Die Ägypter sind aufgerufen, am 14. und am 15. Januar über die neue Verfassung abzustimmen, die soeben von einer ernannten Verfassungskommission ausgearbeitet wurde. Es ist mehr eine Formalität als eine Abstimmung.
Das "Ja" wird von den die Macht ausübenden Offizieren gewünscht, und sie werden es auch erhalten. Werbung für das "Ja" wird im ganzen Land im grossen Stile betrieben. Drei mutige Opponenten, die es wagten für "Nein" zu werben, wurden verhaftet.
Versprechen von Ruhe und Ordnung
Der provisorische Staatschef, der frühere Verfassungsgerichtspräsident Adly Mansour, hat zum Geburtstag des Propheten Mohammed eine Rede gehalten, in der er seinen Beitrag zur "Ja"-Werbung leistete. Er rief die Ägypter dazu auf, "Ja" zu stimmen und dadurch "das Schiff des Staates in einen sicheren Hafen zu lenken", womit er die Millionen und aber Millionen ansprach, die nach den drei Jahren der Unruhen und des wirtschaftlichen Abstiegs in erster Linie "Ruhe und Ordnung" wollen.
Er verfehlte auch nicht zu betonen, dass die neue Verfassung die "Grundlagen der Scharia" aufrecht erhalte und zugleich auch einen "modernen Staat" verwirkliche. Die Bevölkerung, so sagte er, solle sich mobilisieren, "so wie wir es am 25. Januar (2011) und am 30.Juni (2013) taten, um die Revolution zu vollenden durch eine Verfassung, welche den ersten Schritt tut: hin zu einem demokratischen, zivilen und modernen Staat." Die beiden Daten sind jene der Volkserhebung gegen Mubarak und der landesweiten Mobilisierung des Volkes gegen Mursi. Diese zweite wird heute offiziell als die "zweite Revolution" Ägyptens bezeichnet.
Erwünscht ist eine hohe Beteiligung
Den heutigen Machthabern, in erster Linie den Militärs, ist die Stimmbeteiligung wichtig. Eine grosse Mehrheit der Zustimmung ist ihnen ohnehin sicher. Doch eine grosse Beteiligung zählt für sie als eine Bestätigung dafür, dass ihre Machtergreifung und Absetzung des gewählten Präsidenten am 3. Juli 2013 kein Militärputsch gewesen sei, sondern eben eine "zweite Revolution", die das Volk gewollt habe.
Das Plebiszit wird jedoch kein Massstab sein, anhand dessen gemessen werden kann, ob das Volk für oder gegen die Offiziere ist. Ganz abgesehen von der völlig einseitigen Wahlpropaganda bleibt die Frage der Stimmenthaltung zweideutig. Die zahlenmässig gewichtigste Gruppierung, die die Verfassung ablehnt, jene der nun zu "Terroristen" erklärten Muslimbrüder, hat Stimmenthaltung ausgegeben. Damit wird sich ihre Zahl mit der grossen Menge jener vermischen, die von den Urnen fern bleiben, was immer ihre Gründe sein mögen. Wer in Ägypten abstimmen will, muss wegen der Langsamkeit der bürokratischen Prozeduren stets damit rechnen, ein paar Stunden lang Schlange zu stehen. Ausserdem kann man sich fragen, inwieweit die möglichen "Nein"-Stimmen überhaupt mitgezählt und registriert werden. Die Behörden der Stimmlokale dürften es in vielen Fällen als ihre Aufgabe sehen, so viele "Ja"-Stimmen wie möglich hervorzubringen.
Wer "Nein" sagt kommt ins Gefängnis
Einige mutige Kleinparteien haben die "Nein"-Parole herausgegeben. Die gewichtigste von ihnen dürfte die Partei des „Starken Ägyptens“ sein. Ihr Gründer und Chef ist der Arzt Abdel Moneim Abul Futuh. Er ist 2011 aus der Bruderschaft ausgeschlossen worden, weil er für die ägyptische Präsidentschaft kandidierte. Er ging als viertstärkster Bewerber aus dem ersten Wahlgang hervor und galt vor seinem Ausschluss als eine Leitfigur des liberalen Flügels der Bruderschaft. Drei Mitglieder seiner nach wie vor legalen Partei, die Handzettel für das "Nein" verteilten, wurden verhaftet, und die Partei beschloss daraufhin, ihre Beteiligung an dem Plebiszit einzustellen.
"Nein" der Revolutionsgruppen
Auch die Bewegung vom 6. April, deren Aktivisten zu den führenden Kräften der Volkserhebung vom 25. Januar 2011 zählten, gab die "Nein"-Parole aus. Drei ihrer wichtigsten Lenker sind bereits zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Begründung des Urteils war, Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen und Unruhestiftung.
Es gibt auch andere Kleinparteien und politische Gruppen, die für ein "Nein" eintreten. Zahlenmässig fallen sie nicht ins Gewicht. Doch es handelt sich um motivierte Personen und Gruppen, die ihren grossen politischen Augenblick auf dem Tahrir-Platz erlebten, als Mubarak gestürzt wurde.
"Ja" der Salafisten
Die salafistische "Nour"-Partei, die in den letzten Jahren zuerst als Verbündete aber dann als Rivalin der Muslimbrüder gewirkt hatte, fordert zum "Ja" auf. Dies ungeachtet des Umstandes, dass ihre politischen Anliegen in der nun vorgelegten Verfassung weniger genau formuliert sind als in der vorausgehenden, die von ihnen selbst - gemeinsam mit Leuten der Bruderschaft - formuliert worden war.
Die Salafisten sind eben, im Gegensatz zum Verhalten der Muslimbrüder, politische Realisten, wenn nicht gar Opportunisten. Sie sind gewillt, sich De-facto-Mächten zu fügen, solange diese ihnen die Möglichkeit lassen, ihre Version des Islams zu predigen. Nicht vergebens gelten die Salafisten als jene islamische Strömung, die sich auf Saudi-Arabien stützt und die ihrerseits vom Königreich unterstützt wird. Ihm verdanken die Offiziere Hilfsgelder in Milliardenhöhe, die von grosser Bedeutung für die vorübergehende Stabilisierung der ägyptischen Wirtschaft sind. Ohne diese wäre es für das neue Regime sehr viel schwieriger gewesen, seine Herrschaft zu etablieren.
"As-Sissi für Präsident"
Der Armeeoberkommandant, Verteidigungsminister und Vizeministerpräsident, General Abel Futuh as-Sisi, hat seiner Andeutungen, dass er Präsident werden könnte, weitere Nahrung gegeben. Er hat nun offen erklärt, er werde kandidieren, wenn die Armee und das Volk dies begehrten. Vermutlich hätte er sich nicht so geäussert, wenn die Armee nicht hinter ihm stünde. Was das Volk betrifft, gibt es seit Monaten schon eine "Volksbewegung", die sich "Wir wollen Sissi als Präsidenten" nennt. Ihr Gründer heisst Abul Aziz Abdullah. Er hat für den 25. Januar eine Grossdemonstrationen seiner Bewegung angekündigt. Dies ist das symbolische Datum der Volkserhebung von 2011.
Einige der Aktivisten jener Tage äussern sehr offen, man sei nun im Begriff, zu einem Mubarak-Regime zurückzukehren. Sie meinen damit ein Einmann-Regime, das eine demokratische Fassade als Tarnung verwendet und die Sicherheitskräfte als entscheidende Machtstütze. Die meisten fügen hinzu, es werde aber nicht lange dauern, bis die nächste Revolution ausbreche.