"Ganz grosses Kino“ könnte man diese ungewöhnliche Basler Einrichtung des inzwischen fast dreihundertjährigen Stückes nennen, wären da nicht auch die Schauspielerinnen (Vera von Gunten und Mareike Sedl) und Schauspieler (Philippe Graff, Jesse Inman, Stephan Weber und Demian Wohler) live agierend auf der Szene.
Versteckte Hommage
Und diese Szene besteht aus einer riesigen Kinoleinwand (Raum: Stephan Weber), welche die Zuschauer schon beim Eintreten durch Werbe-Lichtbilder befremdet, welche in ihrer altmodischen Aesthetik an die einfachen „Glückliche Welt“-Inserate der Fünfziger- und Sechzigerjahre erinnern. Erst beim näherem Hinsehen kann man bemerken, dass als Adresse der jeweiligen „Firma“ immer jene des Theaters Basel selber angegeben ist – eine versteckte Hommage an die Theatermitarbeiter im Hintergrund also, u.a. an Schreinerei, Malersaal, Schneiderei und Fundus.
Sehr demokratisch weist so die für die Aufführung verantwortliche Gruppe FADC auf ihre Grundidee von Partizipation und Umverteilung hin. Denn, wie Regisseur Tomas Schweigen im Programmheft erklärt, „stellt das Stück Moral und Besitzdenken in Frage, damit unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit, Arbeit, Erfolg, Integrität, Liebe, Freiheit. Vom Leben eben.“
Far a day cage
Die 11köpfige Zürcher Kompanie FADC (Far a day cage) um den Regisseur Tomas Schweigen wurde 2004 gegründet, um sich im Spannungsfeld von Performance, Dokumentar- und Erzähltheater frei bewegen zu können. Die Gruppe ist seit August 2012 group in residence am Theater Basel. Sie hat sich der projektbezogenen, aesthetisch eigenwilligen und meist höchst vergnüglichen Erarbeitung von gesellschaftsrelevanten Theaterstücken verschrieben und ist dabei international schon sehr erfolgreich. „FADC ist kritisch, aber auch selbstkritisch, ironisch und lacht oft über sich selber.“ Wahrhaftig: Ich kann mich kaum erinnern, an einem (Stadt-)Theaterabend so klug, witzig und phantasiereich amüsiert worden zu sein!
Wirbel von szenischen Einfällen
Die Londoner Vorlage John Gay’s von 1727/28 allein gibt ja schon allerhand her. Was vor nunmehr schon beinahe 100 Jahren auch Bertold Brecht und Kurt Weill erkannt hatten, als sie aus „The Beggars Opera“ ihr Erfolgsstück „Die Dreigroschenoper“ bauten. Im 18. Jahrhundert schuf Gay mit seinem Stück den neuen Typus einer „Ballad Opera“, eines Sprechtheaterstücks, das von Moritaten und Balladen durchsetzt ist. Das von Hans Magnus Enzensberger ins Deutsche übersetzte Original bildete auch in Basel für FADC die Grundlage, aber in einem immer wieder überraschenden Wirbel von szenischen Einfällen. Das fängt schon eingangs an bei der Erklärung von der Leinwand herunter (in Schwarzweiss natürlich!), dass das Ensemble sich überlegt habe, dem Stück nur cineastisch gerecht werden zu können, indem man auf zwei Leinwänden gleichzeitig produziere.
Nur so komme man dem angestrebten Teilungsgedanken näher. Und dieses Sharing durchzieht als roter Faden die gesamte Inszenierung. Das geht so weit, dass nach ungefähr 10 Minuten (grade, als man sich seufzend damit abgefunden hat, an diesem Abend nur Kino vorgesetzt zu bekommen) die echt auftretenden Protagonisten sich sogar gegenseitig die Stimme teilen. Das Ganze wird live von mehreren Kameras gefilmt und – für alle sichtbar – auf offener Bühne auf die Grossleinwand montiert, was zu manchmal grotesken, filmtricktechnisch jedoch durchaus aufschlussreichen Bildern und Situationen führt. In Basels Version von „The Beggars Opera“ von John Gay werden die verschiedensten Medien laufend und auf höchst amüsante Art gewechselt.
Teilen und Umverteilung
An diesem Abend wird der Ausspruch Brechts „Die Diebe stehlen und die Huren huren“ ad absurdum geführt – denn wer ist hier was? Sogar die vom Ensemble gemeinsam getragenen Musiknummern teilen das gleiche Prinzip. Fast durchgängig über dem Brecht/Weill’schen Thema des Morgenchorals von Bettlerkönigs Peachum „Wach auf, du verrotteter Christ...“, entwickeln sich die Songs und die zum Teil mit konkreten Klangerzeugern besetzten, einfallsreichen Zwischenspiele von Martin Gantenbein, der auch die musikalische Leitung innehat. Er wird dabei unterstützt von Sound Designer Jacob Suske. Der Schlusschoral „Ich gebe dir und du gibst mir“ leitete nach frenetischem Applaus über auf Überraschungen im Theaterfoyer.
Hier wurden die Besucher aufgefordert, ihr Programmheft, falls sie es nicht mehr brauchen sollten, für andere Besucher in einen Kasten zu werfen. Und in einer Art Leihbibliothek lagen all jene Bücher auf, in die sich das Ensemble bei Erarbeitung dieses klugen Abends vertieft hatte, und die sich grosso modo um Sharing-Strategien, Umverteilung und Grundeinkommen drehen. Bei solch heute aktuellen Ideen müssten Peachum und seine Bande nicht mehr Strassenräuber an die Behörde verraten, um von deren Kopfgeld leben zu können.
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Nächste Vorstellungen: 19.Okt., 1., 5., 12., 22.Nov.