Die Entrüstung war gross bei den Venezianern, als sie im Mai aufgestellt wurde. "Sie ist nackt, hässlich, und fett. Sie hat keine Arme. Und sie steht vor der Basilica!" Wogen der Empörung sollen bis in der Vatikan geschwappt sein. Sicher, der sich vorwölbende Bauch, die schweren hängenden Brüsten, die verkrüppelten Beine und fehlenden Arme sind nicht jedermanns Sache. Doch antike Statuen haben ähnliche Merkmale und niemand hat sich je beschwert. Erst als allen klar wurde, dass die Monumentalwalküre aufblasbar war und somit am Ende der Biennale schmerzlos zu entfernen, legten sich die Proteste.
Not Vitals zauberhafte Installation
In einer zauberhaften Installation des Sentners Not Vital, gleich dahinter, kann sich das ästhetische Empfinden erholen. Der Bündner Künstler mit Wohnsitzen in New York und Peking, wo er sein Atelier mit dem Regimekritiker Ai Wie Wie teilt, zeigt 700 Schneebälle. Jeder von ihnen wurde von Hand in Glas geblasen und ist somit, wie in der Natur, einzigartig. Diese Installation ist ein Ort der Meditation. Die Kugeln glänzen, reflektieren ihre Umgebung, und erinnern in ihrer Zartheit an die Vergänglichkeit des Schnees. Not Vital erinnert so in poetischer Weise sowohl an die wichtige Rolle des Wassers in Venedig , ein anderer Aggregatszustand, wie auch an die lange Tradition der Glasbläser in Venedig.
Diese wird auch in der nahen Ausstellung ‚le stanze del vetro’ gefeiert. Paolo Venini hatte in den 20ger und 30ger Jahren des 20. Jahrhundert die Glaskunst revolutioniert durch eine radikale Modernisierung. Federführend waren dabei die beiden Künstler Carlo Scarpa und der Muraneser Napoleone Martinuzzi. Letzterem ist diese Ausstellung gewidmet, die 200 Stücke seiner Produktion zeigt: Elegante transparente Vasen, Objekte der ‚Pulegosi’ -Technik, einen ganzen Kaktusgarten, gläserne Früchte und sein ‚Bestiarium’. Zu sehen sind auch die Zeichnungen der Entwürfe, wie auch ein ganzes Zimmer des Vittoriale von Gabrilele d’Annunzio, gestaltet vom Bühnenbildner Pier Luigi Pizzi, mit einigen der wichtigsten Werke, die Matinuzzi für den Dichter gestaltete.
Bern 1969/Venice 2013
Ganz in die Vergangenheit führt uns die Fondazione Prada mit : ‚When Attitudes Become Form: Bern 1969/ Venice 2013. Der ganze Palazzo Corner wurde von Rem Koolhaas umgestaltet um der Berner Kunsthalle zu gleichen. Die richtungsweisende Ausstellung in Bern von Harald Szeemann, auch er einst Biennale-Kurator, wurde 1:1 nachgestaltet.
Werke von Joseph Beuys, Bruce Naumann, Richard Serra, Sol LeWitt, Claes Odenburg und Mario Merz werden gezeigt, wie auch Stücke der Arte Povera, Process Art, Land & Conceptual Art. Der gemeinsame Faden ist dabei der kreative Prozess, der allen gemeinsam ist.
Im Palazzo Fortuny, dem einstigen Wohnsitz und Atelier des grossen Bühnenbildners, Bühnenarchitekten und Ausstatters Mariano Fortuny, der auch Bühne und Kostüme für Richard Wagner entwarf, wird sinnigerweise die Retrospektive eines andern genialen Spaniers gezeigt: Antoni Tapies. Die Werke des 2012 verstorbenen Katalanen fügen sich in die teilweise noch von Fortuny möblierten Wohnräume ein, als wären sie hier entstanden. Alle stammen aus der privaten Kollektion von Tapies und wurden der Öffentlichkeit noch nie gezeigt. Sie werden ergänzt durch Werke von Juan Miró, Pablo Picasso und Jackson Pollock, die Tapies sehr geschätzt hat, wie auch durch Musik von Arnold Schönberg, Alban Berg und John Cage - Lieblingskomponisten des Meisters.
Verwirrend schön und auch schrecklich
Eine verwirrend schöne, weil auch schreckliche, Schau ist ‚The Enclave’ von Richard Mosse, der irische Beitrag zur Biennale in einer Galerie direkt am Canal Grande gezeigt. Der Autor zeigt das Kriegsgeschehen im Kongo aus nächster Nähe und in all seiner Grausamkeit. Durch die Verfremdung der Farben aber und deren grossen ästhetischen Reiz, verliert es zuerst an Schrecken, sodass man die Bilder genau ansehen kann. Später aber tauchen all die Geschehnissen im Gedächtnis wieder auf und zeigen dort eine um so grössere Wirkung. Ein wirklicher Coup, die Rezeption des Betrachters zu manipulieren.
Aus dem Moskauer Untergrund
Die vielleicht bewegendste Ausstellung der ganzen Biennale ist die ‚Katya’ von Bart Dorsa an der Zattere. Der in Moskau lebende amerikanische Künstler war von einem Mädchen in seinem Atelier besucht worden, das mit 3 Jahren mit seiner Mutter in ein Russisch-orthodoxes Kloster gekommen ist, dort 10 Jahre völlig abgeschirmt gelebt hat, und dann in den Moskauer Untergrund ging. In dieser verwirrenden Subkultur machte sie nicht nur extreme Erfahrungen sondern veränderte auch immer wieder ihren Körper.
Sie traf auf Bart Dorsa als er gerade in einer tiefen Depression wegen des Selbstmords seines besten Freundes in Los Angeles war. Er unternahm es die verschiedenen Erscheinungsformen Katyas zu dokumentieren . Dorsa bediente sich dazu der Collodiumtechnik, einer Fototechnik, die er bei dem Foto des vermutlichen Mörders Abraham Lincolns im US-Nationalarchiv gesehen und dann in Europa gelernt hatte. Er hält chemisch behandelte Platten hoch, auf denen dann das durch eine Linse eingefangene Portrait der Person erscheint. Diese muss mindestens 30 Sekunden völlig still stehen. Eine Technik, die durch die lange Exposition, auch die Seele der Gezeigten sichtbar machen soll. Bei ‚Katya’ scheint dies funktioniert zu haben. Man fühlt sich der Gefühlslage des Mädchens so sehr verbunden, dass manche Besucher weinend die Ausstellung verlassen.
Thema Langlebigkeit
Gerade fand in Venedig die 9. Konferenz von ‚The Future of Science’ statt, diesmal zum Thema ‚Langlebigkeit’. Die Botschaft war klar: Sehr wenig essen, wenig trinken, nicht rauchen, hart arbeiten, sich viel bewegen, intensiv freundschaftliche und gesellschaftliche Kontakte pflegen, doch ohne psychischen Stress zu haben. Wenn Sie noch gute Gene geerbt und eine Kindheit mit guter Ernährung und ohne schwere Krankheiten verlebt haben, dann sollten Sie ein hohes Alter erreichen in geistiger und körperlicher Gesundheit. Viel Glück !