Freier, globaler Handel stand Ende Juni im Mittelpunkt des jährlichen Gipfeltreffens der zwanzig mächtigsten Industriestaaten und Schwellenländer in der japanischen Stadt Osaka. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping äusserte das, was viele Staats- und Regierungschefs – mit Ausnahme natürlich von US-Präsident Trump – dachten: der Protektionismus und Unilateralismus der Vereinigten Staaten hätten die globale Stabilität und das internationale Wirtschaftswachstum schwer beeinträchtigt.
America first
In der Tat hat Trump seit seinem Amtsbeginn kontinuierlich seine Wähler und alle Welt wissen lassen, dass unter dem Slogan „America first“ Protektionismus zum Wohlstand beitragen werde. Doch gegen den Ausdruck „Protektionismus“ im Schluss-Communiqué des G-20-Gipfeltreffens wehrten sich die Amerikaner bis zum Schluss. Mit Erfolg. So hat man sich denn zum Thema Freihandel in geschwurbeltem Diplomaten-Chinesisch in der Schlusserklärung auf ein „freies, faires, nicht-diskriminierendes, transparentes, vorhersehbares und stabiles Handelsumfeld“ geeinigt. Zudem wurden einmal mehr „notwendige Reformen“ der von Trump verachteten UN-Welthandelsorganisation (WTO) angemahnt, insbesondere deren Schlichtungsverfahren.
Weltweite Folgen
Ueberschattet wurde der G-20-Gipfel vom Handelskrieg der beiden grössten Wirtschaftsmächte der Welt. So generierte China 2017 kaufkraftbereinigt (PPP) 18,2 Prozent des weltweiten Brutto-Sozialprodukts, die USA 15,2 Prozent. Zudem waren im gleichen Jahr China für 11,5 Prozent des Welthandels verantwortlich, die USA für 11,1 Prozent. Dass so der Handelskonflikt zwischen Peking und Washington weltweite Folgen hat, ist für Ökonomen in Ost und West klar.
Wüste Drohungen
Nach rund zwölf Monaten des von den USA angefachten Handelskrieges und nach elf Verhandlungsrunden wurden die amerikanisch-chinesischen Gespräche im Mai unversehens abgebrochen. Washington machte Peking dafür verantwortlich, weil China von Zusagen bezüglich Marktzugang, Urheberrechtsschutz und forciertem Technologietransfer zurückgetreten sei. Peking wiederum beschuldigte Washington, mit unmässigem Druck immer wieder ihre Forderungen geändert zu haben. Was genau vorgefallen ist, bleibt undurchsichtig. Nachdem sich Trump und Xi im vergangenen Dezember in Argentinien am G-20-Gipfel getroffen hatten, wurde wieder verhandelt. Zu 95 Prozent, so hiess es danach noch im April aus Verhandlungskreisen, sei man sich einig. Doch dann der Absturz mit Eskalation und wüsten Drohungen.
„Unterstützung des Volkes“
Eine Woche vor dem G-20-Gipfel in Osaka konsultierte Parteichef Xi Jinping das Politbüro. „Sowohl China als auch die USA profitieren von einer Zusammenarbeit und verlieren in einer Konfrontation“, so Xi, „Zusammenarbeit und Dialog sind besser als Reibungen und Konfrontation“. Xi Jinping, obwohl „Kern“ der Partei, hat sich im Politbüro nochmals der Zustimmung des obersten, 25-köpfigen Parteiorgans versichert. Xi wie die ganze allmächtige Kommunistische Partei sind zwar nicht wie Trump von Volkswahlen abhängig, doch angewiesen auf die Zustimmung vor allem der immer grösser werdenden, wohlhabenden und aufgeklärten Mittelschicht. Xi zu Lektionen aus früheren Krisen: „Warum war unsere Partei imstande, einen Sieg nach dem andern zu erringen? Weil wir resolut auf das Ziel nationaler Verjüngung zumarschiert sind und so die Unterstützung des Volkes gewannen.“
„Ein sehr, sehr gutes Treffen“
In Osaka kamen sich dann beide Seiten offensichtlich wieder näher. Xi und Trump trafen sich, wie genau protokoliert wurde, achtzig Minuten lang. „Es war sein sehr, sehr gutes Treffen“, so Trump danach, „besser als erwartet“. Inhaltlich sagte Trump: „Wir erheben keine zusätzlichen Zölle und sie werden unsere landwirtschaftlichen Produkte kaufen.“ Nach sechswöchigem Unterbruch werden also die chinesisch-amerikanischen Handelsgespräche wieder aufgenommen. Die USA erheben „vorläufig“ keine zusätzlich angedrohten Zölle auf chinesische Waren im Werte von 300 Milliarden Dollar. Zudem darf der IT-Riese Huawei weiter von amerikanischen Firmen beliefert werden. „Wenn wir zu einem Deal kommen“, so Trump, der nach eigenem Bekunden besten Dealmaker der Welt, „wäre das ein sehr historisches Ereignis“.
„Gegenseitiger Respekt“
Die amtliche chinesische Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) bestätigte die Wiederaufnahme der Handelsgespräche und zitiert Parteichef Xi: „China begrüsst aufrichtig die Wiederaufnahme der Handelsgespräche, um die Differenzen mit den USA zu bereinigen. Die Verhandlungen sollten auf der Basis von Gleichheit und gegenseitigem Respekt beruhen und die beidseitigen legitimen Interessen berücksichtigen.“ „Bei Punkten“, fügt Xi laut Xinhua an, „welche Chinas Souveränität und Würde betreffen, muss China seine eigenen Kerninteressen sichern und verteidigen“. Das heisst mit andern Worten, China will sich seine Wirtschaftspolitik nichts von den USA diktieren lassen.
Kompromisse, Konzessionen
US-Finanzminister Steven Mnuchin – zusammen mit US-Handelsrepräsentant Robert Lighthizer für die Verhandlungen verantwortlich – meinte kurz vor dem G-20-Gipfel in Osaka, dass „ungefähr neunzig Prozent“ eines chinesisch-amerikanischen Deals komplett seien: „Ich glaube, es gibt einen Weg, das zu komplettieren.“ Auch Chinas Vize-Handelsminister und Mitglied des chinesischen Verhandlungsteams Wang Shouwen gibt sich moderat optimistisch: „Wir sollten uns gegenseitig halbwegs treffen, was heisst, dass beide Seiten Kompromisse eingehen und Konzessionen machen.“
„Vorläufig“
Im Gegensetz zum Burgfrieden am G-20-Gipfel in Buenos Aires vom letzten Dezember, wo man sich auf eine Frist von drei Monaten geeinigt hatte, wurde diesmal in Osaka keine Frist gesetzt. So hiess es etwa von amerikanischer Seite, die angedrohten Zollerhöhungen seien „vorläufig“ ausgesetzt. Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong sprach nach dem Gipfeltreffen von einer „Periode der Unsicherheit des multilateralen Handelssystems. Der chinesisch-amerikanische Handelskonflikt geht also jetzt in die zweite Verlängerung. In der Fussballsprache ausgedrückt: Penalty-Schiessen.