Die italienische Ministerpräsidentin erlebt schwere Zeiten. Ihr Stellvertreter Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen «Lega» hat sich offen auf die Seite der «Putinisten» geschlagen.
Während ihrer zwanzigmonatigen Regierungszeit hat sich Giorgia Meloni als tapfere Pro-Europäerin und Pro-Amerikanerin gezeigt. Unmissverständlich hat sie Putin kritisiert und seinen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt.
Und jetzt dies!
Matteo Salvini, ihr enger Koalitionspartner, ohne den sie nicht regieren kann, will sich im Europa-Parlament der «Patriotischen Fraktion» anschliessen, die von Viktor Orbán ins Leben gerufen wurde. Zugesagt haben bereits auch der österreichische FPÖ-Chef Herbert Kickl und der tschechisch-slowakische Politiker und Milliardär Andrej Babiš.
«Eiserne Pro-Putinisten»
Für Wladimir Putin ist dies eine gute Nachricht, denn sowohl Orbán als auch Kickl, Babiš und Salvini gelten als Freunde des Kreml-Herrschers. Sie sind «eiserne Pro-Putinisten», schreibt am Mittwoch die Römer Zeitung «La Repubblica». Mit ihnen hat nun Putin den Fuss im Europaparlament.
Es wirkt schon etwas peinlich, wenn ein Vizeministerpräsident eines Landes, das der G7 angehört und sich klar in die Anti-Putin-Front eingereiht hat, plötzlich mit dem Kreml-Diktator gleiche Sache macht.
Italienische Medien bezeichnen Salvinis Bekenntnis zu Putin als «Akt offener Feindseligkeit», als «Guerillamethode». Italien werde dadurch in der pro-europäischen Familie geschwächt – auch in der Nato. Salvini, dessen Stern am verglühen ist, muss sich immer wieder mit provokativen Äusserungen und Handlungen ins Szene setzen – damit man ihn nicht ganz vergisst.
Meloni braucht Salvini
Eigentlich müsste Meloni ihren Vize Salvini jetzt wegen Illoyalität aus der Regierung werfen. Doch das kann sie nicht. Ohne Salvinis Lega verfügt sie im Parlament über keine Mehrheit.
Salvini spannt nun also zusammen mit einem Orbán, der mit seiner Obstruktionspolitik zwar ständig auf sich aufmerksam macht, aber eigentlich nichts erreicht hat. Bei den Europawahlen hat er verloren. In Brüssel gilt er als «unguided missile». In Ungarn selbst baut sich ein gefährlicher Konkurrent auf.
Der in der Slowakei geborene Tscheche Babiš hat sich gegen jede Hilfe an die Ukraine ausgesprochen. Auch Herbert Kickl, der Chancen hat, österreichischer Kanzler zu werden, will Kiew nicht unterstützen. Die FPÖ-Abgeordneten hatten eine Rede von Wolodymyr Selenskyj im österreichischen Parlament boykottiert.
Nicht genug: Sowohl Orbán als auch Babiš huldigen Donald Trump. Und Salvini will da nicht nachstehen. Via Elon Musk versucht er, eine Beziehung zu Trump aufzubauen. Geplant ist offenbar eine Reise Salvinis in die USA. Auch das ein Affront für Meloni, die von Biden im Weissen Haus sehr herzlich empfangen wurde.
In Brüssel übergangen
Doch nicht nur, was im EU-Parlament geschieht, bereitet Meloni Sorgen. Auch was in Brüssel selbst vor sich ging, bringt ihr einen weiteren Grund, um zu fauchen.
Bei der Besetzung der Spitzenposten der EU fühlt sie sich übergangen. In Hinterzimmern, wie sie sagt, wurde entschieden, dass Italien bei der Verteilung der wichtigsten EU-Ämter nicht berücksichtigt wurde. Vor allem stört sie sich daran, dass der portugiesische Sozialdemokrat António Costa EU-Ratspräsident und die estnische Liberale Kaja Kallas «Aussenministerin» der EU wird. Italien sei die drittgrösste Volkswirtschaft der EU und hätte Anrecht auf einen Spitzenposten.
Brüssel verteidigt sich. Im EU-Parlament hätten eben die drei Familien, die Christdemokraten, die Sozialdemokraten und die Liberalen, eine klare Mehrheit. Deshalb müssten sie berücksichtigt werden. Die rechtsradikalen Fraktionen, zu denen Melonis Fratelli gehören, seien eine kleine Minderheit.
Zwei rechtsradikale Fraktionen
Blenden wir zurück: Im EU-Parlament gab es bisher zwei rechtspopulistische, teils rechtsextreme Fraktionen:
- Die EKR, die Fraktion der «Europäischen Konservativen und Reformer». Ihr gehören unter anderem Melonis «Fratelli d’Italia», die polnische «PiS» und die spanische «Vox» an.
- Die ID, die Fraktion «Identität und Demokratie». Zu ihren Mitgliedern zählt Marine Le Pens «Rassemblement national» und Matteo Salvinis Lega sowie Geert Wilders «Partij voor de Vrijheid».
Die ungarische «Fidesz» von Ministerpräsident Orbán war vor drei Jahren aus der christdemokratischen EVP-Fraktion, der unter anderem die CDU und CSU angehören, wegen rechtsstaatlicher Verstösse ausgeschlossen worden. Seither galten die Fidesz-Abgeordneten als «fraktionslos».
Neu sortiert
Bei den Europawahlen im Juni haben die beiden rechtsradikalen Fraktionen zusammen 13 Sitze gewonnen, weit weniger als sie erhofft hatten. Im 720 Mitglieder zählenden Europaparlament dominieren die Christdemokraten, die Sozialdemokraten und die Liberalen weiterhin klar.
Es war davon auszugehen, dass sich nach den Wahlen das rechtsradikale Lager neu sortiert. Der ausgeschlossene Orbán und seine fraktionslose Fidesz wollen wieder eine Rolle spielen.
Es war also keine Überraschung, dass Orbán versucht, eine eigene Fraktion zu bilden. Um das tun zu können, braucht eine Fraktion mindestens 23 Abgeordnete aus sieben EU-Ländern. Doch die ungarische Fidesz schickt nur 11 Abgeordnete nach Brüssel. Zusammen mit den 8 Sitzen von Salvinis Lega, der Babiš-Formation «Ano» und anderen kleinen Parteien ist die Zahl von 23 Abgeordneten nun übertroffen. Weitere Kandidaten für die «Patriotische Front» sind
- Die slowenische rechtsradikale «Demokratische Partei» SdS, die wenig mit Demokratie zu tun hat. Sie schickt 4 Abgeordnete nach Brüssel.
- Die slowakische Smer-Partei des kürzlich bei einem Attentat schwer verletzten Ministerpräsidenten Roberto Fico. Die Smer verfügt im EU-Parlament über 5 Sitze.
- Die bulgarische rechtsextreme, prorussische «Vazrazhdane» (Wiedergeburt) stellt in Brüssel 3 Abgeordnete.
Noch ist vieles offen. Wird es Orbán gelingen, weitere Parteien in sein Bündnis zu ziehen? Wie wird sich Le Pens «Rassemblement national» verhalten, werden auch die Franzosen im EU-Parlament zu den «Patrioten» schwenken? Dann wird sich die Frage stellen, wer führt diese «Patriotische Front» an. Marine Le Pen ist sich nicht gewohnt, die zweite Geige zu spielen. Unklar ist auch, wie sich die polnische PiS verhält.
Verschmähte AfD
Und: Strecken die «Patrioten» auch die Fühler in Richtung der AfD aus, die in diesem Frühjahr aus der ID-Fraktion verbannt wurde? Das könnte noch dauern, denn die deutschen Rechtspopulisten haben zur Zeit sowohl in Strassburg als auch in Brüssel einen miserablen Ruf.
Will deshalb die AfD auf eigene Faust eine Fraktion bilden, wie da und dort gemunkelt wird?
Dies nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Nur Fraktionen werden im EU-Parlament von der EU subventioniert. Zudem haben Fraktionslose wenig Einfluss, denn ihre Redezeit im Parlament ist arg beschränkt. Die AfD schickt 15 Abgeordnete ins Europaparlament in Strassburg. Sie bräuchte also noch 8 Abgeordnete aus sechs EU-Ländern. Das wird ihr wohl nicht so schnell gelingen. Doch wenn es ihr gelänge, gäbe es künftig nicht wie bisher zwei Rechtsaussen-Fraktionen im EU-Parlament, sondern vier: Die von Meloni geführte EKR, die bisherige ID, die neuen Patrioten und die AfD.
Vieles bei den Rechtsextremen und Rechtspopulisten könnte jetzt in Bewegung kommen. Doch wie sie sich auch immer formieren: Zusammengenommen bleibt ihr Einfluss im EU-Parlament äusserst gering.