Zwanzig Jahre lang dominierte er die italienische Politik und beschädigte das Land nachhaltig. Jetzt ist der bald 87-Jährige in einem Mailänder Spital gestorben. Die Trauer vieler hält sich in Grenzen.
Im April 2008 trat Berlusconi, eben wiedergewählt, vor 200 Journalisten und Journalistinnen. Die Medienkonferenz wurde live von seinen Fernsehanstalten übertragen. Eine schöne spanische Journalistin fragte: «Herr Präsident, wie erklären Sie sich ihren phantastischen Sieg?» Berlusconi lehnte sich zurück und lächelte. «Das Volk liebt mich eben.» Die von Berlusconi aufgebotenen Claqueure im Saal jubelten.
Was man erst nachher erfuhr: Die schöne Spanierin war im Voraus von Berlusconi ausgewählt worden, um ebendiese Frage zu stellen.
Medienmonopol
Wie kein anderer dominierte der in Italien am längsten amtierende Ministerpräsident die Medien und manipulierte das Volk mit falschen Fakten, Lügen und einer permanenten Gehirnwäsche. Seine vier Fernsehsender bombardierten das Publikum jahrelang und oft täglich mit Eigenwerbung. Vor den Wahlen 1993 trat er – gesetzeswidrig – zehnmal häufiger auf als alle anderen Kandidaten zusammen.
Die RAI, das öffentlich-rechtliche italienische Radio und Fernsehen, war längere Zeit noch ein Fels in der Brandung und versuchte, sachlich zu informieren. Doch sobald Berlusconi an der Macht war, gelang es ihm, die RAI in Ketten zu legen. Ungehemmt missbrauchte er dann mit seinen Privatstationen sein Medienmonopol. Lilli Gruber, die berühmteste TV-Journalistin Italiens, trat wegen seiner Zensurpolitik zurück.
Die «Enkel Stalins»
Seine Botschaft war simpel: Wollt ihr, dass die Kommunisten das Ruder übernehmen? Seine Gegner, selbst jene aus dem bürgerlichen Lager, bezeichnete er als «Enkel Stalins». Immer wieder malte er mit widerlicher Demagogie das Gespenst des Kommunismus an die Wand. «Gleich sagt er, dass die Kommunisten noch immer Babys fressen», sagte die damalige Spiegel-Korrespondentin Valeska von Roque gegenüber einer italienischen Kollegin bei einem Auftritt Berlusconis im Jahr 1993. Der deutsche Journalist Gerhard Feldbauer kommentierte 2008: «Berlusconis erfolgreicher Wahlkampf hätte einen Goebbels vor Neid erblassen lassen.»
Um an die Macht zu gelangen und um an der Macht zu bleiben, waren Berlusconi alle Mittel recht.
Schon immer graste er im sehr rechten politischen Spektrum. 1978 trat er der P2-Loge des früheren SS-Mannes und notorischen Faschisten Licio Gelli bei. Dieser hatte enge Beziehungen zu rechtsextremen Kreisen, zur Mafia, zur Polizei, zum Militär und zu Geheimdiensten. Die P2 ist verantwortlich für mehrere Terroranschläge, unter anderem für das Attentat auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980, bei dem 85 Menschen starben. Der Terror sollte den Weg für einen rechtsextremen Staatsstreich ebnen.
«Mussolini hat viel Gutes getan»
Schon früh spannte Berlusconi mit alten und jungen Faschisten zusammen. Immer wieder liess er durchblicken, dass er Mussolini verehrt. Mussolini hätte «viel Gutes getan und niemanden umgebracht», sagte er. Bei seinen Siegesfeiern wurden Duce- und Sieg-Heil-Rufe geschrien.
Früh verbündete er sich mit Gianfranco Fini, dem Chef der postfaschistischen «Alleanza Nazionale» (AN). Sie ist die Nachfolgepartei des neofaschistischen «Movimento sociale italiano» (MSI). Fini hatte erklärt, Mussolini sei der «grösste Staatsmann des Jahrhunderts» gewesen. In AN-Kreisen hiess es: «Wir sind gegen Ausländer, Kommunisten, Schwule und Juden.»
Erbe des «übelsten Faschismus»
Berlusconi ernannte Fini zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. 2009 fusionierte Berlusconis «Forza Italia»-Partei mit der AN. Umberto Eco («Der Name der Rose») sah in Berlusconis Regierung das Erbe des «übelsten Faschismus». Berlusconi duldete die Faschisten nicht nur, er förderte sie und machte sie salonfähig. Immer ging er mit eingefleischten Faschisten auf Stimmenfang. Antifaschisten bezeichnete er stets als Kommunisten.
Der italienische Soziologe und Journalist Marco Belpoliti publizierte 2009 ein Buch, in dem er Fotos von Mussolini und Berlusconi gegenüberstellte. Sie zeigten eine verblüffende Ähnlichkeit von Gestik und Mimik. Das war kein Zufall. Berlusconis Mussolini-Posen sind bewusste, kalkulierte Tabubrüche.
Solche gab es immer wieder. 2016 schenkte die Mailänder Zeitung «Il Giornale» ihren Leserinnen und Lesern Hitlers «Mein Kampf». Die Zeitung mit einer Auflage von 200’000 Exemplaren gehörte früher Berlusconi und dann seinem Bruder Paolo. Der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi sprach von einer «abscheulichen» (squallido) Aktion.
Doch nicht nur mit den Faschisten und Postfaschisten setzte sich Berlusconi ins gleiche Boot: Dritte im Bund waren die Rassisten der Lega Nord von Umberto Bossi. Sie forderten unter anderem, dass Camps der Roma und Sinti angezündet würden. Auf Druck Bossis wurde das Einwanderungsgesetz radikal verschärft. Heute wird die Lega von Matteo Salvini geführt.
Mafia
Und natürlich arbeitete er mit der Mafia zusammen. Sein enger Freund, der Sizilianer Marcello dell’Utri, gilt als Verbindungsmann zwischen ihm und der Cosa Nostra. Dell’Utri wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Vor Bekanntgabe des Urteils flüchtete er in den Libanon. Dort wurde er festgenommen und an Italien ausgeliefert. Seit 2019 ist er wieder ein freier Mann. Berlusconi weigerte sich immer, vor Gericht zu sagen, woher er als junger Unternehmer das viele Geld bekommen habe, was zu Spekulationen anregte. Ende 2013 erklärte ein Römer Berufungsgericht, Berlusconi habe zwischen 1974 und 1992 der Cosa Nostra viel Geld bezahlt und im Gegenzug ihren Schutz genossen.
Viele, auch im Ausland, belächeln heute Berlusconi als Gaukler. Mit zunehmendem Alter verlor er sein unappetitliches Image. Noch immer bewundern ihn in Italien viele. Mit 7,7 Milliarden ist er der wohl reichste Mann des Landes. Seine Verbindungen zum Faschismus, zur Mafia, zu den Rassisten werden von vielen einfach weggesteckt. «Na, ja», sagen sie. «So schlimm war er nun auch nicht.»
Wirklich nicht? Berlusconi hat mit seiner penetranten Anbiederung an den Faschismus verhindert, dass Italien endlich seine unschöne Vergangenheit aufarbeitet. Was den Deutschen gelungen ist, liegt in Italien noch in weiter Ferne. Mit seinem abenteuerlichen Geschichtsrevisionismus vergiftete er das politische Klima in Italien bis heute.
Der erste italienische Vollblut-Populist
Berlusconi selbst war wohl kein eingefleischter Faschist, aber um an die Macht zu kommen und an ihr zu bleiben, hat er dem Postfaschismus in unerträglicher Art die Reverenz erwiesen und ihn salonfähig gemacht. Dass die postfaschistische Partei «Fratelli d’Italia» von Giorgia Meloni heute stärkste italienische Partei ist, ist ein Beweis dafür.
Berlusconi war der erste italienische Vollblutpopulist der Nachkriegszeit. Matteo Salvini und Giorgia Meloni haben viel von ihm gelernt. Dass die beiden heute stark sind, hat auch mit Berlusconi zu tun. Er bereitete ihnen das Terrain vor.
Italien wäre ein Land mit fast unbegrenzten Möglichkeiten, mit einem riesigen innovativen wirtschaftlichen und künstlerischen Potential. Es hätte einen besseren als Berlusconi verdient. Er, der «Kaiman», wie ihn der Filmregisseur Nanni Moretti nennt, hat viel dazu beigetragen, dass Initiativen erstickt wurden und dass das Land nicht vom Fleck kam. Berlusconi ist mit mitverantwortlich dafür, dass Italien heute eines der wirtschaftlichen Schlusslichter in Europa ist.
Der Aufstieg Berlusconis
Berlusconi war zunächst Staubsaugervertreter. Als Conférencier und Sänger trat er in Nachtclubs und auf Kreuzfahrtschiffen auf.
Als Bauunternehmer und «Immobilien-Hai» machte er sein erstes Vermögen. Dabei arbeitete er auch mit dem Tessiner Unternehmer Carlo Rezzonico zusammen. Auch Schweizer Treuhandgesellschaften mischten mit. Anschliessend investierte er im Fernsehmarkt. Zuerst betrieb er den Fernsehsender «Milano 2» (später: Telemilano 58), der anfangs nur in einem Umkreis von zwei Kilometern empfangen werden konnte.
Die 1978 von Berlusconi gegründete Holding «Fininvest» mit dem Fernsehunternehmen «Mediaset» stand Anfang der Neunzigerjahre vor dem Bankrott. Mediaset hatte Schulden von umgerechnet fünf Millionen Euro. Es war die Zeit, als gesetzliche Hürden landesweites privates Fernsehen verunmöglichten.
Ausgerechnet Craxi
Berlusconi scherte sich nicht darum. Mit seinem Sender Canale 5 (der aus Telemilano 58 hervorging) begann er, landesweite Sendungen auszustrahlen. Mehrere Richter veranlassten die Beschlagnahmung der Sendeanlagen. Ein mit der Mafia verbundener Bürgermeister von Palermo soll 20 Milliarden Lire in Mediaset investiert haben.
Doch dann kam Bettino Craxi. Ausgerechnet er, der sozialistische Ministerpräsident von 1983 bis 1987 sprang dem Sozialisten-Hasser Berlusconi bei und verhalf ihm so zu seinem riesigen Medienimperium. Craxi brachte im Parlament ein Dekret ein, das er mit einer Vertrauensfrage verband und das Berlusconi die landesweite Ausstrahlung von Sendungen erlaubte. Craxi war eng mit Berlusconi befreundet und Trauzeuge bei Berlusconis zweiter Heirat. Später soll Craxi für seine Hilfe von Berlusconi mit mehreren Millionen beschenkt worden sein. Wegen Veruntreuung flüchtete Craxi dann nach Tunesien, wo er im Jahr 2000 in Hammamet starb.
Mediaset ist heute der grösste Anbieter für kommerzielles Fernsehen in Italien und Spanien. Unter anderem gehörten Berlusconi drei terrestrische italienische Fernsehsender (Canale 5, Rete 4 und Italia 1) sowie mehrere Satellitenstationen und digitale Anbieter. Immer wieder wurde Mediaset kritisiert, weil es in Wahlkampfzeiten exzessive Propaganda für Berlusconi gemacht hatte. Rete 4 musste deswegen eine Busse von 200’000 Euro bezahlen. Berlusconi kontrollierte auch die Verlagshäuser «Mondadori» und «Einaudi».
«Mani pulite»
Da im Parlament Anfang der Neunzigerjahre Bestrebungen bestanden, seinen Einfluss auf dem Fernsehmarkt etwas zurückzubinden, begann er sich in der Politik zu engagieren.
Er hatte Glück. Es war die Zeit, 1993/94, als das Land von einem politischen Erdbeben erschüttert wurde. Hartnäckige Richter und vor allem Staatsanwalt Antonio Di Pietro hatten bei den grossen Parteien ein riesiges Geflecht von illegaler Parteienfinanzierung, Bestechung, Amtsmissbrauch, Betrug und Steuerhinterziehung aufgedeckt. Stichwort: «Mani pulite», «Tangentopoli». Zuerst wurde daraufhin die «Sozialistische Partei» (PSI) aufgelöst, später zerfiel die seit dem Krieg dominierende «Democrazia Cristiana» (DC).
Berlusconi packte die Chance und gründete mit populistischem Brimborium die Partei «Forza Italia». Er versprach eine Säuberung der korrupten Eliten, tiefgreifende Reformen und einen neuen Aufschwung Italiens. Sein Einstieg als Politiker hatte ein Hauptziel: Er wollte die RAI schwächen. So konnte er kritische Stimmen ausschalten. Noch wichtiger jedoch: Ohne eine starke RAI florierten seine eigenen Sender.
Ich-AG
Vier Mal war er mit Unterbrüchen Ministerpräsident. 3’297 Tage war er an der Macht. Die Bilanz ist kläglich. Grosse Sprüche, viele Versprechen – und keine Taten. Er hat das Land in den wirtschaftlichen Ruin gesteuert. Er bescherte Italien einen gigantischen Schuldenberg. Reformen hat er kaum angepackt. Das Land war ihm egal, es ging immer nur um ihn. Er führte Italien wie eine Ich-AG und glaubte, sich alles leisten zu können. Mehrere Gesetze, die er durchs Parlament brachte, waren auf seine Person zugeschnitten. Die Industrieproduktion sank, der italienische Anteil am Welthandel ging zurück.
Immer wieder brüstete er sich mit seiner Rentenreform. Diese allerdings brachte den unteren Einkommen massive Einbussen und trug wesentlich zur Verarmung breiter Volksschichten bei. Internationale Firmen verliessen das Land, ausländische Investitionen gingen zurück. Dass es Italien heute nicht gut geht, ist zu einem grossen Teil seine Schuld. Doch als Verlierertyp sah sich der Super-Narziss Berlusconi nie. Lieber verglich er sich mit Napoleon und Churchill.
«Hochbegabter Lügner»
Seine erste Regierung scheiterte schon nach 226 Tagen, nachdem die Lega Nord die Koalition aufgekündigt hatte. Er verlangte ultimativ Neuwahlen. Nachdem der Staatspräsident diese verweigerte und mit Lamberto Dini eine «technische Regierung» einsetzte, drohte Berlusconi – analog zu Mussolini – mit einem Marsch auf Rom. Die Kommunisten hätten einen Coup lanciert, um ihn zu stürzen. Er verbarrikadierte sich im Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten, und weigerte sich, auszuziehen.
2006 hatte er die Wahlen ganz knapp verloren. Er akzeptierte das Wahlergebnis nicht und verlangte eine Neuauszählung. Die Wahlen seien von kommunistischen Kräften gefälscht worden. Sie hätten seinen Sieg gestohlen. Er verhielt sich wie Trump einige Jahrzehnte später. Eine Überprüfung von Ergebnissen bestätigte seine Niederlage.
Indro Montanelli, einer der einflussreichsten Star-Journalisten und Historiker Italiens und Kolumnist des «Corriere della sera», bezeichnete Berlusconi als «hochbegabten Lügner». Der in Wien lebende italienische Journalist und Autor Lorenz Gallmetzer nennt Berlusconi «Italiens Trump».
Probleme mit der Justiz
Regelmässig legte er sich mit der Justiz an. Mehrmals wurde er verurteilt. Ein Heer von Anwälten und viele Berufungen hielten ihn über Wasser. Immer wieder demonstrierten Richter und Staatsanwälte gegen ihn. 2013 wurde er wegen Steuerbetrugs verurteilt und durfte sechs Jahre lang kein politisches Amt übernehmen. «57 Prozesse laufen gegen mich», sagte Berlusconi einmal. In Wirklichkeit waren es noch mehr. Es geht um Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, illegale Parteienfinanzierung, Schmiergeldzahlung, Bestechung von Richtern und Politikern, Meineid, Beihilfe zur Prostitution sowie Zusammenarbeit mit der Mafia. Noch immer sind mehrere Verfahren hängig.
Der unwiderstehliche Verführer
Legendär sind seine Frauengeschichten. Er inszenierte sich gern als unwiderstehlicher Verführer. Er liebte es, sich mit Models, Showgirls und italienischen Missen im Scheinwerferlicht zu sonnen. Und immer waren die Boulevard-Blätter «Oggi» oder «Diva» dabei. Eine Homestory mit Berlusconi brachte Riesenauflagen. Einmal sagte er: «Ich werde älter, ich kann pro Nacht nur noch vier Frauen befriedigen.» Trotz heftiger Proteste von Frauenorganisationen stimmten bei Wahlen sehr viele Frauen für ihn. Andererseits fand Berlusconi im machohaften Italien bei vielen Männern Bewunderung für seine Virilität und seinen Konsum schöner Frauen.
Seine zweite Frau, Veronica Lario, eine Schauspielerin, hielt es zwanzig Jahre mit ihm aus. Dann waren ihr seine Seitensprünge zu viel. Als er vor laufenden Kameras erklärte, wenn er nicht schon verheiratet wäre, würde er die «schöne Mara», die Ministerin für Gleichstellungsfragen Mara Carfagna, heiraten, hatte Veronica Lario genug. Sie reichte die Scheidung ein.
Nach einem von den Medien intensiv begleiteten Scheidungsprozess erhielt Veronica Lario schliesslich jährlich 3,6 Millionen Euro sowie ein lebenslanges Wohnrecht in einer Villa bei Mailand.
«Bunga-Bunga-Präsident»
Seine Frauengeschichten haben ihm den Übernahmen «Bunga-Bunga-Präsident» eingetragen. In seiner Villa an der Costa Smeralda auf Sardinien feierte er wilde Sexpartys. Auch ausländische Politiker nahmen daran teil, u. a. der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek, den Papparazzi-Fotos mit einem erigierten Penis zeigten.
Da gab es die 40-jährige Patrizia d’Addario. Berlusconi soll ihr für eine gemeinsame Nacht einen Listenplatz seiner Partei versprochen haben. Daraus wurde nichts. Wutentbrannt schrieb sie mit einer Ghostwriterin ein Buch über diese Nacht. Kein Detail liess sie aus. Das Buch wurde zum Bestseller. Berlusconi hat es nicht geschadet.
Die Geschichte mit der 17-jährigen Noemi Letizia ging dann doch einigen zu weit. Eines Tages kreuzte der Ministerpräsident bei ihr in einem Städtchen im Golf von Neapel auf. Zu ihrem Geburtstag schenkte er ihr ein mit Diamanten besetztes Goldcollier. Noemi redete ihn als «Papi» an. Später kreuzte das «Papi-Girl», wie sie jetzt genannt wurde, in Berlusconis Villa in Sardinien auf.
Ein Unternehmer aus Bari erklärte gegenüber der Staatsanwaltschaft, er habe Berlusconi 30 junge Frauen zugeführt. Der Ministerpräsident sprach von einer «Schmutzkampagne».
Ruby
Ein Wendepunkt war die nicht enden wollende Geschichte mit «Ruby», der damals minderjährigen Marokkanerin Karima El Mahroug. Sie, das 17-jährige Mädchen aus der sizilianischen Gosse, findet sich plötzlich in Berlusconis Villa in Mailand. Zuvor beging der «Cavaliere», wie er in Italien genannt wird, einen folgenreichen Fehler.
Da sass Ruby auf einem Polizeiposten in der Via Fatebenefratelli 11 in Mailand. Sie hatte eine Kollegin bestohlen. Berlusconi vernahm das und telefonierte dem Polizeipräsidenten – und log ihn an. Er sagte, Ruby sei die Nichte des ägyptischen Präsidenten Mubarak und müsse sofort freigelassen werden. Um drei Uhr früh wurde sie freigelassen.
Dass Berlusconi junge Musen um sich schart, ist in Italien wenig aufregend. Doch dass der Regierungschef den Polizeipräsidenten anlügt, war vielen Italienern und auch der katholischen Kirche nun doch zu viel.
Die Prozesse im Fall Ruby gingen erst kürzlich zu Ende. Berlusconi wurde beschuldigt, mit Minderjährigen allzu eng verkehrt zu haben. Ebenso wurde er wegen der Mubarak-Geschichte des Amtsmissbrauchs angeklagt.
Ruby soll für ihr Schweigen, da ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, mindestens sechs Millionen Euro erhalten haben. Ruby dementiert. Plötzlich jedenfalls kaufte sie sich eine Villa in Mexiko. Zudem soll Berlusconi mit sieben Millionen Euro mehrere Zeugen bestochen haben. Eine der jungen Schlüsselzeuginnen starb vor gut einem Jahr an einer seltsamen Krankheit. Erwiesen ist, dass Berlusconi nicht nur Ruby, sondern auch andere junge Frauen mit Millionen überschüttete.
Die nackte Nonne
Lange Zeit hatte sich die katholische Kirche für Berlusconi stark gemacht. Papst Benedikt XVI. empfing Berlusconi mit allen Ehren ausgerechnet während des Wahlkampfes 2006. Die Kandidaten der Opposition empfing er nicht.
Doch dann 2017 wandte sich auch die katholische Kirche von Berlusconi ab. Das kam so: In seiner Villa in Arcore bei Mailand sassen einige Männer im Halbkreis. Eine Nonne trat auf, attraktiv, sexy. Langsam öffnete sie ihre Robe. Die Männer freuten sich. Die Nonne war nackt. Berlusconi nahm das Kruzifix, das sie um den Hals trug und streichelte damit ihre Brüste. «Dass Gott dich segne», sagte er.
Das war nun der katholischen Kirche doch zu viel. Kardinal Angelo Bagnasco, Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz, erklärte Berlusconi zur Persona non grata. Dass er seine Gespielinnen als Polizistinnen, Stewardessen oder Krankenschwestern auftreten liess, das wusste man. Doch als Nonne!
Und natürlich war die Nonne keine Nonne. Sie hiess Nicole Minetti und war Berlusconis Zahn-Hygienikerin – oder so. Sie war es, die dem Ministerpräsidenten über hundert junge Damen anschleppte. Sie auch holte die 17-jährige Marokkanerin «Ruby» aus dem Mailänder Polizeiposten. Als Dank für ihre Dienste machte Berlusconi die politisch unerfahrene Gelegenheitsnonne zur lombardischen Regionalrätin. Seine Partei habe, verglichen mit der Linken, die hübscheren Abgeordneten im Parlament, sagte er.
Krikaturisten werden Berlusconi vermissen.
Zotig
Immer wieder provozierte und polarisierte er. Zum Teil massiv unter der Gürtellinie und mit sexistisch-schlüpferigen Witzchen. Das gefiel vielen Italienern. Angela Merkel mochte er nicht. Einmal bezeichnete er sie als «Culona inchiavabile», was man als «unfickbarer Fettarsch» übersetzen könnte. Während eines EU-Meetings stand er grinsend hinter ihr, zeigte auf ihren Hintern und malte einen Kreis in die Luft.
Als er nach dem Erdbeben in L’Aquila die Stadt besuchte und von weinenden Trauernden umringt wurde, grinste er in die Kamera und sagte: «Wenigstens habt ihr schöne Frauen hier.»
2005 sagte er: Nur Trottel würden Linke wählen. Resultat war, dass Tausende Junge in Rom und Mailand mit einem T-Shirt herumliefen, auf dem stand: «Sono un coglione» (Ich bin ein Trottel).
Putins Freund
Seit jeher war Berlusconi eng mit Putin befreundet. Auch der Krieg in der Ukraine schadete dieser Freundschaft nicht. «Putin-Versteher» Berlusconi hat denn auch den russischen Überfall auf die Ukraine nur halbherzig kritisiert. Zu seinem 86. Geburtstag erhielt er vom Kreml-Herrscher zwanzig Flaschen russischen Wodka. Berlusconi revanchierte sich mit 20 Flaschen exzellentem italienischen Wein. Putin bezeichnete den ehemaligen vierfachen italienischen Ministerpräsidenten als den «ersten meiner fünf besten Freunde». Nicht genug: Berlusconi erklärte, er habe wieder Kontakt zu Putin aufgenommen und die beiden hätten «süsse Briefe» ausgetauscht.
Ausklang
In den letzten Jahren war es ruhiger um Berlusconi geworden. Seine Partei Forza Italia brach ein und kann nur noch auf ein Wählerpotential von knapp 7 Prozent der Stimmen zählen. Als er 2017 den Fussballverein AC Milan für 740 Millionen Euro an ein chinesisches Konsortium verkaufte, wussten viele: Jetzt hat er aufgegeben.
In den letzten Jahren trat Berlusconi wie eine geschminkte Mumie auf. Grund dafür waren zahlreiche Schönheitsoperationen. In Schönheitskliniken, auch in der Schweiz, liess er sich Falten liften, Augensäcke entfernen und Haare auf die Kopfhaut transplantieren. Zeitungen sprechen von bis zu 40 Schönheitsoperationen. Immer mehr wurde er zu einer Karikatur seiner selbst.
Und jetzt ist er mit bald 87 Jahren gestorben.
Und jetzt?
Was geschieht mit seinem politischen Erbe, der Forza Italia, die Teil der Meloni-Koalition ist? Berlusconi hat keinen Nachfolger, keine Nachfolgerin aufgebaut. Die Partei, das war er, und ohne ihn wird es sie wohl nicht mehr geben. Zwar stünden Interessenten bereit, zum Beispiel Aussenminister Antonjo Tajani. Er ist ein vernünftiger Mensch, doch ist er ein Parteiführer? Spekuliert wurde jüngst, dass Berlusconis letzte Freundin Marta Fascina das Szepter übernehmen könnte. Sie hat sich schon tief in die Machtstruktur der Partei eingearbeitet und eine Konkurrentin namens Licia Ronzulli rüde «entsorgt». Aber würde Forza Italia mit der 33-jährigen Marta Fascina überleben? Ihr fehlt jedes Charisma.
Im Römer Politbetrieb glaubt kaum jemand, dass Forza Italia Berlusconi überleben kann. Auch aus finanziellen Gründen. Er hat seine Partei nicht nur gegründet, sondern auch finanziell unterhalten. Laut Medienberichten hat er mehr als hundert Millionen Euro investiert. Wahrscheinlich sind es noch viel mehr. Fällt dieses Geld weg, wird es schwierig, die Partei weiter am Leben zu erhalten.
Findet nun eine Fusion der postfaschistischen Fratelli d’Italia mit Forza Italia statt? Meloni wäre einer solchen Verschmelzung nicht abgeneigt; sie könnte so von ihrem postfaschistischen Image, das sie noch immer hat, wegkommen. Bei Wahlen könnte sie so die Wählerinnen und Wähler, die bisher die eher gemässigte Forza Italia wählten, dazugewinnen.