Sie ist Ministerpräsidentin, er ist Vize-Ministerpräsident. Anstatt am gleichen Strick zu ziehen, gehen sie sich aus dem Weg und sprechen kaum miteinander.
Giorgia Meloni, die in postfaschistischen Kreisen sozialisierte italienische Ministerpräsidentin, will das rechtspopulistische, anti-europäische und teils rechtsextreme Image ihrer Partei ablegen. Ob sie sich geläutert hat oder ob alles nur Taktik ist, bleibe dahingestellt.
Ihre Partei, die «Fratelli d’Italia», nennt sich eine «Mitte-rechts-Partei». Das ist ein Euphemismus. Die Fratelli waren bisher eine rechtspopulistische, rechte bis rechtsextreme Partei. In Meinungsumfragen kommen die Fratelli zur Zeit auf 27 bis 28 Prozent der Stimmen. Tendenz leicht fallend.
Geläutert? Staatstragend?
Seit längerem versucht Meloni, ihr Wählerpotential zu verbreitern, indem sie versucht, Richtung Mitte zu rücken. Vor allem ködert sie die Wählerinnen und Wähler der «Forza Italia», der Partei des inzwischen verstorbenen Silvio Berlusconi. Eine Integration der Forza-Italia-Wählerschaft könnte gelingen, denn nach dem Tod Berlusconis ist die Partei nur noch ein Schatten ihrer selbst und dümpelt bei 8 Prozent vor sich hin. Kaum jemand traut der Forza zu, wieder eine staatstragende Rolle zu spielen.
Meloni, die einst schreiende, schrille, teils hysterisch und cholerisch wirkende Politikerin, die den Euro und die EU verdammte und die 1996 sagte, Mussolini sei der «beste Politiker der letzten 50 Jahre» gewesen – diese Meloni gibt sich plötzlich geläutert: ruhig, besonnen, staatstragend. Jetzt wird sie in Brüssel mit allen Ehren empfangen und von den EU-Granden geküsst und hofiert. Als ob man eine bereuende Übeltäterin, eine verlorene Tochter in den Schoss der Rechtschaffenen und Wahrhaftigen aufnehmen würde. Meloni spricht sich für eine starke, demokratische EU aus, verurteilt Putin und unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland.
Bewunderung für Putin
Ganz im Gegensatz zum Putin-freundlichen Matteo Salvini, dem Parteichef der rechtspopulistischen Lega. Er ist Vize-Ministerpräsident, also der Stellvertreter von Meloni. Er fällt der Regierungschefin immer wieder in den Rücken.
So begrüsste Salvini den «Wahlsieg» Putins. «Wenn ein Volk sich ausdrückt, hat es immer recht», sagte er, was einen Sturm der Entrüstung auslöste. Salvini, der sich einst auf dem Roten Platz mit einem Putin-T-Shirt fotografieren liess, hat seit jeher keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den Kreml-Chef gemacht. Für Meloni ist das alles nur peinlich. Die Fratelli und auch Melonis zweiter Koalitionspartner, Forza Italia, haben die Wahlfarce in Russland mit scharfen Worten verurteilt.
Streit vor den Europawahlen
Doch nicht nur wegen Russland und dem Ukraine-Krieg streiten sich Meloni und Salvini. Jetzt geht es um die Europawahlen, die vom 7. bis 9. Juni stattfinden.
Im 705 Mitglieder zählenden Europaparlament dominieren heute die bürgerlichen, sozialdemokratischen, liberalen und grünen Kräfte. Aufgrund von Ergebnissen bei nationalen Wahlen hoffen die Rechtsextremen auf einen rechtspopulistischen Tsunami. Salvini glaubt gar, dass die Rechtsradikalen im Europaparlament eine Mehrheit erringen könnten. Das wird kaum der Fall sein. In Italien könnte der Europawahlkampf die Regierung zerreissen.
- Im Europaparlament gehören die Fratelli d’Italia (noch) der teils rechtsextremen, EU-kritischen Fraktion der «Europäischen Konservativen und Reformer» (EKR/ECR) an. Mitglieder dieser Gruppe sind u. a. auch die spanische Vox und die polnische PiS.
- Auf der anderen Seite ist Salvinis Lega im Europaparlament Teil der rechtspopulistischen, teils rechtsextremen, nationalistischen Fraktion «Identität und Demokratie» (ID). Dieser Gruppe gehören u. a. die AfD, Marine Le Pens «Rassemblement national», die FPÖ von Herbert Kickl und Geert Wilders «Freiheitspartei» an.
Das EU-Parlament
Europäische Volkspartei (EVP)
u. a. CDU/CSU, Républicains, ÖVP, Forza Italia
Europäischen Konservative und Reformer (EKR/ECR)
u. a. Fratelli d’Italia, Vox, PiS
Identität und Demokratie (ID)
u. a. Die AfD, das Rassemblement National von Marine Le Pen, die Lega von Matteo Salvini, die Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders, die FPÖ von Herbert Kickl.
Weitere Fraktionen sind: S & D (Sozialdemokraten), Renew (Liberale), Grüne, Linke
Salvini möchte nun, dass die Fratelli, die Lega und Forza Italia gemeinsam in den Europawahlkampf ziehen – so, wie sie in Italien gemeinsam regieren. Doch sowohl Meloni als auch Antonio Tajani, der Parteichef der Ex-Berlusconi-Partei Forza Italia lehnen ein Zusammengehen mit Salvini strikte ab. Sie wollen absolut nichts zu tun haben mit der rechtsextremistischen deutschen AfD oder mit anti-europäischen Rechtspopulisten vom Schlage Le Pens oder Geert Wilders. Vor allem auf die AfD schiesst sich Meloni immer wieder ein.
Dass Salvinis Plan, gemeinsam mit den Fratelli und der Forza Italia in den Europawahlkampf zu ziehen, nicht genehm ist, empfindet er als «persönliche Desavouierung» – und das ist es auch. Vor allem stört ihn auch, dass Meloni als Spitzenkandidatin in die Europawahlen ziehen will. Das würde Salvini an die Wand drängen.
Wechselt Meloni die Fraktion?
Nicht genug: Meloni spielt offenbar mit dem Gedanken, im Europaparlament die nationalistische, sehr rechtsgerichtete Fraktion der «Europäischen Konservativen und Reformer» zu verlassen und in die christdemokratische, konservative «Fraktion der Europäischen Volkspartei» einzutreten. Dieser Fraktion gehören CDU/CSU, die französischen Républicains und die italienische Ex-Berlusconi-Partei Forza Italia an. Ein solcher Fraktionswechsel auf europäischer Ebene würde Melonis Ruck in die Mitte unterstreichen.
In Brüssel ist man geteilter Meinung. Viele erwarten bei den Europawahlen erhebliche Verluste der bürgerlichen, christdemokratischen, sozialdemokratischen, liberalen und grünen Parteien. Ein Zuzug der Fratelli d’Italia würde diese Verluste zumindest teilweise kompensieren, heisst es. Manfred Weber, der Fraktionschef der Europäischen Volksparteien hat sich bereits für eine Aufnahme der Fratelli ausgesprochen.
Nicht alle trauen Meloni
Andererseits gibt es Widerstand. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnt energisch vor einer Aufnahme der Fratelli in die Fraktion der Europäischen Volksparteien. «Ich bin strikt dagegen. Eine Aufnahme käme einer Verharmlosung der extremen Rechten gleich.» Nicht alle im bürgerlichen und linken Lager trauen Meloni. Kann sich eine einst laute und stramme Postfaschistin in solch kurzer Zeit vom Saulus zum Paulus verwandeln? Ist alles nur Show? Wird sie, wenn sie ihre Macht gefestigt und breit abgestützt hat, dann ihr wahres Gericht zeigen?
Viel hängt nun davon ab, mit welcher Namensliste Melonis Fratelli in die Europawahlen steigen. Bietet sie vernünftige, nicht rechtspopulistische Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl an, steigen die Chancen, in der Fraktion der Europäischen Volksparteien aufgenommen zu werden. Enthält die Liste jedoch die Namen postfaschistischer Haudegen (solche gibt es noch etliche in der Partei), bleiben den Fratelli die Türen zur Fraktion der Europäischen Volksparteien wohl verschlossen.
Salvinis Stern verblasst
Salvini faucht. Laut Medienberichten spricht er zur Zeit nicht mit Meloni. Die beiden gehen sich aus dem Weg, lächeln sich vor den Kameras höflich an und ziehen sich dann zurück: Eiszeit.
Zwar versucht Salvini jetzt, alle Unzufriedenen einzusammeln. Er wirft den Fratelli vor, eine «Mainstream»-Partei zu werden. Doch sein Stern verblasst. Bei den Regionalwahlen auf Sardinien und in den Abruzzen hat er erbärmlich abgeschnitten. Auch die Regionalwahlen in der Basilicata am 21. April versprechen nichts Gutes für ihn. Sein Stuhl als Lega-Parteichef wackelt.
Meloni ist in einer schwierigen Lage. Einerseits freut sie sich über die Demontage ihres Quälgeistes Salvini. Andererseits braucht sie ihn noch. Denn ohne die Stimmen der Lega hat sie im Parlament keine Mehrheit. Beobachter in Rom halten es für nicht ausgeschlossen, dass Salvini bald einmal die Tür zuschlägt, aus der Regierung austritt und im Alleingang versucht, seiner Partei ein neues Profil zu verpassen. In einem solchen Fall hätte die Regierung Meloni keine Mehrheit im Parlament mehr. Und dann? Italien stehen spannende Zeiten bevor.