Afghanistan steht vor einem Wahljahr. Am 5. April soll der Präsident des Landes gewählt werden. Im gleichen Jahr werden die Amerikaner ihre Truppen aus dem Land abziehen. Präsident Hamid Karzai kann nicht wiedergewählt werden, und er hat keinen offiziell von ihm empfohlenen Nachfolger. Die Zeit für Nominierungen ist abgeschlossen. Es gibt elf Kandidaten für Karzais Nachfolge.
Kandidat der "Nördlichen Allianz"
Der bekannteste von ihnen ist der ehemalige Aussenminister Dr. Abdullah Abdullah, von Beruf Ophthamologe. Er war in den Wahlen von 2010 der zweite Gewinner nach Karzai. Er hätte vielleicht die Wahlen gewonnen, wenn sie etwas weniger gefälscht worden wären. Abdullah ist der Sohn einer tajikischen Mutter, sein Vater war Pashtune, jedoch kein Angehöriger eines einflussreichen Klans.
Abdullah war ein enger Freund und Mitkämpfer des 2001 durch einen Bombenanschlag emordeten Ahmed Shah Masud, eines sehr berühmten Kämpfers aus der Zeit des Krieges gegen die Sowjetunion (1980-88) und aus den nachfolgenden Jahren, der heute beinahe als ein Nationalheld Afghanistans gilt.
Ahmad Shah war ein Tajike. Abdullah verdankt seinen Bekanntheitsgrad dem Umstand, dass er zu seinen engen Mitkämpfern gehörte. Die Partei Ahmed Shahs, die Nördliche Allianz, steht weitgehend hinter ihm. Viele Wähler aus den nicht pashtunischen Minderheiten, die eine neue Pashtunenherrschaft ablehnen, dürften ihm ihre Stimme geben.
Komplexe Wahlrechnungen
Die Wahlauguren glauben, dass Dr. Abdullah entweder in ersten Wahlgang eine Mehrheit von über 50 Prozent erlangen muss, oder, wenn er dies nicht erreicht, keine grossen Chancen mehr hat. Dies weil in einem zweiten Wahlgang die grosse Mehrheit der Pashtunen sich hinter seinen Gegner stellen würde, gleich wer er wäre, wenn er nur "Vollpashtune" sei.
Doch im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu erhalten, dürfte für Dr. Abdullah schwierig sein, weil die grossen Warlords von Mazar-e-Sharif und Herat, Zentren der turkophonen und der tajikischen Bevölkerungsteile, als Verbündete zweier seiner Konkurrenten und deren Kandidaten für die Vizepräsidentschaft im Rennen stehen.
Ein unpolitischer Bruder des Präsidenten
Vollpashtunen sind die meisten anderen Kandidaten. Unter ihnen befinden sich: ein älterer Bruder von Karzai, Qayum Karzai. Er ist jedoch ein Geschäftsmann, der sich bisher nicht viel mit Politik abgegeben hat. Er war zwar Abgeordneter im letzten Parlament, trat aber dann zurück, weil ihm vorgeworfen wurde, er nehme nur selten an den Sitzungen Teil.
Karzai hatte auch einen politischen Bruder, Ahmad Wali. Eine machtvolle, eigenwillige Führerfigur auf exponierten Posten als Gouverneur von Kandahar, der Hauptstadt der Pashtunen. Er wurde dort 2011 ermordet.
Karzai selbst hat erklärt, er werde sich in keiner Hinsicht für einen der Kandidaten einsetzen, nur seine Stimme werde er für einen von ihnen abgeben. Dies kommt allerdings manchen Afghanen wenig glaubwürdig vor. Karzai hat gelobt, er werde auch nach dem Abzug der Amerikaner in Kabul bleiben. Wenn er das tut, so sagen diese Beobachter, wird er darauf angewiesen sein, den Schutz seines Nachfolgers zu geniessen, und dieser wäre ihm am gewissesten, wenn sein Bruder oder ein enger Freund ihm nachfolgen würde. Sein Bruder auf dem Präsidententhron würde ihm auch erlauben, weiterhin in den Kulissen viel Einfluss auszuüben.
Ein Enkel des Königs
Von den weiteren Kandidaten sind zwei Mitglieder
des einstigen Königshauses. Nader Naim ist ein Enkel des 2007 verstorbenen Herrschers Zaher Shah. Er ist in England aufgewachsen und diente später seinem Grossvater als Sekretär, als dieser nach dem amerikanischen Eingriff 2002 als Privatmann nach Kabul zurückkehrte. Der frühere König wurde damals zum "Vater des Vaterlandes" ernannt. Sein Enkel soll einen weiten Kreis von Bekannten aufgebaut haben. Die vergangenen Zeiten Zaher Shahs, der 1973 von einem Vetter abgesetzt wurde, gelten heute als ein verlorenes Paradies.
Bündnis mit einem Starken Mann
Der zweite entfernte Verwandte des Königshauses ist Ashraf Ghani Ahmedzai, ein Technokrat, früherer Finanzminister und Beamter bei der Weltbank. Er hat nur eine kleine politische Basis. Deshalb hat er sich mit dem "Warlord" Abdul Rashid Dostum zusammengetan, der in Mazar-e-Sherif herrscht. Dostum, der sein Vizepräsident würde, ist aus dem Krieg gegen die Sowjetunion bekannt. Damals kämpfte er zuerst auf der Seite der mit den Russen liierten Republik, später ging er auf die andere Seite und unterstützte die Mujahedin.
Mazar-e-Sherif, die wichtigste Stadt nördlich des Hindukush, war stets seine Basis und die seiner eigenen Truppen. Vor den Taleban musste er fliehen, doch kehrte er mit den Amerikanern nach Mazar-e-Sherif zurück.
In den Jahren, in denen die Amerikaner Afghanistan nicht viel Aufmerksamkeit schenkten, weil sie mit dem Irak beschäftigt waren, konnte er sich erneut als Herr der nördlichen Hauptstadt einrichten. Als solcher kann er über einen festen Block von Stimmen der dort lebenden turkophonen Minderheiten verfügen.
Sayyaf und Ismail Khan als Team
Ein zweiter der überlebenden Warlords aus der früheren Zeit ist Ismail Khan, der in Herat regiert. Auch er floh vor den Taleban und kehrte mit den Amerikanern zurück. Er steht als Kandidat für die Vizepräsidentschaft zusammen mit Präsidentschaftskandidat Rasul Sayyaf im Wahlkampf. Rasul Sayyaf ist ebenfalls schon aus der Zeit der Kämpfe gegen die Russen bekannt. Er hat damals seine eigene Kampfgruppe gegen sie angeführt. Er ist ein strenger islamistischer Fundamentalist, der stets den Saudis nahe gestanden war und auch ihre Unterstützung genossen hatte. Er gehörte zum bisherigen Parlament und trat dort ein für alle islamistischen Belange, Verschleierung der Frauen inbegriffen.
Der Unbestechliche
Zalmay Rasul, ist ein Arzt, ein ehemaliger Aussenminster und ein alter Freund von Karzai. Er gilt als eine der seltenen Figuren, denen nie Bestechlichkeit nachgesagt wurde. Wenn er Präsient würde, dürfte Karzai hinter ihm ebenfalls weiterhin Einfluss geniessen. Manche Afghanen glauben, dass seine Nähe zu Karzai ihm eine Gewinnchance bieten könnte. Rasul ist der einzige Kandidat, der eine Frau als Vizepräsidentin in seine Kandidatur eingeschlossen hat.
Warlord, Bauunternehmer und Transporteur
Ein weiterer Kandidat ist der ehemalige Mujahedin-Anführer Gul Agha Sherzai, auch bekannt als der "Bulldozer". Er war 1994 Gouverneur von Kandahar, als die Taleban sich gegen ihn erhoben und mit pakistanischer Hilfe seinen Gouverneurssitz eroberten. Damals galten er und seine Soldaten als dermassen korrupt, dass die Bevölkerung sich deshalb den Taleban zuwandte.
Auch er kehrte mit dem amerikanischen Eingriff zurück. Als Bauunternehmer im grossen Stil genoss er lange Zeit das Vertrauen der Amerikaner. Später allerdings wurden zu viele Korruptionsvorwürfe gegen ihn laut. Er begab sich in die Grenzprovinz Narngahar, an der pakistanischen Grenze, und soll dort sehr reich geworden sein, indem er aus dem Grenzverkehr Gewinn zu schlagen verstand. Seine Volkstümlichkeit verdankt er seiner Bereitwilligkeit, Gefolgsleuten in Not mit seinem vielen Geld unter die Arme zu greifen.
Die Warlords sind wieder da
Ein Überblick über diese Hauptkandidaten macht deutlich, dass in Afghanistan viele der früheren Machthaber aus der Zeit des Widerstands gegen die Sowjetarmee die Zeiten der Taleban und der Amerikaner überstanden haben und nun wieder im ersten Range der politischen Hoffnungsträger stehen. Die 13 Jahre amerikanischer Gegenwart und "Demokratiepflege" haben offensichtlich die politischen Sitten und sozialen Gegebenheiten des Landes nicht wirklich zu verändern vermocht.
Die Kandidaturen zeigen auch, dass nach wie vor die ethnischen Unterschiede in dem Vielvölkerstaat von grosser Bedeutung sind. Die Pashtunen machen die grösste Bevölkerungsminderheit aus (eine absolute Mehrheit gibt es nicht) und sie haben das Land "immer" regiert. Nach wie vor dürfte es für einen Nicht-Pashtunen schwierig sein, das Oberste Kommando zu erlangen, weil die Pashtunen sich gegen ihn stellen würden. Auch die Taleban-Bewegung begann in Pashtunistan und wurde zuerst weitgehend von den Pashtunen getragen. Doch heute soll sie sich über alle Minderheiten des Landes hinweg ausgedehnt haben..
Sicherheit fraglich
Ein jeder der nun zugelassenen Kandidaten erhält drei gepanzerte Autos und 36 Leibwächter aus der Polizei. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Zeiten nach wie vor unsicher sind. Die Taleban haben gelobt, sie würden die Kandidaten ermorden, die sich für die in ihren Augen "nutzlose" Demokratie zur Verfügung stellen, und sie drohen auch alle jene zu bestrafen, die stimmen gehen. Bereits sollen zwei der Parteiaktivisten des Dr. Abdullah Abdullah in Herat ermordet worden sein.
Das Verbot, an den Wahlen teilzunehmen, dürfte sich vor allem auf dem Lande und besonders in den pashtunischen Landesteilen auswirken. Dort gehören wenn nicht die Tage so doch die Nächte den Taleban, und die Dorfbewohner müssen fürchten, von ihnen bestraft zu werden, wenn sie stimmen gehn. Für viele von ihnen fordert zu stimmen auch einen langen und unter Umständen gefährlichen Fussmarsch bis sie die Urnen erreichen.
Die wegen des Drucks der Taleban in manchen Orten geringe Wahlbeteiligung scheint 2010 die Versuchung verstärkt zu haben, die Wahlen zu fälschen. Es gibt viele Erzählungen von leer stehenden Urnen in den wenig kontrollierten Aussengebieten. Die Wahlbureaus seien leer geblieben, bis die Helikopter der Regierung eintrafen, die Wahlurnen mit Stimmzetteln füllten, die Urnen wohl versiegelten und sie gleich für die Auszählung in die Hauptorte mitnahmen. Kontrollen in diesen gefährdeten Regionen gab es begreiflicherweise nicht viele. Wie weit auch diesmal ähnliche Gegebenheiten und Aktivitäten eine Rolle spielen werden, ist nicht vorhersehbar.
Geld - grosser Einflussfaktor
Es gibt eine Maximalsumme für Wahlausgaben, die von den Kandidaten nicht überstiegen werden sollte. Sie beträgt 10 Millionen Afghanis, was ungefähr 150 000 Franken ausmacht. Doch niemand glaubt, dass die Kandidaten sich daran halten werden. Die etwa 12 Millionen wahlberechtigter Afghaninnen und Afghanen (aus einer Bevölkerung von 30 Millionen) werden in 6 845 Wahlbureaux abstimmen. Davon werden 6431, wie die Organisatoren versichern, offen sein. Die anderen, vermutlich aus Sicherheitsgründen - offenbar nicht.
Um abzustimmen braucht man einen Stimmberechtigungsausweis. Es soll noch viele solcher Karten geben, cirka 20 Millionen, die seit den letzten Wahlen in Umlauf sind. Etwa drei Millionen mehr wurden ausgegeben, offiziell um die neu Wahlberechtigten und Heimkehrer, sowie Personen, die ihre alte Karte verloren hatten, auszustatten. Solche Karten von einer Person zur anderen zu transferieren ist leicht. Frauen benötigen keine Photographien. Bereits gegenwärtig sollen Stimmausweise in Kabul käuflich zu erwerben sein. Es gibt eine Kommission für Reklamationen und Einsprachen, die nach den Wahlen zugezogen werden kann. Es ist zu erwarten, dass es dort harte Auseinandersetzungen geben wird.
Wenn es zu einer Stichwahl kommt, wird diese im kommenden August durchgeführt werden. In diesem nicht unwahrscheinlichen Fall wird Karzai bis August weiter regieren.
Die Hauptfrage - was nach den Amerikanern?
Natürlich steht die gesamte Politik Afghanistans heute im Zeichen des Abzugs der Amerikaner, der Nato-Truppen und der Frage, was dann geschehen wird. Karzai hat sich bis jetzt standhaft geweigert, ein Abkommen mit den Amerikanern darüber zu unterzeichnen, ob weiterhin amerikanische Truppen zu Ausbildungszwecken im Land verbleiben werden. Nach Monaten der Gespräche, Forderungen und Ausflüchte sagt er gegenwärtig, er gedenke ein solches Abkommen erst zu unterschreiben, nachdem die Wahlen vorüber seien. Die Amerikaner hatten erklärt, sie brauchten ein Abkommen bis Ende des vergangenen Jahres, weil sie ihre Pläne für den Abzug der Truppen und der riesigen Menge von Kiegsmaterial, das sie im Laufe der Zeit nach Afghanistan verbracht hatten, langfristig organisieren müssten. Die Transporte werden Milliarden kosten. Die Amerikaner scheinen gegenwärtig damit zu rechnen, dass kein Abkommen zustande kommen wird und dass sie alle abziehen werden.
Die Taleban spielen auf Zeitgewinn
Karzai hat auch erklärt, die Amerikaner sollten zuerst mit den Taleban verhandeln, dann werde er entsprechend dem Verhandlungsresultat einen Vertrag mit ihnen unterzeichnen oder nicht. Verhandlungen wurden im vergangenen Jahr in Qatar versucht. Doch sie brachen zusammen, bevor sie beginnen konnten. Die offizielle Position der Taleban ist, mit Karzai würden sie jedenfalls nicht sprechen, denn er sei ein blosses Werkzeug der Amerikaner, keine selbstständige afghanische Kraft.
Doch dies scheint sie nicht draran gehindert zu haben, mit Karzai Kontakte aufrecht zu erhalten. Niemand weiss genau, was sie beabsichtigen. Höchstwahrscheinlich gibt es darüber auch Diskussionen innerhalb ihrer Führung. Am wahrscheinlichsten scheint, dass sie einfach darauf ausgehen werden, Zeit zu gewinnen, bis die Amerikaner abziehen. Wenn sie bis dahin überleben, was man kaum mehr bezweifeln kann, stehen sie in einer sehr viel stärkeren Position in Aghanistan als bisher, sowohl für eventuelle Verhandlungen wie auch für eine Fortsetzung ihres Krieges.
Wer finanziert die afghanischen Streitkräfte?
Die afghanische Armee ist schon heute zuständig für die Kriegsführung gegen sie. Noch kann sie im Notfall Hilfe der Amerikaner anfordern. Der Unterhalt dieser Armee kostet ungefähr 10 Milliarden Dollar im Jahr. Die Amerikaner haben früher versprochen, sie würden mit ihren Verbündeten für diese Gelder aufkommen. Doch jedermann weiss, dass diese Summen nicht eintreffen werden, wenn keine amerikanischen Soldaten in Afghanistan bleiben, weil ein Vertrag darüber nicht zustande gekommen ist.
Als die Russen 1989 aus dem Lande abzogen, konnte die von ihnen aufgestellte afghanische Regierungsarmee die grossen Städte des Landes und die wichtigsten Strassenachsen zwischen ihnen absichern und für die Regierung von Kabul bewahren. Bis zu der Zeit, als die Gelder aus Moskau ausblieben, die Armee nicht mehr bezahlt werden konnte und daher auseinander fiel. Warlords übernahmen einen Teil der Soldaten, die sie dadurch ernährten, dass ein jeder von ihnen seine Landesteile aussog. Sie führten gegeneinander Krieg. Auf den Durchgangsstrassen erhoben sie Zölle.
Dieser Zustand dauerte an, bis die Taleban sich zwischen 1994 und 1998 mit der Hilfe der Pakistani und Saudi fast des ganzen Landes bemächtigten. Nur die Kämpfer des oben erwähnten Ahmed Shah Masud konnten sich in Nordosten Afghanistans halten bis 2001, als die Amerikaner ankamen und sie als Hilfstruppen für die Eroberung des Landes und die Vertreibung der Taleban über die pakistanische Grenze gebrauchten.
Karzais Streit mit den Amerikanern
Es gibt afghanische Generäle, die eine Wiederholung dieser Zustände fürchten. Sie drängen daher Karazai, den Vertrag mit den Amerikanern zu unterzeichnen. Warum Karzai sich sträubt, ist nicht klar, es könnte einfach sein, weil er hofft maximale Konzessionen aus den Amerikanern herauszuholen. Doch seine Beziehungen zu ihnen verschlechtern sich zusehends. Seit kurzer Zeit ist die afghanische Regierung für alle Gefangenen zuständig, von denen bisher einige von den Amerikanern gehalten wurden.
Die afghanischen Behörden unter Karzai haben befunden, dass viele dieser Gefangenen unschuldig seien, es soll sich zunächst um eine Gruppe von 88 Personen handeln. Die Behörden Karzais haben begonnen sie zu entlassen. Unter jenen, die entlassen werden sollen, befinden sich einige, ("mindestens acht" sagen die Amerikaner) die verkleidet als amerikanische Soldaten oder im Dienst der amerikanischen Armee amerikanische Truppen ermordet haben sollen. Wenn sie wirklich entlassen werden, ist dies besonders bitter für die Amerikaner, weil sie erstens ihre Truppen hinterlistig ermordet haben und zweitens dabei als Verräter handelten.
Der Streit über den Einsatz von Drohnen und über die unschuldigen Opfer, die diese immer wieder zu fordern scheinen, gehört auch zu den beständigen Reizthemen.
Angesichts dieser Spannungen ist es denkbar, dass Karzai mit seiner Weigerung, einen Vertrag zu unterzeichnen, versucht Volkstümlichkeit bei den Afghanen zu erlangen - oder vielleicht sogar bei den Taleban, denen er zeigen will, dass er nicht ein Knecht der Amerikaner sei, sondern im Gegenteil ein echter Afghane..
Die Taleban einbeziehen?
Darüber, dass in der Nach-Karzai-Zeit ein Modus Vivendi mit den Taleban geschaffen werden muss, sind sich alle Beobachter einig. Ein voller Sieg über sie, den nicht einmal die Natot-Truppen erlangen konnten, ist von der noch jungen und eher improvisierten afghanischen Regierungsarmee nicht zu erwarten. Doch dies dürfte auch die Einschätzung der Taleban sein, und ihre Forderungen in möglichen Verhandlungen, die nach dem Abzug der Amerikaner beginnen könnten, dürften dementsprechend hochgeschraubt werden. Der heute noch nicht bestimmte, künftige afghanische Präsident wird schon bald über diese Grundfragen zu entscheiden haben.