgien ziehen; seine Frau Anne ist Belgierin. Sollte allerdings Lasso gewinnen, hatte er gesagt, würde er in Ecuador bleiben und an vorderster Front gegen die rechtsstehende Regierung kämpfen.
Das muss er nun nicht. Sollte das Ergebnis bestätigt werden. Belgien erwartet ihn.