Basel, Hauptort des Dreiländerecks Schweiz, Deutschland und Frankreich, bietet als Grenzstadt viele Besonderheiten, so zum Beispiel die Erweiterung des städtischen Strassenbahnnetzes hinüber nach Deutschland oder nach Frankreich. Und auf einer deutschen Enklave auf Schweizer Staatsgebiet, einem kleinen Flecken im Norden der Stadt, auf welcher, vertraglich abgesichert, der so genannte Badische Bahnhof steht, siedelt sich seit nunmehr 18 Jahren ein weiteres Beispiel internationaler Zusammenarbeit an, diesmal aber auf künstlerischem Gebiet – Höhenflüge der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Und das in einem Bahnhof.
Bahnhof für Neue Musik
Im heute zum Glück denkmalgeschützten und nicht mehr in Betrieb stehenden Zweitklassbuffet des von Karl Moser 1913 erbauten Bahnhofgebäudes hat sich seit 2002 um die rührige und musikbegeisterte Schauspielerin Desirée Meiser ein engagierter Kreis von eingeschworenen LiebhaberInnen und KennerInnen Neuer Musik gebildet, der von Jahr zu Jahr ungewöhnliche Konzert- und Musiktheater-Erlebnisse organisiert, welche – in solcher Konzentration – weitum ihresgleichen suchen.
Musik von Gegenwart und Zukunft
Die dem an anderen Aufführungsorten vorangehende und weiterhin aktive Basler Sektion von IGNM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik) hatte ja – neben der seinerzeitigen mäzenatischen Tätigkeit von Paul Sacher und seinem Basler Kammerorchester – das Bewusstsein für Neue Musik seit Jahren gefördert und in der Musikstadt Basel etabliert und tut dies bis heute. Auch die IGNM Basel hat ein interessantes neues Jahresprogramm 2020/21vorgelegt (www.ignm-basel.ch). Sie wird in der kommenden Saison in Zusammenarbeit mit Gare du Nord mit 5 Konzerten vertreten sein. Das Pflaster für die Musik von Gegenwart und Zukunft ist in Basel somit ganz ausserordentlich gut gewartet.
Die bange Kostenfrage in Corona-Zeiten
Auch die Gare-du-Nord-Crew stellte, wie ja praktisch alle Kulturschaffenden, die Krise um das Corona-Virus vor anfänglich fast unlösbar scheinende Probleme – allen voran die bange Frage, wie ein reduziertes Zuschauerpotential finanziell aufzufangen wäre. Nur jeden zweiten Platz zu besetzen wird bedeuten, dass der ohnehin nicht grosse Zuschauerraum nur noch knapp 50 Plätze bieten wird.
Doch die Crew vom Gare-du-Nord blieb am Ball und arbeitete hart am Finanzplan. Das bedeutete leider auch, dass sich die eingeladenen Ensembles an der Finanzierung mitbeteiligen müssen – auch dies für die ausführenden Künstlerinnen und Künstler eine erschreckende Folge des allgemeinen Einbruchs der Kulturbudgets.
Gare du Nord präsentiert jetzt trotzdem unerschrocken ein hochkarätiges Jahresprogramm, welches nicht nur die hohe Qualität aufrecht zu erhalten sucht, sondern darüber hinaus sogar eine neue Veranstaltungsreihe initiiert.
„Fokus Romandie – Trois fois trois“
Diese neue Reihe nennt sich „Fokus Romandie – Trois fois trois“ und will den – leider auch musikalisch durchaus vorhandenen – Röstigraben überbrücken, zumindest punktuell überspringen. Die unbekannten Nachbarn sollen den Deutschschweizern näher gebracht werden, und dies über drei Spielzeiten hinweg. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch auf der anderen, der „welschen“ Seite gehört und vor allem auch erwidert werden wird!
Die drei dafür engagierten Ensembles: aus Genf das in der Deutschschweiz schon bekanntere „Ensemble Contrechamps“, aus Biel/Bienne „Hyper Grid – Hyperduo“ des Pianisten Gilles Grimaître und dem Schlagzeuger Julien Mégroz, und aus Genf/Lausanne das „Ensemble Batida/Hécatombe“. Zu ihnen gesellen sich in zwei Konzerten Samuel Blaser aus La Chaux-de-Fonds mit der Sängerin Sarah Maria Sun sowie „Oblivion – L'Ensemble l’imaginaire“ aus Strassburg und die Neuen Vocalsolisten Stuttgart.
„Musiktheaterformen“ und Blick nach vorne
Es bleibt abzuwarten, ob der kleine grosse Sprung über den Röstigraben auch musikalisch gelingen wird. Eine sichere Option dagegen ist die gut eingeführte, anspruchsvolle und spannende Reihe „Musiktheaterformen“. Hier will man dem Publikum in neuen Musiktheaterproduktionen Facetten des aktuellen Musiktheaters sowohl in der Präsentation als auch im Gespräch näher bringen.
Weiter läuft, im Spannungsfeld zwischen Mittelalter und Gegenwart, die Reihe „Von Zeit zu Zeit“. Mit der Kammermusikreihe „Promenaden“ laden das Sinfonieorchester Basel und Gare du Nord zu musikalischen Spaziergängen am Sonntagmorgen ein. Auch die Solistenkonzerte und weitere Reihen werden weitergeführt. Zwei Formate widmen sich vorausschauend der Jugend als dem zukünftigen Publikum für Neue Musik. Das Angebot „Mitten drin“ gibt vor allem Schulklassen einen Einblick in Kompositions- und Arbeitsweisen.
Bereits den 18. Jahrgang erreicht hat der erfolgreiche „Gare des enfants“. Dessen engagierte Gründerin, die Schlagzeugerin Sylvia Zytinska, betreut dieses ihr ans Herz gewachsene, ureigene „Kind“ nunmehr in ihrer letzten Spielzeit und wird nach einem grossen, zweitägigen Abschlussfest 2021 die Leitung weitergeben.
Internationale Koproduktion als Auftakt
Vor dem Ende aber der Beginn: Als Auftakt in die neue Saison präsentiert der Gare du Nord in Zusammenarbeit mit der Staatsoper Unter den Linden, mit Musica Strassbourg und KLANG Kopenhagen als Kompositionsauftrag eine Produktion, welche offenbar „seit Jahren in der Pipeline“ (Désirée Meiser) wartet: „Walk the Walk“ von Simon Steen-Andersen und dem Ensemble This / Ensemble That: Eine szenische Aufführung für 4 Perkussionisten, Laufbänder, Objekte, Video, Licht und Nebel – nach Etienne Marey.
Die Premiere am 22. Oktober steht aber auch unter dem Zeichen der Corona-Ungewissheit und, wie die gesamten Produktionen aller Kulturschaffenden der nächsten Spielzeit, unter einer etwas unheilverkündenden Einschränkung, unter dem Vorbehalt „der neuesten Bestimmungen“ von BAG und Bundesrat. Halten wir ihnen die Daumen und uns auf dem Laufenden.
www.garedunord.ch; www.ignm-basel.ch