„Monsieur Lazhar“, ein Film über den Umgang mit dem Trauma, und mit Schuld, basiert auf einem Stück der kanadischen Schauspielerin Évelyne de la Chenelière, die mit dem Filmer Falardeau eng zusammengearbeitet hat und als Mutter des Kindes Alice – eine kleine aber wichtige Rolle – im Film auch selbst auftritt. „Atmen“ ist die erste Regiearbeit des österreichischen Theater- und Filmschauspielers Markovics, der auch das Drehbuch verfasste. Wenn die Schauspielkunst eine mediative Kunst ist, wird hier einmal wieder klar, dass Mediation mehr ist als Weitergeben. - Zwei sehr berührende Werke.
Pierre Falardeau: „Monsieur Lazhar“
Als Évelyne de la Chenelière gefragt wurde, ob sie auch einmal hätte Lehrerin werden wollen, lachte sie: «Non! … Mon Dieu, je pleurerais toute la journée, chaque jour.» Sie habe mit dem Stück etwas schreiben wollen, was sie selbst eben gerade nie gelebt habe. Hingegen ist der Filmer Pierre Falardeau nach seinem Ethnologiestudium kurzzeitig als Lehrer tätig gewesen. Zur Oscar-Nominierung seiner Filmadaptation von Chenelières „Bashir Lazhar“ (2002) als ‘Best Foreign Language Film’ bemerkte die Autorin, sie zeige, dass auch ein subtil und bescheiden auftretendes Werk stark wirken könne.
Der Film handelt von den verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten auf ein kollektives und individuelles Trauma. Der Suizid einer Lehrerin in den Räumen ihrer Schule traumatisiert sowohl das Schulsystem als Ganzes als auch die einzelnen LehrerInnen, die Schulleiterin, die Eltern und die Kinder – unter denen zwei, Alice und Simon, hervorgehoben sind.
Auch der Algerier Bashir Lazhar, welcher die verwaiste Klasse übernimmt, lebt, wie sich herausstellt, mit schwerer Traumatisierung. Welcher Umgang mit Traumen ist funktionell, dysfunktionell, angemessen, retraumatisierend, heilend? Wie weit und wie soll und kann wer das Geschehene berühren und besprechen oder eben wegstellen, und mit welchen Konsequenzen? Was ist Bruch, was Kontinuität? Und wenn das Trauma die Schuld sucht – wie wird damit umgegangen?
„Monsieur Lazhar“ ist in jeder Hinsicht überzeugend, jede einzelne Figur präzise, Mohamed Saïd Fellag (algerischer Schauspieler, Humorist und Schriftsteller) als erwachsener Hauptdarsteller eine glänzende Wahl. Die Kinder sind mit einer wunderbaren Aufrichtigkeit dabei, in der ein Ernstnehmen und Erlernen der Kunst des Sich-Äusserns spürbar wird. Der erstaunliche Ausbruch des kleinen Simon zeigt, wie sorgfältig gearbeitet wurde.
Karl Markovics: „Atmen“
Markovics setzt jedes Bild, jeden Schnitt, jede Perspektive mit vielfältigem Bedacht. Zwischen Erstickungsgefahr und Freiheitsgewinn sucht der 19-jährige Roman Kogler (Thomas Schubert), Heimkind, mit vierzehn Jahren delinquent geworden und in einer „Sonderstrafanstalt für Jugendliche“ in Wien inhaftiert, ein mögliches Leben – kein Zufall, dass er vom Beruf des Tauchlehrers in fernen Ländern träumt und sich im Hallenbad auch darauf vorbereitet.
Er scheint sich eine Atem-Autonomie antrainieren zu wollen, wie er auch eine Unabhängigkeit von allen Beziehungen anzustreben scheint, bis im Lauf des Films ein freierer Austausch mit seiner Umwelt doch wenigstens denkbar wird. Luft und Luftmangel sind nicht nur direkt angesprochenes Thema im Drehbuch und in einzelnen Szenen, sie sind in einer sorgfältigen Raum-, Licht- und Beleuchtungsregie auch ins Bild transponiert.
Die DarstellerInnen, allen voran Thomas Schubert, sind hier, wie in „Monsieur Lazhar“, ausnahmslos überzeugend. Und auch „Atmen“ erzählt von dissoziierendem Trauma und Schuld und von der Möglichkeit, vielleicht sogar Freiheit, damit so oder anders umzugehen.