Es ist kein Nein zur Verfassungsreform, die Italien regierbarer hätte machen sollen. Es ist ein Nein zu Renzi.
„Ich habe verloren, meine Regierung endet hier“, erklärt ein aufgewühlter Ministerpräsident kurz vor Mitternacht an einer Medienkonferenz im Palazzo Chigi, dem Sitz der Regierung, in Rom. „Ich trete zurück.“
Im Gegensatz zu den britischen, amerikanischen und österreichischen Meinungsforschern haben sich die italienischen Institute nicht getäuscht. Allerdings fiel das Nein wesentlich wuchtiger aus als erwartet. 59,63 Prozent der Stimmenden votierten gegen Renzi. Auch die Stimmbeteiligung war mit fast 70 Prozent wesentlich höher als prognostiziert. Einzig die Regionen Toskana, Emiglia Romagna und Trentino Alto Adige haben für Renzi und seine Reform gestimmt.
Dramatische Szenarien
„Morgen (Montag) versammle ich meine Regierungsmannschaft um mich und werde meinen Kollegen danken. Dann werde ich im Quirinal-Palast Staatspräsident Mattarella meinen Rücktritt einreichen.“ Renzi dankte allen, die für Reformen gekämpft haben.
Das Nein könnte nicht nur Italien, sondern ganz Europa in Turbulenzen stürzen. Vor allem die Wirtschaft hatte sich stark für ein Ja gemacht. Sie hat zum Teil dramatische Szenarien aufgezeichnet, falls es zu einem Nein kommen sollte. Wichtige Wirtschaftsvertreter erwarten jetzt nicht nur einen Reformstau, sondern auch das übliche politische Durcheinander all’italiana. Selbst eine Preisgabe des Euro und ein Austritt aus der EU wurden nicht ausgeschlossen.
Turbulente Zeiten
Ein Nein zur Verfassungsreform könnte im Ausland als Nein zu den dringend notwendigen Wirtschaftsreformen verstanden werden. Die notleidenden Banken könnten jetzt erst recht kein zusätzliches Geld bekommen. Die Krise im italienischen Bankensektor könnte verstärkt werden. Folge wäre, dass noch weniger ausländische Investitionen nach Italien fliessen, was das strapazierte Land weiter belasten könnte. Die Gefahr besteht auch, dass ausländische Firmen Italien den Rücken kehren. Die Wirtschaft braucht Stabilität und das Geschrei der Opposition lässt auf turbulente Zeiten schliessen.
Renzi hätte die Verfassungsvorlage dem Volk gar nicht zur Annahme vorlegen müssen. Die beiden italienischen Kammern hatten ihr zugestimmt. Als er die Abstimmung ansetzte, schien sich im Volk eine breite Unterstützung für die Reform abzuzeichnen. Renzi war durch einen parteiinternen Putsch an die Macht gelangt und war nie vom Volk zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Mit dieser Volksabstimmung hatte er gehofft, eine Art Legitimation für seine Regierungsarbeit zu erhalten.
Ruf nach sofortigen Neuwahlen
Die populistische Protestbewegung „Cinque stelle“ erklärt in einer ersten Reaktion, sie würde sich „für das Regieren vorbereiten“. Laut jüngsten Meinungsumfragen sind die „5 Sterne“ des polternden Beppe Grillo nahe an Renzis sozialdemokratischem „Partito Democratico“ (PD) herangerückt. Der EU-kritische Grillo verlangt Neuwahlen „so schnell wie möglich“. Er sei dabei, die künftige Regierungsmannschaft zusammenzustellen.
Auch Matteo Salvini, der laute Führer der teils rassistischen Lega Nord, der bereits von Marine Le Pen beglückwünscht wurde, sowie die kleine aus dem Faschismus hervorgegangene Partei „Fratelli d’Italia“ verlangen sofortige Neuwahlen. Berlusconis Forza Italia hingegen spricht sich gegen sofortige Wahlen aus. Aus gutem Grund: in den Meinungsumfragen ist Forza Italia zurzeit eine Zehn-Prozent-Partei. Auch der linke Flügel der Sozialdemokraten, der wesentlich zum Sturz Renzis beigetragen hat, will keine schnellen Neuwahlen.
Drei Szenarien
Staatspräsident Mattarella bestimmt einen neuen Regierungschef. Bereits werden die Namen des bisherigen Finanzministers, des parteiunabhängigen Pier Carlo Padoan oder des sozialdemokratischen Senatspräsidenten Pietro Grasso genannt. Sie würden jedoch wohl einzig Übergangsregierungen anführen.
Der Staatspräsident könnte ferner eine sogenannt „technische Regierung“ mit parteiunabhängigen Fachleuten einsetzen. Das ist in Italien mehrmals geschehen, dann nämlich, wenn man politisch wieder einmal nicht weiterwusste. Die technischen Regierungen (Carlo Azeglio Ciampi, Lamberto Dini, Mario Monti) haben wenig erreicht. Wirkliche Reformen hat keine zustande gebracht. Es ist einfacher, ein wortgewaltiger Wirtschaftsprofessor zu sein und zu erklären, wie es sein sollte – als selbst etwas zustande zu bringen.
Neuwahlen könnten entweder wieder zu einem Patt führen oder die „5 Sterne“ an die Regierung bringen. Davor schaudert es vielen. Beppe Grillo entwickelt sich immer mehr zu einem klamaukartigen Populisten. Seine Leute haben keine Erfahrung, dafür ein umso grösseres Mundwerk. Der Ex-Komiker aus Genua, der sich immer mehr als Putin-Freund entpuppt, bezeichnet den Euro und die EU als Hauptverantwortliche für die italienische Misere – als ob diese Misere nicht schon vor dem Euro bestanden hätte.
Die Regierungsarbeit der „5 Sterne“-Bürgermeisterin Virginia Raggi in Rom ist Ausdruck für die Hilfslosigkeit und das Chaos in der Bewegung. Raggi ist nach grossen Versprechungen ohne Plan und ohne Konzept in ihr Amt hineingestolpert und hat bisher rein gar nichts erreicht.
Seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte Italien 63 Regierungen. Nur wenige Ministerpräsidenten regierten so lange wie Renzi. Und nur wenige haben in tausend Tagen so viel erreicht wie er.