Über US-Präsident Trump kann vieles gesagt werden, doch maulfaul ist er nicht. Mit Bezug auf das kommende Gipfeltreffen der G-20-Staaten im japanischen Osaka und einem möglichen Treffen mit Xi zwitscherte Trump nonchalant: „Entweder wir vereinbaren einen grossen Deal mit China oder wir machen gar keinen.“ Ganz undiplomatisch also: alles oder nichts. Selbst beim „grössten Dealmaker der Geschichte“ freilich müsste am Schluss wohl doch noch ein Quentchen ökonomischer Sachverstand eine Rolle spielen. Eigentlich.
Undurchsichtig
Nach rund zwölf Monaten eines von den USA angefachten Handelskrieges und elf Verhandlungsrunden wurde die Übung im Mai unversehens abgebrochen. Washington machte Peking dafür verantwortlich, weil bereits vereinbarte Punkte wieder zurückgenommen worden seien. Peking wiederum beschuldigte Washington unmässigen Drucks. Was genau vorgefallen ist, bleibt undurchsichtig. Nachdem sich Trump und Xi im vergangenen Dezember in Argentinien am G-20-Gipfel getroffen haben, wurde wieder verhandelt. Zu 95 Prozent, so hiess es danach noch im April aus Verhandlungskreisen, sei man sich einig. Doch dann der Absturz mit Eskalation und wüsten Drohungen.
Zoll-Keule
Trump schwang erneut die Zoll-Keule und setzte unter anderem den IT-Riesen Huawei wegen „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ auf eine schwarze Liste. China konterte ebenfalls mit Zöllen, mit einer Liste „unzuverlässiger Auslandunternehmen“ sowie mit der Drohung, den Export der strategisch wichtigen Seltenen Erden nach den USA zu unterbinden. US-Präsident Trump setzte mitten in der Eskalation und Konfrontation noch eins obendrauf: es sei ihm „ein Vergnügen“, falls nötig, weitere chinesische Waren im Wert von 300 Milliarden Dollar mit Zöllen bis zu 25 Prozent zu belegen.
Urheberrecht
Beide Volkswirtschaften sind hochgradig voneinander abhängig. Seit dem Beitritt Chinas zur UNO-Welthandelsorganisation (WTO), so der Vorwurf der USA, habe Peking verschiedentlich internationale Regeln missachtet. Doch multilateral will sich Dealmaker Trump nicht einlassen. Beim chinesisch-amerikanischen Disput geht es um viele im internationalen Handel wichtige Punkte. Ein für die Entwicklung jeder Volkswirtschaft wichtiger Punkt ist das Urheberrecht und der Schutz geistigen Eigentums. China, so die Wahrnehmung in den USA, aber auch im Westen, kopiert, stiehlt und raubt. Richtig ist, dass zu Beginn der Wirtschaftsreform und Öffnung nach aussen fleissig und erfolgreich kopiert worden ist.
Vom Kopierer zum Innovator
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das ein übliches Vorgehen ist. Im 19. Jahrhundert kopierten, stahlen und raubten die Kontinentaleuropäer, einschliesslich der Schweiz, geistiges Eigentum von Grossbritannien, wo im 18. Jahrhundert die industrielle Revolution ihren Anfang nahm. Danach waren die Amerikaner an der Reihe, später die Japaner, Südkoreaner, Taiwanesen. Heute freilich hat sich die Situation verändert. Urheberrechte gewinnen auch in China schnell an Bedeutung. China ist, wie einst die USA, vom Kopierer zum Innovator geworden. Ins gleiche Kapital gehört der Vorwurf, ausländische Unternehmen werden zum Technologie-Transfer gezwungen. Bei einem Gemeinschaftsunternehmen – Neudeutsch „Joint-Venture“ – wird international, also nicht nur, aber auch in China, einvernehmlich über Technologie-Transfer entschieden.
Privatwirtschaft
Im Zusammenhang mit Huawei wird der gefährliche Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas hervorgehoben. Der Huawei-Gründer Ren Zhengfei diente einst in der Volksbefreiungsarmee, steht jetzt aber einem privaten Unternehmen vor. In jedem Unternehmen, ob staatlich oder privat, ist die KP vertreten. In Privatfirmen jedoch hat das Partei-Komitee im täglichen operationellen Bereich nichts zu sagen. Basis des autoritären chinesischen Systems ist Staatskapitalismus mit Staatsunternehmen in einigen Schlüsselindustrien. Doch heute nach vierzig Jahren Wirtschaftsreform sind Privatunternehmen der entscheidende Teil der Volkswirtschaft. Weit über fünfzig Prozent der Steuern kommen von der Privatwirtschaft, Private generieren 60 Prozent des Wachstums, siebzig Prozent der technologischen Innovation und 80 Prozent der Arbeitsplätze.
„Mein Freund Trump“
Bei einer weiteren Eskalation des amerikanisch-chinesischen Handelskonflikts ist nach westlichen und chinesischen Ökonomen eine Entkoppelung der beiden Volkswirtschaften nicht mehr auszuschliessen. Das aber wäre nach Ansicht von Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping gefährlich. An einem Wirtschaftsforum im russischen St. Petersburg sagte Xi, er glaube, sein „Freund Trump“ sei gleicher Meinung.
Eigene Forschung
Zwar sind die USA und China gegenseitig voneinander abhängig. Doch nach Ansicht von Vizepremier Liu He, dem chinesischen Chefunterhändler und Vertrauten von Xi Jinping, bietet die jetzige Situation auch Vorteile: „Der äussere Druck wird uns helfen, Innovation und Selbstentwicklung sowie Reform und Öffnung nach aussen zu verbessern. Auch das Wachstum mit hoher Qualität kann so weiter vorangetrieben werden.“ Ein Beispiel für Innovation: Sollte Huawei tatsächlich von seinen amerikanischen Hightech-Zulieferern abgeschnitten werden, zählt man an der Zentrale im südchinesischen Shenzhen bereits jetzt auf eigene Forschung und Entwicklung.
Zusammenarbeit
Dass in China immer noch auf Verhandlungen und Kompromisse hingearbeitet wird, zeigt ein Kommentar in der vom Parteiblatt „Renmin Ribao“ (Volkstageszeitung) herausgegebenen Zeitung „Global Times“. Wang Jisi, Professor an der Pekinger Elite-Universität Beida, formuliert, was auf dem Spiel steht: „Die Herausforderung für beide Nationen besteht darin, die positiven Elemente der gegenseitigen Beziehungen zu betonen und zu verhindern, dass die Beziehungen in das dunkle Loch einer Langzeit-Konfrontation fallen.“ China und die USA sollten sich, so Wang, für eine Beziehung basierend auf Koordination und Zusammenarbeit einsetzen.
Kerninteressen
Auch vorsichtige Stimmen sind aus China zu hören. Jia Kang, ehemaliger Forschungschef des Finanzministeriums und Mitbegründer einer Denkfabrik, sagte neulich an einem Seminar an der Pekinger Tsinghua-Universität: „Um ehrlich zu sein, China ist noch immer weit davon entfernt, sich mit den USA zu messen.“ In der Tat, Innovation und Produktivität sind in den USA – aber auch in Japan oder Europa – vorerst noch um ein Vielfaches grösser als im Reich der Mitte. Die chinesische Führung, so Jia Kang, wäre deshalb gut beraten, sich an die Worte des Reform-Übervaters Deng Xiaoping zu erinnern. Dengs Rat: „Genau beobachten, unsere Position sichern, sich mit der gegebenen Situation ruhig auseinandersetzen, unsere Möglichkeiten herunterspielen, sich nicht profilieren, unsere Zeit abwarten, niemals Vorherrschaft beanspruchen.“ Laut Jia Kang sollte China fortfahren, für seine Kerninteressen zu kämpfen. Ein neues Gleichgewicht sei anzustreben, selbst wenn es nur ein vorläufiges sei.
Wegen der gegenseitigen Abhängigkeit kann sich keine Seite einen Handelskrieg leisten. Doch gleichzeitig können es sich weder China noch die USA leisten – beide aus innenpolitischen Gründen – klein beizugeben. Lassen wir uns am 28./29. Juni von Trump und Xi in Osaka überraschen …