Der Irak hat eine neue Regierung. Doch zum Aufatmen ist es noch zu früh. Das irakische Parlament hat zwar Haidar al-Abadi als Ministerpräsident bestätigt und eine Liste von neuernannten Ministern und Vizeministerpräsidenten liegt vor, in der alle politischen und konfessionellen Hauptgruppen des Landes vertreten sind. Es fehlen jedoch Verteidigungsminister und Innenminister. Al-Abadi hat versprochen, diese beiden Positionen innerhalb der nächsten Woche zu besetzen.
Die wichtigsten und die heikelsten Ministerien
Die beiden Ministerien sind die weitaus heikelsten Positionen, die es zu besetzen gilt. Sie waren unter al-Maliki jahrelang von Ministern besetzt, die einseitig zugunsten ihrer schiitischen Gemeinschaft wirkten. Die Polizei und andere Sicherheitskräfte sowie die Armeekommandanten und grosse Teile der Mannschaften wurden gründlich im schiitischen Sinne «konfessionalisiert».
Natürlich wirkten dann diese Sicherheitskräfte dementsprechend, indem sie die irakischen Sunniten als Gegner, als Verdächtige und als Feinde behandelten und viele von ihnen verfolgten, teils grundlos, teils mit mehr oder weniger soliden Verdachtgründen. Dies war die Hauptursache der Unzufriedenheit der irakischen Sunniten gewesen und hatte wesentlich mitbewirkt, dass sich viele von ihnen zur Mitarbeit bei IS entschieden hatten.
Schwierige Dekonfessionalisierung
Die Konfessionalisierung der Streit- und Sicherheitskräfte besteht weiter, obwohl al-Maliki, der bisherige Ministerpräsident, nun ausgeschieden ist. Sie zu dekonfessionalisieren, wird ein schwieriger Prozess werden, weil natürlich alle gegenwärtigen Armeechefs und Sicherheitskommandanten samt ihren Mannschaften darauf bestehen werden, ihre Posten und Rechte, die ihnen vermeintlich zustehen, zu behalten.
Die Sunniten werden ihrerseits allen verbalen Versprechen nicht trauen, solange sie sich nicht überzeugen können, dass die Realitäten innerhalb der Sicherheitskräfte anders geworden sind als bisher.
Die schiitische Basis der neuen Regierung
Al-Abadi gehört zur gleichen schiitischen Partei wie al-Maliki, al-Dawa. Ihre Parteimitglieder sowie andere schiitische Parteien, die einst für al-Maliki eintraten, ihm aber nun ihre Unterstützung entzogen und sich hinter al-Abadi stellten, sind die parlamentarische Grundlage, auf der seine Regierungsmacht ruht. Natürlich bestehen Querverbindungen zwischen den führenden Kommandanten der konfessionalisierten Sicherheitskräfte und den Abgeordneten der politischen Partei, ad-Dawa, der sie ihre Posten verdanken.
Al-Abadi muss diese Verbindungen berücksichtigen, wenn er seine politische Basis bewahren will. Gleichzeitig muss er aber auch für die Dekonfessionalisierung der Sicherheitskräfte sorgen, wenn er erreichen will, dass sein heute tief gespaltenes Land wieder soweit zusammenwächst, dass es in die Lage kommt, wirksam gegen IS vorzugehen.
Säuberung, jedoch vorsichtig
Der Umstand, dass die konfessionalisierte Armee sich als völlig unfähig erwiesen hat, IS standzuhalten und dass sie noch immer nicht in der Lage ist, sunnitische Städte wie Tikrit, Falludscha oder Ramadi von IS zu befreien, kann hilfreich sein, wenn es darum geht, unfähige Kommandanten, die überwiegend Schiiten sein dürften, abzusetzen und an ihrer Stelle einige Sunniten zu ernennen.
Doch eine solche Säuberung ist natürlich auch delikat, weil sie den Zusammenhalt der Sicherheitskräfte bewahren muss. Dass in den staatlichen Sicherheitskräften einander feindliche sunnitische und schiitische Klans entstehen, muss unbedingt vermieden werden. Denn wenn es geschieht, ist dies ein Rezept für Bürgerkrieg.
Vorschusslorberen
Man sieht, dass es überaus schwierig sein wird, geeignete Persönlichkeiten zu finden, die diese höchst delikaten Aufgaben in die Hand nehmen können, und man kann sympathisieren mit dem Ministerpräsidenten, der diese schwierigen Besetzungen vornehmen muss. Doch bevor sie gemeistert sind, muss man Lobsprüche für die neue Einheitsregierung mehr als Propaganda und Ermutigung einschätzen denn als Anerkennung einer neuen Realität. Die Erklärungen Kerrys, nach denen im Irak eine neue Epoche begonnen habe, sind eher als solche Zeichen von Ermutigung und Beschwörungen von Hoffnung aufzunehmen denn als Markierung eines bereits sichergestellten Neuanfangs für den Irak.