Mit seinen Diagnosen und Prognosen hat Jungk die Welt so sehr verändert, dass er selbst darüber in den Hintergrund geriet. Und seine Bücher gibt es heute nur noch antiquarisch. Wenn man sie wieder zur Hand nimmt, entsteht ein frappierender Kontrast zur heutigen Publizistik. Denn so genau und packend wie er schreibt heute kaum noch jemand.
Spurensuche
„Die Zukunft hat schon begonnen“ erschien zuerst 1952 im Scherz Verlag, Bern und Stuttgart. Genau vor 50 Jahren, im Mai 1963, brachte Rowohlt die Taschenbuchausgabe heraus – 11 Jahre nach der Erstauflage. Und bis heute hat das Buch nicht den Anflug von Staub angesetzt.
In mehreren Jahren seiner Korrespondententätigkeit in den USA seit 1945 war Jungk auf Spurensuche. Er ging an den Ort, an dem die erste Atombombe zu Testzwecken gezündet wurde, er ging in die Laboratorien, in denen Experimente mit Tieren und Menschen für die Raumfahrt, deren erste bemannte Missionen damals noch in weiter Ferne lagen, gemacht wurden. Er besuchte Testgelände der Luftwaffe, von denen aus die ersten Überschallflüge stattfanden. Und überhaupt das Militär: Er war in den Kommandozentralen für die strategischen Bomberflotten und an jenen Orten, an denen nach Uran für militärische Zwecke gesucht wurde, und er beschrieb, wie der Abbau ganze Regionen von heute auf morgen buchstäblich umkrempelte.
Dieses Amerika hat ihn fasziniert und zutiefst verstört. Was treibt dieses Land so unerbittlich voran, fragte er und gab eine Antwort, die bis heute erhellend ist: Amerika habe von Anbeginn an nach neuen Grenzen gesucht. „Pursuit of happiness“, sei, so merkt er einmal etwas ironisch an, durchaus als Bewegung im Raum zu verstehen. Nachdem aber der Raum durchmessen und verteilt sei und Amerika eben nicht als eroberungssüchtige imperiale Macht auftrete, bleibe allein der unendliche Raum des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.
Damit aber verändere sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst. Er werde dem wissenschaftlich-technischen Machbarkeitsdenken unterworfen. Der Mensch ist kein Mysterium mehr, keine letzte Grenze, sondern ein biologisches Gebilde, das den Anforderungen der Technik anzupassen sei – wie in der Raumfahrt.
Und wie der Mensch als Objekt der Wissenschaftler und Ingenieure einer radikalen Nutzungsoptimierung unterzogen wird, so verändert sich auch das soziale Leben. Supermärkte haben 7 Tage in der Woche 24 Stunden lang geöffnet, die Städte werden „autogerecht“ und das Essen immer schneller. Amerika habe, so schreibt Jungk, jedes Mass verloren. Sein Vorwort zur Taschenbuchausgabe endet mit dem Satz: „Erst wenn der krampfhafte Griff nach der Allmacht sich einmal löst, wenn die Hybris zusammenbricht und der Bescheidenheit Platz macht, dann wird Amerika von dem wiederentdeckt werden, den es vertrieben hat: von Gott.“
Die Schatten der Vergangenheit
Jungk war im konfessionellen Sinne kein religiöser Mensch. Seine Eltern, beide am Theater in Berlin, hatten wohl jüdische Wurzeln, denn in seiner Jugend schloss sich Robert Jungk der antibürgerlichen deutsch-jüdischen Jugendbewegung an. Er geriet auch in die Nähe der kommunistischen Partei und engagierte sich im sogenannten „Gegner Kreis“ von Harro Schulze-Boysen. Nicht nur dessen Schicksal wird Robert Jungk Zeit seines Lebens umgetrieben haben. Im April 1933 wurde Schulze-Boysen von SS-Schergen verschleppt und sein Kamerad Henry Erlanger vor seinen Augen ermordet. Danach war Schulze-Boysen im Reichsluftfahrtministerium, gleichzeitig im Widerstand. Als im Juli 1942 ein Telegramm aus Moskau nach Brüssel mit seinem Namen im Zusammenhang mit der „Roten Kapelle“ abgefangen wurde, liess Hitler ihn am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee erhängen.
In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Jungk verhaftet, konnte aber im Mai 1933 nach Paris ausreisen. Er studierte an der Sorbonne und engagierte sich in Emigrantenkreisen, auch in Spanien. Von 1939 bis 1945 lebte er in Zürich und schrieb für die damals noch renommierte „Weltwoche“.
Die Atombombe
1956 erschien ein weiteres Buch von Jungk, das wieder Massstäbe setzte: „Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher“. Das ist keine Anklageschrift. Akribisch beschreibt Jungk die geistigen Abenteuer, die von der Entdeckung der Kernspaltung und der Entwicklung der Quantenphysik zum Bau der Atombombe führten. Er beschreibt die Wissenschaftler mit ihren überragenden geistigen Fähigkeiten aber auch Problemen, er beschreibt den gigantischen organisatorischen und materiellen Aufwand, der erforderlich war, um die erste Bombe zu bauen. Und er beschreibt die fatalen politisch-militärischen Mechanismen, die das Schicksal von Hiroshima und Nagasaki besiegelten.
Ein weiteres Buch war ganz den Opfern von Hiroshima und Nagasaki gewidmet: „Strahlen aus der Asche“ (1959). Und es war die Begegnung mit den Opfern, die noch mehr als 15 Jahre später an der Strahlenkrankheit litten und qualvoll starben, die ihn noch energischer fragen liess, wie er aus seiner Reporterrolle als "Kriegsgewinnler", als "Nutzniesser des Unheils dieser Zeit" heraustreten und künftigem Unheil entgegensteuern könne.
Jungk war, wie er selbst sagte, ein „Kongress-Hopper“. Weltweit reiste er zu allen möglichen Wissenschaftskonferenzen, besuchte Forschungsstätten und Labore. Dabei glaubte er, nach und nach einen Stimmungswandel erkennen zu können. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den inneren Zirkeln der Experten wuchsen die Zweifel am Sinn und vor allem an der ethischen Rechtfertigung ihres Tuns. Entsprechend machte sich Jungk auf eine neue Spurensuche: Er wollte beschreiben, wie aus dem Zweifel wirksame Initiativen für ein Umsteuern und die Gestaltung einer lebenswerteren Welt erwuchsen.
Zum Teil ist ihm das überzeugend gelungen. In „Der Jahrtausendmensch“ (1975) und „Menschenbeben“ (1983) konnte er zeigen, wie zum Beispiel in den USA auf den Bau eines Überschallflugzeugs für zivile Zwecke aufgrund der Gegengutachten von Ingenieuren und Wissenschaftlern verzichtet wurde, und er beschrieb schon in den 60er Jahren die ersten grossen Erfolge beim Umweltschutz in England.
Der Atomstaat
Eine besondere Pointe liegt darin, dass seine Beschreibung des „Aufstands gegen das Unerträgliche“, so der Untertitel von „Menschenbeben“, im selben Jahr erschien, als die Grünen in den Bundestag einzogen. Den Grünen hat Jungk nicht nur Argumente, sondern auch Schlagworte geliefert, So stammt das Wort „Atomstaat“ von einem Buchtitel Jungks. Und er war einer der Ersten, der das Wort „Solar“ zu einem Begriff machte, der ganz wesentlich zur späteren „Energiewende“ von Angela Merkel beitrug.
Doch politisch spielte Jungk bei den Grünen keine herausgehobene Rolle. Er war eher eine Figur der Anti-Kernkraft-Bewegung und trat auch bei der Grossdemonstrationen mit 300.000 Teilnehmern gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss im Bonner Hofgarten im Oktober 1981 auf. Und als er bei einer Demonstration gegen eine geplante Wiederaufbereitungsanlage in Hanau 1986 die Dummheit beging, auszurufen: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“, da war für die konservative Presse mal wieder alles klar.
Das Gefühl der Endzeit
Sein Engagement für die Friedens- und Protestbewegungen hat Robert Jungk in bürgerlichen Kreisen die Reputation gekostet. Gemessen an seiner publizistischen Leistung, seinen enorm fruchtbaren Impulsen für die Demokratie und der Tatsache, dass er die „Zukunftsforschung“ zum Thema machte, hat er nur wenige Auszeichnungen erhalten: 1986 den „Right Livelihood Award“ (häufig „Alternativer Nobelpreis“ genannt), 1989 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Salzburg, seines Wohnortes seit 1970, 1992 den „Alternativen Büchnerpreis“, 1993 den Ehrendoktor der Universität Osnabrück, 1993 das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst“ und 1993 den „Salzburger Landespreis für Zukunftsforschung“.
1985 gründete er die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, die bis heute beachtliche Aktivitäten entfaltet.
Was heute beim Rückblick auf Robert Jungk frappiert: Er beschrieb das Gefühl, in einer Endzeit, bestenfalls in einer Zeitenwende zu leben. Seine Beschreibungen klingen zum Teil apokalyptisch, und tatsächlich war die atomare Apokalypse nicht allzu fern. Dass sie nicht eingetreten ist haben wir, wie wir heute wissen, auch einer gehörigen Portion Glück zu verdanken.
Die Apokalypse des Menschen
Aber da ist noch eine zweite Apokalypse bei Jungk:die Apokalypse des Menschen. Er ist es, der sich in der modernen Welt mit ihrer Wissenschaft, Technik und sozialem Engineering selbst entkernt und verliert. Im „Jahrtausendmensch“ vergleicht er unsere Zeit mit der Krise zum Ende des 1. Jahrtausends in Europa.Übermächtig war ein finsterer und willkürlicher Gott, übermächtig wie Wissenschaft und Technik mit ihren gesellschaftlichen Folgen zur Zeit Robert Jungks.
Das Internet gab es damals noch nicht. Jungk starb 1993 und hat daher lediglich die militärisch geprägten Vorläufer gekannt. Das Ausmass des heutigen Datenaustausches mit allen Folgen für unsere Kultur und die Privatsphäre des Einzelnen hat er nicht mehr erlebt. Diese Tatsache verleiht dem Blick auf Jungks Werk eine merkwürdige Brechung. Denn das, was ihn am heraufdämmernden „Atomstaat“ alarmiert hat, erscheint aus heutiger Sicht fast schon als normal.
Die Tendenzen, die Jungk beschrieb und anprangerte, gegen die er unermüdlich Gegentrends finden und Widerstand motivieren wollte, sind inzwischen so übermächtig geworden, dass Robert Jungk wie ein Fossil aus einer Zeit wirkt, als Begriffe wie Freiheit, Humanität und Selbstbestimmung mehr als ein müdes „Ach ja“ weckten. Gerade deshalb sollten wir ihn nicht vergessen.