El secretariado, das siebenköpfige Führungsorgan der Farc, verlor keine Zeit. Am 4. November hatte eine Einheit der kolumbianischen Streitkräfte den 63-jährigen Farc-Chef Alfonso Cano getötet und damit der grössten Rebellenorganisation Lateinamerikas einen schweren Schlag versetzt. Wer glaubte, damit sei das Ende des bewaffneten Aufstandes nahe, sah sich schnell eines Besseren belehrt.
"Machtübernahme durch das Volk"
Wie die Farc-Oberen jetzt bekannt gegeben haben, erkoren sie bereits einen Tag nach Canos Tod Timoleón Jiménez alias „Timoschenko“ zu ihrem neuen líder máximo – „einstimmig“, wie sie in einer Medienmitteilung verkündeten. Mit ihm an der Spitze wollen sie weiterhin die „Machtübernahme durch das Volk“ anstreben.
Der 52-jährige „Timoschenko“ ist 1982 den Revolutionären Streitkräften beigetreten und gehört seit 1990 dem secretariado an. Einen Teil seiner Militärausbildung soll er in Osteuropa absolviert haben. Mit seiner Ernennung hat sich offenbar der radikal militärisch ausgerichtete Flügel der Farc durchgesetzt. Neben ihm war Luciano Marín alias „Ivan Márquez“ als möglicher Nachfolger von Alfonso Cano genannt worden. Er ist ebenfalls Mitglied der Führungsriege und gilt wie der vor zwei Wochen getötete Kommandant als ein eher politischer Kopf und hartnäckiger Verhandlungsführer.
Gegen den neuen Farc-Chef sind laut einheimischen Medienberichten 117 Haftbefehle ausgestellt. Wegen Mordes, Aufstand und Entführungen wurde er im Abwesenheitsverfahren zu 40 Jahren Haft verurteilt. Die kolumbianische Regierung hat ihn auf einer dieser Tage veröffentlichten Liste mit den Namen der nächsten vier Kommandanten, die möglichst schnell gefasst oder getötet werden sollen, an die erste Stelle gesetzt.
Militärisch und politisch angeschlagen
Auch wenn die 1962 gegründeten Farc weiterhin Stärke zu demonstrieren versuchen: In den vergangenen Jahren sind sie militärisch wie politisch deutlich geschwächt worden. Die Armee hat sie in immer kleinere Zonen zurückgedrängt, ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. In bestimmten Gebieten verüben aber kleinere Guerilla-Gruppen, die sich in den Wäldern und Bergen verstecken und dort von den Sicherheitskräften nur schwer aufzuspüren sind, immer wieder Terroranschläge. Das Geld dafür stammt grösstenteils aus dem Drogenhandel oder von Entführungen.
Heute zählt die Farc noch schätzungsweise 8000 Kämpfer und Kämpferinnen, ihr Bestand hat sich damit in den letzten zehn Jahren halbiert. In der Bevölkerung haben die Aufständischen jeglichen Rückhalt verloren, zu sehr haben sie sich mit ihren schmutzigen Geschäften, Entführungen, Erpressungen, gezielten Ermordungen, Bombenattentaten und Zwangsrekrutierungen Minderjähriger selbst in Verruf gebracht.
Selbst Hugo Chávez geht auf Distanz
Auch auf internationaler Ebene stossen sie kaum mehr auf Sympathien. Selbst Venezuelas Staatschef Hugo Chávez, der vor nicht allzu langer Zeit noch gefordert hatte, die Farc als politische Kriegspartei anzuerkennen, ist inzwischen auf Distanz zu ihnen gegangen. „Der Guerillakrieg ist Geschichte“, sagte er, „heute ist in Lateinamerika eine bewaffnete Rebellenbewegung fehl am Platz.“
In der Vergangenheit gab es mehrere Versuche, die Gewalt zu beenden und eine politische Lösung des Konflikts anzustreben. Die letzten Friedensgespräche mit der Farc scheiterten 2002 unter der Regierung Pastrana. Dessen Nachfolger Álvaro Uribe (2002 – 2010) setzte auf eine Politik der harten Hand gegen die illegalen Milizen. Er erzielte einige militärische Erfolge gegen die Aufständischen, besiegen konnte er sie aber nicht.
Hört "Timoschenko" die Signale?
Der amtierende Präsident Juan Manuel Santos zeigt sich grundsätzlich dialogbereit, verlangt aber vor neuen Friedensverhandlungen mit der Guerilla die bedingungslose Freilassung der 20 Soldaten und Polizisten, die noch in der Gewalt der Farc sind, sowie den Verzicht auf Drogenhandel, Terrorakte, Entführungen und Erpressung.
Die Farc wiederum haben in einem am Sonntag verbreiteten Kommunique einmal mehr ihre Bereitschaft zu einer politischen Lösung signalisiert. Gleichzeitig gaben sie aber klar zu verstehen, dass sie nicht bereit seien, den bewaffneten Kampf einseitig aufzugeben.
Die Fronten sind also nach wie vor verhärtet. Beobachter sehen dennoch gewisse Hinweise, dass die Vorbereitung zu einem Dialog zwischen Regierung und Guerilla angelaufen sind. Dazu zählt nach Einschätzung des Instituts für Lateinamerika-Studien in Hamburg die Aufnahme des Begriffs „bewaffneter interner Konflikts“ in das Opfer- und Landrückgabegesetz. „Dies wurde offiziell mit der gesetzlichen Klarstellung des begünstigten Personenkreises begründet“, schreibt der Jurist und Politikwissenschaftler Stefan Jost in einer kürzlich veröffentlichten Analyse, „ist tatsächlich aber vorwiegend als ein politisches Signal für den Eintritt in Gespräche mit der Guerilla zu verstehen.“
Ob auch „Timoschenko“, der neue Farc-Chef, dieses Signal empfangen hat?