Ein Frau Anfang vierzig unterzieht sich einer schönheitschirurgischen Nasenkorrektur. Sie könne sich mit dieser Gurke im Gesicht nicht mehr abfinden. Zuerst habe sie ein Auto als Kompensation gekauft, aber die Investition in eine schöne Nase lohne sich doch mehr: „Ich wollte meine Nase, aber in schönerer Ausführung.“ Ein Mann lässt sich Haare implantieren: „Das ist, glaub’ ich, dadurch entstanden, dass ich ungebräunt meinen Kopf mit wenig Haar im Spiegel sah und dachte: Oh, wie siehst du denn aus? Das war so der eigentliche Impuls, um zu sagen: Das kann man verbessern, das kann man ändern.“
Techniken des Selbst
In unserem Körper steckt ein unauslotbares Verbesserungspotenzial. Traditionell verstand man dieses Besserwerden ethisch. Damit er „gut“ werde, hatte der Körper sich der Zucht des moralischen Willens zu unterwerfen. Heute wird die Ethik immer mehr durch die Ästhetik ersetzt. An die Stelle des guten Körpers tritt der schöne Körper als erstrebenswertes Ideal.
Werbeagenturen der Schönheitsproduzenten – primär Kosmetik-, Pharma- Wellness- und Nahrungsmittelindustrie – beten uns pausenlos das Mantra vor, der Weg zum Glück in der Liebe, zu beruflichem Aufstieg und sozialer Anerkennung führe über einen schönen – lies: mit einschlägigen Produkten geschönten – Körper. Aber es geht nicht einfach um Schönheit, es geht um das Selbst. Man will ja „etwas aus sich machen“, etwas Einzigartiges und Einmaliges.
Dieser Wille zum Selbst ist der Motor dessen, was Michel Foucault „Techniken des Selbst“ genannt hat, also Techniken, die Menschen auf ihren eigenen Körper, auf ihre Lebensführung anwenden, um sich zu formen und zu verändern. Nasenkorrektur oder Haarimplantate sind in diesem Sinn Selbst-Technologien, auch wenn sie Fremdeingriffe benötigen. Entscheidend ist die persönliche Wahl: Man wählt, jemand zu sein.
Man trägt Körper
Was man ist, manifestiert sich an den Markierungen, die man sich selbst, d. h. seinem Körper, penibel zufügt. Von der Frisur, dem Parfüm, den Textilien, über Gestik und Mimik bis zu lederhartem Bauch, Tattoo, Piercing oder der chirurgischen Modifikation eines Körperteils trägt man heute buchstäblich Körper. Ihm widerfährt – um seiner Schönheit willen – alles andere als Schonung. Man kann sich des Eindrucks oft kaum erwehren, er werde in den Folterkammern des Lifestyles zugerichtet und gezeichnet, dass es eine Art hat: getrimmt, gedrillt, gestrafft, geliftet, geschnipselt, gemodelt, gestochen, geritzt, gespritzt, gedopt, gebrandet, gebrannt.
Hinzu kommen die Bedingungen der New Economy, die solches Zurichten und Haut-zu-Markte-Tragen nachgerade als Überlebensmittel in der Ökonomie des Who-is-who erscheinen lassen. Der Körper als Vermögen, als Kapitalanlage, als Asset. Entsprechend mutiert die Sorge um ihn zum persönlichen Asset-Management.
„Den“ Körper gibt es nicht
„Wer bin ich?“ war für Kant die Grundfrage der Philosophie. Heute hat sie einer andern Frage Platz gemacht: Wen wähle ich als mein Ich, das heisst, welchen Körper suche ich als den meinigen aus? Aber kann man den eigenen Körper – letztlich also sich selbst – wählen, womöglich gar herstellen? In der Frage schwingt immer der bange Unterton mit, ob man denn durch Anfertigung des Körpers nicht so etwas wie den Wesenskern des Menschen verspiele, seine Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit – eben seine Physis, seinen naturbestimmten „Wuchs“.
In den letzten zehn bis zwanzig Jahren hat sich um diese Sorge eine Debatte entzündet, die mir emblematisch für unsere Zeit erscheint. Es gilt geradezu als Ausweis postmodernen Chics, den Körper als nicht natürlich zu erklären. „Den“ Körper gibt es nicht, schallt uns der Ruf aus dem Lager der Konstruktivisten aller Schattierungen entgegen, der Körper sei ein künstliches, durch und durch historisches und kulturelles Erzeugnis.
Man mag dieser Gegenrede insoweit Recht geben, als sie die Fraglosigkeit eines naturgegebenen Körpers kritisiert. Und man kann weiterhin zugeben, dass auch in der vermeintlich unmittelbaren leiblichen Selbsterfahrung eine Vermittlung durch Körperbilder wirkt. Trotzdem: Das Bild des Körpers ist nicht der Körper! Die Frage stellt sich also, ob man mit der Leugnung eines Konzepts des natürlichen Körpers nun nicht dem andern Extrem eines Konzepts des selbst gewählten, beliebig herstellbaren, sagen wir es ruhig: des denaturierten Körpers verfällt.
Der Körper als Automat
Wir stossen hier auf ein altes philosophisches Konzept, das die Zurichtbarkeit des Körpers begründet. Es ist das Konzept des Körpers als Maschine, als organischer Automat. Heute – im Zeitalter der Bits – spricht man vorzugsweise vom Körper als einem organischen Algorithmus. Dieses Konzept treibt dem Körper die Seele, oder sagen wir besser: seine Personalität aus. Personalität kommt dann zum Körper als besonderes Accesoire hinzu.
Die deutsche Sprache hat gegenüber dem Englischen und Französischen das philosophische Glück, „Körper“ und „Leib“ zu unterscheiden, eine Trennung, die gerade auch etymologisch äusserst sprechend ist: „Körper“ stammt von „Corpus“, also „Leiche“ – „Leib“ dagegen von „Leben“. „In der Selbsterniedrigung des Menschen zum Corpus rächt sich die Natur dafür, dass der Mensch sie zum Gegenstand der Herrschaft, zum Rohmaterial erniedrigt hat (...) Der Körper ist nicht wieder zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird“, schrieben Max Horkheimer und Theodor Adorno vor fünfzig Jahren. Man möchte meinen, sie hätten den heutigen Zirkus um den Körper im Blick gehabt.
Der personale Körper
„Mein Körper“ – dieses Insistieren auf dem Personalpronomen bietet einen verblüffend einfachen Ansatz zur Wiederentdeckung des Körpers in all seinen postmodernen Schwundformen an. Nicht als Ort der Authentizität oder des wahren Selbst. Sondern als Moment des Aufmerkens, des Widerstandes, der Irritation: Ich bin nicht mein Genom! Das tut mir weh! (Was immer mir die Schmerzphysiologie auch sonst noch sagt.) Oder wenn ein Hirn-Philosoph wie Daniel Dennett sich an mich Leser wendet mit den Worten „Auch Sie sind nicht an einem bestimmten Ort Ihres Gehirns lokalisiert, sondern ziemlich weit über dieses Organ verteilt“, dann frage ich: Moment, redest du jetzt mit mir oder mit meinen Gehirnarealen?
Dieses Einreden und Zuschreiben vonseiten der Biologie, Neurologie, Philosophie, Geschichts- und Kulturwissenschaft erfolgt oft im Gestus der Desillusionierung: Du bist nicht das, was du zu sein meinst! – Na und? Trotzdem, nein, umso mehr gilt: Mein Leib ist der Ort der Renitenz gegen einen Diskurs, der ihn mir ausreden will.
Erkenne dich selbst – erkenne deinen Körper!
Was mich zu einem praktischen, um nicht zu sagen: politischen Schlusspunkt bringt. Der personale Körper ist das Vehikel des Sozialen par excellence, aber nicht bloss im reduzierten Sinne der Selfperformance, sondern des elementaren Umgangs mit dem Andern. Gerade durch das immaterielle „social networking“ in den elektronischen Medien, durch Avatare und andere Personensurrogate, kommt dem materiellen Verkehr verkörperter Personen eine neue alte Bedeutung zu: als realer Ort, wo man lernt, human zu werden.
Ich sprach vom Verbesserungspotenzial des Körpers. Dieses Verbessern sollten wir nicht so sehr moralisch oder ästhetisch denken, als vielmehr emanzipatorisch. Emanzipation vom „blossen“ Körper, hin zum personalen Körper, was auch dessen Anerkennung als Ort der Unzulänglichkeit, der Verletzlichkeit, des „ganz Anderen“: des Todes bedeutet. Erkenne dich selbst heisst immer auch und vielleicht sogar vordringlich: Erkenne dich als der Körper, der du bist! Darin steckt Emanzipationspotenzial. Ich nenne das Körpermündigkeit. Eine solche Sorge und Aufmerksamkeit könnte dazu beitragen, dem halbierten Diskurs über den Körper wieder jene Dimension zu verleihen, die ihm heute in seiner totalen Zurichtung abhanden zu kommen droht.