Es war die Bildlegende zu einem Foto in der Berichterstattung über die erste Sitzung des Zürcher Kantonsrates im „Corona-Exil“.
Diese fand in einer Messhalle in Zürich-Oerlikon statt. Hier konnten die Distanz-Regeln des Bundesamtes für Gesundheit eingehalten werden.
Das Foto über dieser Bildlegende zeigt eine Frau im Arbeitskleid einer professionellen Reinigungsfrau, mit Gummihandschuhen und einem – wohl desinfizierend getränkten – Lappen, mit dem sie die Innen- und Aussenseiten des Rednerpultes abwischt. Dieser Prozedur hat sie zweifellos auch die zwei Mikrophone unterzogen.
Gleichentags erreichte eine europäisch interessierte Leserin die Nachricht, dass der Ungarische Regierungschef Viktor Orban die Coronavirus-Krise dazu genutzt habe, die Gewaltenteilung ausser Kraft zu setzen und fortan via Dekret zu regieren, am Parlament vorbei.
Aber damit nicht genug. Gegen Abend hat sich der schweizerische Christoph Orban medial mit einer Attacke gegen die Corona-Massnahmen des Bundesrates zu Wort gemeldet: Sie müssten nach Mitte April aufgehoben werden, unter Einhaltung aller Distanz-Regeln – wie das gehen könnte, dafür blieb er eine Erklärung schuldig. Denn darum ging es ihm wahrscheinlich auch gar nicht. Es scheint ihm vielmehr darum gegangen zu sein, die seriöse Arbeit des Bundesamtes für Gesundheit in Frage zu stellen.
Bislang bestand die bewährte Methode zur Bewältigung der Coronavirus-Krise auch in der Schweiz darin, dass die Wissenschaft ihre Erkenntnisse publizierte, die staatliche Verwaltung diese auswertete und sie der Politik präsentierte, so dass gestützt darauf politisch entschieden werden konnte. Offenbar soll das nach nun – nach Meinung von SVP-Granden und in Trumpscher Manier – anders werden: Populistische Überväter präsentieren ihre Wahrheiten, und die Politik soll sich danach richten.
Wir sind genügend politisch versiert um zu wissen, dass Politik vom Widerspruch lebt. Aber: Bisher konnte man in der Schweiz irgendwie auch ein wenig stolz darauf sein, dass Regierung und Parlament – es wird sich wohl bald auch „coronavirus-sicher“ treffen können, wie bereits das zürcherische – angesichts der Krise gemeinsam agierten. Oder besser gesagt, dass man in der Krise den Bundesrat agieren liess und ihn unterstützte. Anders sind Krisen nicht zu bewältigen. Obschon es ganz klar ist, dass über kurz oder lang die notwendige Analyse nach der Krise widersprüchlich geführt werden wird.
Die Schweiz wird in ihrem bisher gar nicht so schlechten Krisenmanagement nicht gehindert werden durch das heutige Ausscheren eines notorisch „bösen alten Mannes“ aus dem bisher erfolgreichen konkordanten Vorgehen. Aber manchmal haben die verschiedenen Ereignisse eines und des selben Tages halt doch einen Zusammenhang: Die definitive Überführung der „Illiberalen Demokratie" eines Victor Orban in eine „Nicht-Demokratie“ einerseits und das Agieren seines schweizerischen Geistesverwandten andererseits sind insofern verwandt, als die letztliche Wahrheit bei einer Führerpersönlichkeit liegt und sich deshalb zwei Dinge erübrigen: Wissenschaftliche Erkenntnis und Demokratie.
Vorläufig gibt es nur eine sichere Schlussfolgerung aus all dem, was einem heute zu Ohren kommen konnte: Es ist gut, nach jedem Vortrag das Stehpult zu reinigen. Und der Frau im professionellen Arbeitskleid in Zürich-Oerlikon sei sehr herzlich gedankt.